ZEIT für Totsager

In Zukunft Antenne auf Halbmast ?

In Zukunft Antenne auf Halbmast ?

Heute hatte ich eigentlich etwas ganz anderes vor als diesen Post. Dann musste ich doch bei Twitter reinschauen, bin dort leider einem Link gefolgt und habe mich schließlich über einen Artikel bei ZEIT-Online geärgert. Nun, liebes Netztagebuch, muss ich meinen Unmut bei Dir loswerden. Dabei hoffe ich natürlich auf 570 Millionen Klicks, die die 15-jährigen Kult-Kids von Y-Titty mit ihren Videos auf You Tube abräumen. Im TV der Zukunft – denn das alte Fernsehen muss, natürlich,sterben.

Alina Fichter hat für die ZEIT eine schöne Milieu-Studie über deutsche You Tube-Stars geschrieben. Dabei lenkt sie den Blick der Leserschaft auf die tatsächlich häufig unterschätzte  Bedeutung der Vielfalt des Angebotes der Google-Tochterfirma.  So weit, so verdienstvoll. Aber das reichte der Autorin nicht aus. Sie musste , vielleicht zur Klickraten-Optimierung, einen nie da gewesenen Generationenbruch im Medienverhalten diagnostizieren und erklärt eben mal Fernsehen für tot.

Wie aber sollen wir jemals zu konstruktiven Ergebnissen bei der Diskussion um den Digitalen Wandel kommen, wenn dessen Komplexität stets auf Sieg- und Untergangsszenarien reduziert wird?

Vorweg ein paar beispielhafte Aussagen zum Schwarz-weiß-Gemälde auf ZEIT-Online:

„Die unter 25-Jährigen sind durchgehend online, an eine Zeit ohne Smartphones können sie sich nicht erinnern.“

„Während Millionen ihre Abende noch vor dem Fernseher verbringen und dem starren Senderschema folgen, bestimmen Jugendliche und junge Erwachsene im Internet ihr Programm selbst.“

Branchen-Experten ergänzen im Artikel (markt-) radikale Thesen:

„Man wird die Sender schlicht nicht mehr brauchen, weil alle relevanten Inhalte auf YouTube zu sehen sein werden“, sagt auch Lars Hinrichs, einer der erfolgreichsten deutschen Internetunternehmer..“

„Gewohnheiten werden bis zum Alter von 20 Jahren geprägt“, sagt Matthew Diamond, Chef von Alloy Digital, einem amerikanischen Fernsehproduktionsunternehmen.“

Die gesamte Generation erfährt gerade eine völlig neue Konditionierung in ihrer Mediennutzung“, sagt Diamond. Sie könnte die erste sein, die etablierten Sendern für immer verloren geht.“

In den anschließenden Kommentaren gibt es manche Differenzierung, aber auch viel grobes Holz: Von „Gleichschaltung“ im Programm der Etablierten ist die Rede. Die Sender produzierten nur „Müll für Dumme“. Jedesmal mein Favorit: „Ich würde natürlich für Inhalte im Netz zahlen, aber das geht ja leider nicht.“

Das grundsätzliche Mißverständnis, das auch der Artikel von Frau Fichter wieder befeuert: Medialer Wandel ist kein Vernichtungsfeldzug von Alt gegen Jung, oder gar Gut gegen Böse. Wir erleben vielmehr einen dauernden Prozess, in dem sich Rollen verändern: Fernsehen etwa wandelt schon seit Jahrzehnten seine Erscheinungsform. Zunächst wuchs die Auswahl der Sender, dann kam die Aufzeichnungsmöglichkeit hinzu und schließlich erweiterten digiale Plattformen die Nutzungsoptionen. Medienforschung beobachtet angesichts dessen schon seit langer Zeit eine zunehmende Zersplitterung des Publikums.

Ein weiteres Missverständnis besteht in der naiven Behauptung, dass nun das Publikum allein bestimmt, was passiert, weil im smarten Netz ja nur noch geschieht, was man wählt. Hier hat die geistige Lobbyarbeit von Technokraten und Marktwirtschaftlern wirklich ganze Arbeit geleistet. „Solutionismus“, würde Evgeny Morozov sagen. Um dieses Prinzip zu durchschauen, reicht eigentlich schon die Aussage von US-Unternehmer Diamond, die Frau Fichter dankenswerter Weise zitiert. Er spricht von der „Konditionierung“ einer Generation.

(Kleine Anmerkung in Klammern: beim Thema „Fernsehen der Zukunft“ lese ich ständig von vorbildlichen US-Serien wie Breaking Bad, Homeland oder gar Hannibal. Die Reduktion des Qualitätsbegriffe auf solche Blut- und Hoden-Werke halte ich nicht für richtig. Ist allerdings auch ein Geschmacksurteil.)

Weiter geht es mit einem dritten Missverständnis: Auch You Tube ist letztlich Fernsehen. Gerade in den letzten Jahre hat die Entwicklung gezeigt, dass dort zudem Profesionalisierung jeglicher Art einsetzt – Markenbildung, Kanäle, Werbung. Dies hat dazu geführt, dass auf der Plattform mittlerweile viele Angebote eingestellt werden, die für das konventionelle Fernsehen produziert wurden. Denn auch im etablierten TV findet sich ja durchaus inhaltliche Vielfalt und Qualität. Die Unart, zum Beispiel die ARD immer auf die Volksmusikabende im Ersten zu reduzieren, treibt mir immer wieder den Schweiß auf die Stirn. Auch wenn sich Verbreitungswege und Feedback-Möglichkeiten ändern – irgendwer muss die hochwertigen Inhalte schon noch herstellen und eventuell auch davon leben können.

Letztes Missverständnis: Es gibt kein einheitliches Generationenverhalten.  Das muss man wirklich genauer untersuchen. Der Generationsbegriff ist ein sehr schönes Denkwerkzeug, aber er gehört differenziert. In jeder Alterskohorte gibt es unterschiedliche Haltungen, zwischen aktivem und passivem Medienkonsum zum Beispiel. Selbst kenne ich sogar junge Menschen, die Smartphones lästig, Bücher toll und TV ok finden. Weder möchte jeder Jugendliche Filme drehen noch andauernd Kommentare dazu ablassen. Was grundsätzlich stimmt: Die Jüngeren grenzen sich gegenüber den Eltern gern deutlich ab, gerade auch im Mediennutzungsverhalten. „Opas Kino ist tot“ hieß es in den 60er Jahren, als die junge Filmschaffende die Karl-May-Schinken leid waren. Aber trotzdem haben wir heute noch Kino, wenn auch ein anderes.

Wie ich das jetzt so aufschreibe, begreife ich, dass Totsagen doch viel reizvoller ist als differenzierte Analysen. Sonst landet man immer in dieser diskursiven Grauzone, in der man mühsam Kompromisse aushandeln und auf ihre Tauglichkeit hoffen muss. Tut mir leid, liebes Netztagebuch.

 

 

 

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