Xaver und der Sturm der Entrüstung

Social Media Xaver

Social Media Xaver

Nach dem ausgebliebenen Jahrhundert-Orkan müssen sich die Hinterbliebenen jetzt trösten. Zum Beispiel mit einem Sturm der Entrüstung über zu viel Wind beim medialen Hochdruck rund um das Tief „Xaver“. Wenn es gestattet ist, würde ich jetzt, the day after, kurz auch gern mal aufbrausen. Gegenwind.

Denn die Mägde und Knechte der Medien haben doch nur ihren Pflicht gegenüber der Herrschaft, dem Publikum, erledigt: Kommunikation organisieren dort, wo es besonders interessiert. Ergebnis war dabei die bekannte, schwer zu sezierende Mischung aus Information und Emotion. Wir haben aber trotzdem mitbekommen, dass Nelson Mandela tot ist. In angemessener Weise sogar.

Außerdem entsprach das mediale Unwetter um „Xaver“ doch  ganz dem Stil der neuen, digitalen Zeit. Eine Flut von Informationen mit ganz viel Social Media-Hochwasser. Liquid Journalism at its best, wenn man so will. Auch der Umgang mit dem Thema als Meta-Thema wirkt sehr modern: Erst hypen, dann heucheln. „Wie konnten wir uns nur so mit dem Wetter beschäftigen, während die Dritte Welt hungert!“

Glaubt jemand ernsthaft, dass sich Publikums-Aufmerksamkeit so leicht herbei schreiben und brennpunkten lässt? Wäre das tatsächlich die Lehre aus dem monatelangen, hochintensiven Bemühen einer ganzen Medienbranche, den Datenskandal nach den Snowden-Enthüllungen mitten ins öffentliche Bewusstsein zu rücken?  Nope.

Die Enttäuschung über derartige Resultate von Medienlogik teile ich übrigens sehr. Nur erscheint es geradezu katastrophal übertrieben zu behaupten, mit „Xaver“ sei der Journalismus nunmehr endgültig abgesoffen. Er war wie immer, von seriös bis sensationssüchtig. Wetter ist nun mal ein existenzielles Thema von hohem Aufmerksamkeitswert. Daran werden auch Relevanz-Algorithmen nichts ändern.

Außerdem ist es bei all dem Sturm-und–Drang doch auch zu herrlich entlarvenden Szenen gekommen. Etwa bei einem ernsthaften Wetterfrontbericht im NDR mit Exhibitionisten, die im Hintergrund Gangnam-Style aufführten.

Die Fakten: Xaver war einer der heftigsten Orkane der letzten Jahre. In dieser speziellen Wetterkonstellation kam es zu einem massiven Hochwasserstand, der den Deichschutz auf die Probe gestellt hat. Es gab (jede Menge) erstaunliche und entlarvende Bilder auf allen Kanälen. Hoher Gesprächswert. Jeder war gewarnt. Alles ist gut gegangen.

Wo ist nun das verdammte Medienproblem? Haben wir wirklich erst jetzt entdeckt, dass es in der Branche jede Menge Windbeutel gibt? Es sind verzweifelte Fragen, die mich bewegen. Weil sie so müßig sind. Wir haben unser Nutzungsverhalten in der Hand. Opt-out per Fernbedienung. Alternativen gibt es genug. Die werden ja nicht gleich verboten, wenn verschärft übers Wetter berichtet wird.

Ich kann mir übrigens bis in die einzelnen Formulierungen die Diskussion gut ausmalen, wenn die Natur es versäumt hätte, sich an die Rechenmodelle zu halten. Wenn der Katastrophenschutz nicht funktioniert und es von dessen Versagen keine Livebilder gegeben hätte. Klar, Fahrradkette. Das Sturmtief Christian aber hat uns vor nicht allzu lange Zeit trotz Prognose recht negativ überrascht. Mir zum Beispiel den halben Baumbestand des Bremer Bürgerparks vor die Spaziergänger-Füße geworfen.  

Tja, wer will schon beurteilen ob zehn Todesopfer und einiger Sachschaden zu wenig sind, um „Xaver“ gefährlich zu finden? Aber eines steht für mich nun endgültig fest: Ob vor, während oder nach „Xaver“, es bleibt mal wieder dabei: Wir Deutschen können alles. Außer gelassen.

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