Wir Todes-Schwadroneure

Gutes Prinzip: Hoffnung (Biennale-Schnappschuss)

Gutes Prinzip: Hoffnung (Biennale-Schnappschuss)

Was für ein Medienvolk von Jammerlappen: Die einen schieben Panik und die andern beklagen genau diese (German) Angst. Beides liegt wohl am verkorksten Wording des Wandels. Und daran wiederum tragen wir kollektiv Schuld, denn Freund und Feind der digitalen Zukunft eint eine zunehmend nervige Todessehnsucht. Das erfordert Achtsamkeit.

„Are you kidding me?“

Aktuell sorgt Instant Articles für Untergangsstimmung in der Branche. Jene Honigspur also,  die Facebook den „Alt-„Medien ausgelegt hat, um diese samt Inhalt in ihr „Ökosystem“ zu locken. Aber eigentlich ist das egal. Jedes Thema eignet sich für Horrorszenarien.

Deshalb stöhnen die Vordenker immer wieder auf. Guardian Digital-Direktor Wolfgang Blau vermisst Optimismus in all den Interviews, die er zur Zukunft des Online-Journalismus geben muss. Fragt zurück : „Are  you kidding me?“

Yes, there is a lot to worry about, a lot of uncertainty, a lot of risk and there are many journalists who loose their jobs these days. But would it really be ‘un-journalistic’ to get excited by journalism’s fantastic new opportunities?

Wer wollte es bestreiten – der digitale Medienwandel sorgt hierzulande hauptsächlich für Alarm-Meldungen. „Euro-Technopanic“  sei da am Werk, urteilt bespielsweise der unternehmungslustige Journalistik-Professor Jeff Jarvis. Und wenn der Medienjournalist Michael Hanfeld in der FAZ die Kooparationen von Verlagen mit Google oder Facebook  als „aus Angst vor dem Tod kollektiven Suizid“ bezeichnet, dann passt das ins Bild von den kulturpessimisitsichen Deutschen.

Der Schreck heiligt die Mittel

Wer dem Schrecken ohne Ende tiefer auf den Grund gehen will, macht eine verblüffende Entdeckung: Herbei gerufen haben diese Gespenster auch diejenigen, die jetzt unter ihnen leiden. Gerade Netz-Optimisten legen nämlich mit besonderer Wonne unsere Medienwelt in Schutt und Asche. In bester Absicht, natürlich. Und nur die bislang gewohnte.

Denn ihre drastischen Appelle sollen doch nur klarmachen, dass die Medienordnung des 20. Jahrhunderts  für dieses Jahrtausend einfach nicht taugt. Deshalb machen Blogger aus Facebook einen „Todesstern“ für Journalisten oder kündigen einen „digitalen Tsumani“ für die Verlagsbranche an. Manche würden wohl gern noch Hilfe beim „Sterben der Lokalzeitungen und ihren Kulturredakteuren“ geben. Wenn  hoffnungsvolle Web-Angebote gelobt werden, dann gern mal mit Titeln wie „Der Tod des Aufmachers.“ Und zur Zukunft des Fernsehens wird gut gelaunt gemutmaßt, wer zuerst „den Löffel abgibt“.

Von Podien wie dem des Medieninnovationstages der BLM zwitschert es:

 

Das war nur eine kleine Auswahl verbaler Brandrodung. Vornehmer ausgedrückt, geht es dabei ja um das Prinzip der Disruption. Ein leicht ruppig klingendes Wort. Es bezeichnet den unvermeidlichen Abbruch alter Strukturen zugunsten der neuen, innovativen. Urheber der Sprachschöfpung ist der US-Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen („The Investor´s Dilemma“). Christensen wiederum knüpft an die Idee eines Joseph Schumpeter und dessen Bild von der „schöpferischen Zerstörung“ an . „Schöpferisch“ klingt schon besser, ja es macht Zerstörung irgendwie sexy.

Tödliche Langeweile

So wird die Sprache selbst zur „Killer-App“. Keine Woche vergeht mehr  ohne Medienmord-Drohung. Aufsehen will eben erregt sein. Und noch erregender als die Wahrheit ist die Gewissheit vom Ende der Gewohnheit. Aber durch allzu häufigen Gebrauch werden selbst gehaltvolle Begriffe irgendwann ausgehöhlt. Auch in der Aufmerksamkeitsökonomie besteht die Gefahr von Inflation. Also jetzt mal Schluß mit Unlustig.

In der Öffentlichkeit ist mittlerweile nämlich  ein starkes Abwechslungsbedürfnis entstanden,  weg von der Zerstörungswut. Die FDP versucht übrigens gerade, diese allgemeine Sehnsucht für die eigene Wiederauferstehung zu nutzen. Mit dem Slogan vom „German Mut“. Immerhin gelang der Partei jüngst in Bremen die Rückkehr ins Landesparlament.

Ganz wesentlich zu verdanken hat sie ihren Erfolg der 29-jährigen Spitzenkandidatin Lencke Schneider, einer geradezu idealtypischen Vertreterin der neoliberaler Gründigungs Generation Y. Sie ließ eine SPD samt Bürgermeister Jens Böhrnsen sehr alt aussehen. Nachdem die Sozialdemokraten das Land und sich selbst 70 Jahre lang müde regiert hatten.

Wenn wir nun die tödliche Langeweile im Zukunfts-Diskurs beenden wollten, dann am besten, indem wir uns des Funktionsprinzips der Todes-Schwadronierei aller Seiten bewußt werden.

