Eines vorweg: Ich halte das Internet nicht für böse und Google nicht für schlecht. Ich bin auch kein Suchmaschinen-Stürmer. Eher dieser Einerseits-Andererseits-Typ. Also bitte nicht schießen! Warum das jetzt? Weil sich die Auseinandersetzung um unser Lebenswelt-Betriebssystem wieder mal Richtung Religionskrieg entwickelt. Die Fronten erstarren und dabei gehen gute Argumente drauf.
Einerseits gibt auch heute wieder genügend Anlass, mit offenem Mund vor den technologischen Potenzialen des US-Unternehmens zu stehen. In aufrichtiger Bewunderung für faszinierenden Innovationsgeist. Andererseits gab es in letzter Zeit reichlich Stoff, um mit angstgeweiteten Augen auf die ökonomische Marktmacht von Google zu blicken. Aber während aus der Sportberichterstattung inzwischen das Kriegsberichterstattungs-Vokabular einigermaßen verbannt zu sein scheint, haben wir bei der Medienwandel-Diskussion den Funke-Pulverfass-Effekt.
Das Thema
Ich werde es einfach nicht mehr los, mein Unbehagen an der aktuellen Google-Debatte, in deren Verlauf Verlags-Managers Gabor Steingart zum „Freiheitskampf“ meinte aufrufen zu müssen, nachdem Google-Fürsprecher Jeff Jarvis zuvor den Deutschen Verlegern einen Stahlhelm im Kampf gegen den Suchmaschinen-Konzern aufgesetzt hatte.
Mittlerweile stelle ich eine gewisse Diskussions-Klima-Vergiftung fest. Im Prinzip richtet sich dieser Vorwurf an beide Seiten, Netz-Euphorische und Kulturpessimisten. Vermutlich weil ich auf einem Auge etwas blind bin, sind mir konkret aber mehr Blutgrätschen der „Netzgemeinde“ aufgefallen. Etwa hier, hier oder hier.
Mir geht es aber eigentlich um eine Auseinandersetzung jenseits der Rechthaberei. Das hab ich in einem Kommentar zu einem Post von Herrn Bernd Rubel auf Google Plus zum Ausdruck bringen wollen. Mir erscheint es exemplarisch genug und der Dokumentation an dieser Stelle wert.
Der Vorlauf
Ich hatte ein bisschen an einem geteilten Link herumgemeckert und für „eine Diskussionskultur jenseits von Polemik und Polarisierung“ geworben. Daraufhin folgte dieser kleine Positions-Austausch:
„+Dirk Hansen Ja, eine Diskussionskultur jenseits von Polemik und Polarisierung wäre wirklich schön.
Dann müsste ich nichts mehr von der „Zerschlagung Googles“ (Zitat Sigmar Gabriel), „Zensur“ (Zitat SPD-Bundestagsfraktion), „Internet-Giganten [die] ihre Marktmacht missbrauchen, um sich auf Kosten deutscher Verlage zu bereichern“ (Zitat Heiko Maas, man beachte das subtil eingefügte deutscher), „neofeudalem Machtmonopol“ und „digitalem Freiheitskampf“ (Zitat Gabor Steingart, Handelsblatt – huch, wir befinden uns im Krieg?) lesen.
Auch nichts von „depressiven Koalabären“ (Zitat Niklas Maak, hihihi, wie lustig) oder davon, dass das „Google Car Vorbote einer neuen, totalitären Religion“ sei (Zitat, siehe oben).
Ich rette mich in solchen Zeiten immer in die Analyse von irgendwelchen Rechtsgutachten kartellrechtlichen Analysen: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2206868
Die Kollegen in den Verlagen machen das seltsamerweise nicht. Vielleicht bringt das nicht genügend Traffic“
Meine Antwort
„Ich fürchte, Sie und ich werden weiter lesen müssen, was wir inhaltlich nicht teilen. Ihre einseitige Aufzählung ließe sich einfach mit Übergriffen der Gegenposition ergänzen, aber das war gar nicht mein Punkt. Überspitzungen und klare Standpunkte in harten Diskussionen sind ja völlig normal. Mir scheint derzeit nur leider das Gedröhn die Argumentation zu übertönen.
Wir erleben (mal wieder) eine Art Religionskrieg um die digitale Vernetzung, bei dem jeder den Splitter im Auge des Gegners zu erkennen meint, aber das Brett vorm eigenen Kopf nicht wahrnimmt. Dem Gegenüber wird dabei stets digitales Unverständnis, Machtgier oder Blödheit unterstellt. Vielleicht gleich alles zusammen. Das führt letztlich jedoch nur dazu, die eigenen Reihen zu schließen und die Auseinandersetzung mit kritischen Punkten zu vermeiden.
Der von Ihnen geteilte Post von „frau-dingens“ ist übrigens ein ganz gutes Beispiel dafür: Wer bestimmt denn eigentlich, was eine richtige und was „Die falsche Debatte“ ist? Nach dieser Logik ist nicht das Problem (Machtmonopole im WWW) das Problem, sondern es sind die Problematisierer. Weil sie früher selbst wirtschaftliche Quasi-Monopolisten waren (Verleger), weil sie eigene Machtinteressen (Bürgerliche Eliten) haben oder weil sie sich bei der Google-Suche verheddert haben (Steingart). Bedenkenswerte Einwände gegen die Diskutanten, die jedoch nicht reichen, um gleich die Diskussionen zu den Akten zu legen.
Aber beispielsweise auch Ihr Umgang mit dem Gabriel-„Zitat“ geht meiner Meinung nach fehl: Wo hat Sigmar G. in dem FAZ-Beitrag denn wörtlich von einer „Zerschlagung Googles“ gesprochen? Und was ist eigentlich mit den vielen bedenkenswerten Passagen im Beitrag unseres Wirtschaftsministers zum reflektierten Umgang mit den Problemen und Chancen des Digitalen Wandels? Haben die sich einfach in Luft aufgelöst, nur weil Gabriel als „Ultima Ratio“ (nach sorgfältiger Prüfung) auch eine wettbewerbsrechtliche Entflechtung ins Spiel gebracht hatte?
Ihre obige Aufzählung ist – bis auf das Gabriel-Zitat – natürlich ein richtiger Beleg dafür, dass es sich beide Seiten gern in ihrer Ecke bequem machen. Vermutlich, weil die Suche und Interessensausgleich, nach Regeln und Grenzen extrem unsexy ist. Kompromisse umgibt wohl immer ein Hauch von Scheitern.
Offenbar ist uns jedenfalls allen die Komplexität der Fragestellung ein wenig über den Kopf gewachsen. Mit der üblichen Konsequenz: Vereinfachen und Verdrängen. Sowie: Lagerdenken. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. So wird die Arbeit an vermittelnden Positionen schwer. Meine bescheidene Erfahrung hat mich aber gelehrt, dass nur diese am Ende einigermaßen tragfähig sind.
Gerade weil ich nicht gern zur Wahl zwischen Dystop und Utopist gezwungen werde, reite ich so auf der Diskussionskultur herum und schreibe derart längliche Repliken. Sorry.“
Ja, Entschuldigung. Weder hege ich hier eine originelle Sorge noch habe ich einen konkreten Ausweg beschrieben.
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