Symbolische Macht

Machen wir uns zunächst klar: Was wir einander täglich rhetorisch antun, das können wir ruhig „symbolischen Gewalt“ nennen. Schließlich ringen alle Beteilgten in der Öffentlichkeit um Deutungshoheit für ihre Sicht. Alle wohl oder übel klingenden Worte verhüllen dabei meist, worum es wirklich geht: Machterhalt oder Machtgewinn. Das eigene Interesse an einer Spitzenposition im gesellschaftlichen Raum.

„Was heißt sprechen?“ fragt der französische Soziologen Pierre Bourdieu, Urheber des gerade grob beschriebenen Gedankens, in einem Buch „Zur Ökonomie des sprachlichen Tausches“. Um gesellschaftliche Entwicklung zu begreifen, rät er zu untersuchen, was hinter den Worten steckt. Aber auch, wer das Sagen hat und warum wir eigentlich zuhören. Folgen wir kurz diesen drei Hinweisen  auf Sprachgewalt, Wortführer und Publikum.

Sprachgewalt

Alles beginnt schon mit der Wortwahl. Sprache ist keineswegs neutral. Eher kategorial. Sie wird geprägt und sie prägt.  Der Tod zum Beispiel duldet keinen Widerspruch. Er ist endgültig, er ist totalitär. Deshalb bringen morbide Vergleiche einen gewaltiger Vorteil für jede Debatte: Sie machen argumentativen Widerstand nahezu zwecklos.

Wichtig ist allerdings, auch bei sprachlichen Tötungsdelikten in alle Richtungen zu ermitteln. Dystopen und Utopisten nehmen sich, wie gesagt, nichts in ihrer radikalen Sprache: Wer vor digitaler Demenz warnt oder die Herrschaft der Roboter prophezeit, hat dafür genauso seine tieferen Gründe wie diejenigen, die in der analogen Welt nur tödliche Fäulnis vermuten.

Ob nun Pro oder Contra Digitalisierung, auf sprachliche Gewalt setzen demnach beide Seiten. Wortmächtige nutzen den Vorteil existenzieller Rhetorik: Die bedient nämlich der Logik der Alternativlosigkeit. Ein sehr wichtiges Wort (oder Unwort). Im Angesicht der Ewigkeit bleibt nur eine sehr begrenzte Wahl.

Im Prinzip sind sich Protagonisten und Antagonisten also erschreckend ähnlich: Es gibt nur schwarz oder weiß, Sieg oder – Tod.  „Alles dazwischen braucht kein Mensch,“ lautet eine gebräuchliche Phrase für diese Haltung.

Wortführer

Master der World of Wording beherrschen die Sprache. Wer den Ton angeben will, muss ihr Gewaltpotential kennen und anwenden. Oft handelt es sich noch um die Repräsentanten der etablierten Medien-Eliten. Aber zunehmend treten auch neue Akteure auf. Vertreter/innen anderer, nämlich digitaler Kompetenzen und der nächsten Generation. Die Ritter der Timeline mit großer Followerschaft.

Gemeinsam nutzen die Bewohner des Planeten Panel die  Metapher des Sterbens, um die  „Alternativlosigkeit“ ihrer Position zu illustrieren. Weil das existenzielle Argument überzeugt, ohne näher begründet werden zu müssen. Wenn die Zeit drängt und die Diskussionen (scheinbar) schon zu lange dauern.

Viele Etagen darunter, in der mühevollen Ebene des medialen Change Managements, habe ich das selbst durchexerziert. Wenn sich die betriebliche Existenzfrage stellt, warum den maroden Altbau aufwändig sanieren statt auf der grünen Wiese noch mal ganz neu anzufangen? Da hilft ein beherzter Sprung über den Schatten der Bedenken durchaus weiter.

Teufel-an-die-Wand-malen gehört also zum Business- as-usual des Change Managements. So wie Anglizismen. Damit die Argumentation besonders gut verfängt, wirft man zuvor noch einen gezielten Blick in den Abgrund des eigenen Problems.

Publikum

Allerdings: Die einen motiviert die Zukunftsschock-Therapie, die andern lähmt sie eher. Beides blöderweise berechtigt. Insofern schlagen die Netz-Optimisten mit einem zweischneidigen Schwert um sich, bei der Argumentation mit der Disruption. Genauso wie die Dauer-Warner.

Denn all die Sterbens-Gleichnisse töten den Zukunftsoptimismus derer, die glauben, etwas zu verlieren zu haben. Etwa weil sie teilweise analog sind oder alt oder beides. Ich kann mich jedenfalls schwer mit dem Gedanken anfreunden, dass meine Erfahrungen nur noch anekdotischen Wert haben (wenn überhaupt).

Achtung, Achtung

Wer hier resigniert, gibt möglicherweise zu früh auf: Denn ein ganz entscheidendes Kennzeichen des Deutungskampfes ist, dass er erst etwas schafft, indem er es unwidersprochen behauptet. Wir leben in einer Behauptungskultur und damit gehen wir am besten um, indem wir uns dies klar machen.

Sicher, eine Gesellschaft braucht forsche Vordenker, aber ohne eigene Nachdenklichkeit wird es trotzdem nicht gehen.  Ich empfehle daher eine rezeptfrei eine kleine Achtsamkeitsmeditation gegen versuchten argumentativen Totschlag:

1. Achten wir auf das Wording: Was sagen die Worte wirklich aus?
2. Achten wir auf die Wortführer: Wer hat tatsächlich das Sagen?
3. Achten wir auf uns selbst: Was heißt das für meine Zukunft?

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  1. […] Wobei ich wagen will, zwei recht unterschiedliche Fälle zum Anlass für ein Update meines letzten Beitrags zu nutzen. Es geht einerseits um einen auffälligen Aussetzer und andererseits um einen ausfälligen […]

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