Wir sind dann mal weg – Zeitungstod

Krisenszenario

Krisenszenario

Dieser Sommer eignet sich wohl ideal für hitzige Mediendebatten. Kaum eine Chance, kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt stirbt auch noch die Zeitung. Mal wieder. Die einen wollen die Zeitung wiederbeleben, die anderen tragen sie zu Grabe. Für beide Positionen gibt es berechtigte Argumente. Rechthaberei wird allerdings der Debatte kaum gerecht. Geht es doch um den richtigen Weg in eine Zukunft, die keiner kennen kann. Was außer dem Verleger der Washington Post bislang allerdings kaum jemand zugeben mag. Das ist ein Problem. Nun müssen ganz offensichtlich Internet-Unternehmer  als „Sugar Daddies“ den Journalismus retten. Noch ein Problem.

Politiker und Rundfunkverantwortliche können derzeit kurz durchatmen: Die Verleger sind gerade die aktuellen Voll-Pfosten. Verschlagen und verschlafen hätten sie die digitale Medienentwicklung so lange verschleppt, bis sie nur noch rechtzeitig verkaufen oder untergehen können. Nach Jahren der – tatsächlichen oder gefühlten – Vernachlässigung durch die Etablierten kann sich die neue digitale Medienelite inzwischen vor Interviewanfragen und Beratungsaufträgen kaum retten. Der Kauf der Washington Post durch den Amazon-Chef symbolisiert insofern auch eine Art Machtübernahme, die seit Langem imgange ist.

Wie einst die Schallplatte, so verwandelt sich die gedruckte Zeitung zunehmend in einen nostalgischen Gegenstand. Gedrucktes wird es trotzdem selbst in zwanzig Jahren noch zu kaufen geben. Genau wie bei den Platten. Daran glaube ich, weil es auch diesmal bei einem der fundamentalen Gesetze der Publizistik bleiben dürfte: Jedes neue Medium schüttelt den alten Bestand mehr oder weniger kräftig durch, ohne ihn aber gleich ganz zu vernichten.

Zugegeben, beim digitalen Wandel wackelt es sicher eher etwas mehr. Die Erregung über das gewaltige Potenzial der Möglichkeiten verstellt den Diskutanten aber manchmal den nüchternen Blick aufs Detail. Bei allem Respekt vor den Diskussionen der Alphamedien und Edelfedern – mich interessieren diese Sieg-oder-Tod-Zuspitzungen weniger. Vielmehr sollten wir akzeptieren, dass wir ein paar sehr interessante Fragen auf dem Tisch haben:

– Sind Medienmanager grundsätzlich blöd?

– Was wissen wir über das Publikum?

– Ist die Zeitungskrise neu?

– Haben wir einen Qualitätsbegriff?

– Wie läßt sich Journalismus finanzieren?

1. Sind Medienmanager grundsätzlich blöd?

Es klingt ja in vielen Medienblogs durch –  so in etwa: Wie doof muss man als Manager von Traditionsmarken sein, um den digitalen Wandel so zu vergeigen (Ich glaube, die Szene sagt auch gern „verkacken“)? Spontan würde ich sagen: In etwa so blöd wie ich. Das ist möglicherweise ein bedenklicher Vergleich und tut vielen unrecht. Aber aus eigener Erfahrung im Change Management bescheidenen Maßstabes kann ich sagen: Gefahr erkannt ist leider noch lange nicht Gefahr gebannt. Es ist viel einfacher die Frage nach dem Ei des Columbus zu stellen als eines zu finden bzw. selbst anzufertigen. Mir erschien die gängige Forderung, mal „ganz neu zu denken“, den ganzen alten Krempel zu vergessen und sich voll ins digitale Abenteuer zu stürzen, immer etwas kokett.

Diese Sichtweise vernachlässigt regelmäßig, dass Medienbetriebe oft komplizierte historische Konstruktionen sind, die sehr unterschiedliche Ziele bündeln müssen. Und das auch noch als Kompromiss vieler Beteiligter. Zum Beispiel müssen solche Organisationen vernünftig wirtschaften und gleichzeitig gesellschaftliche Werte schaffen. Beide Aspekte kann man zusammenkleben, wie es etwa Verleger seit vielen Jahrzehnten getan haben. Nur wenn der Geldstrom, warum auch immer, versiegt, drängt der Widerspruch brutal zutage. Journalismus ist ein Wert, aber im engeren Sinne kein Geschäftsmodell.

Die Reaktion auf das Problem folgt stets ähnlichen Gesetzen. Zunächst wird versucht, wo es geht zu sparen. Dann geht es doch an die festen Strukturen. Und zum Schuss wird darüber nachgedacht, ob eigentlich eine realistische Zielvorstellung herrscht (Öffentlicheit, Shareholer Value, Besitzstände). Das ist natürlich eigentlich die falsche Reihenfolge. Nur erzwingt der Zeitdruck häufig genau diese Vorgehensweise. Wir wollen einfach zu schnell leben, um uns auch noch lange Gedanken darüber machen zu können, in welche Richtung. Zumal wir dann auch darüber nachdenken müssten, ob wir auf die eine oder andere Fortschrittssegnung lieber verzichten sollten.

2. Was wissen wir über das Publikum?

Ich behaupte: Noch zu wenig, wenn man bedenkt, dass es um den Wert der Medien für die Gesellschaft geht. Natürlich werden die Interessen der Mediennutzer heutzutage intensiver vermessen denn je. Aber dies geschieht überwiegend unter dem Aspekt der Konsumenten-Forschung. Offensichtlich verlagern sich die einstigen „Massen-“ Publika von Presse, Funk und Fernsehen in die digitale Vielfalt, um dort als flüchtige Klicks fortzuexistieren. Es wird darauf ankommen, aus Kunden wieder Bürger zu machen und ihnen Orte der Versammlung zu schaffen. Meinetwegen digitale und meinetwegen globale. Aber auf jeden Fall müssen die Menschen auch in Zukunft auf eine vernünftige Struktur zur Herstellung von Öffentlichkeit vertrauen können.

Derzeit haben sich die Individuen eher im Netz verfangen. Wir müssen die neuen Strukturen der digitalen Öffentlichkeit erst wieder entwirren. Auch voreilige Fröhlichkeit über partizipative Strukturen sollte genau untersucht werden. Häufig fällt auf, dass die Reaktionen eines aktiven Publikums auf Facebook oder in den Kommentar-Foren als Wille des Volkes verallgemeinert wird. Das ist etwas voreilig. Die große SPIEGEL-Multistory hat online zu 175 Kommentaren und (nach einer Momentaufnahme am 8.8. um 14.25 Uhr) zu 170 Tweets sowie 967 Facebook-Empfehlungen geführt. Für einen ordentlichen Shitstorm reichen schon 10.000 Nutzer. Allein in Deutschland leben gut 80 Millionen Menschen. Viele von Ihnen nehmen nach wie vor das Recht für sich in Anspruch, weniger aktiv zu sein und Verantwortung zu delegieren. Deren Informationsbedürfnis könnte in diesen hippen Zeiten unter die Räder geraten.

2. Ist das Problem der Zeitungen neu?

Läßt sich schnell abhandeln: Nein, das Problem kommt durch den Digitalen Wandel nur auf den Punkt. Den Beginn der Krise des Zeitungsjournalismus kann man auch schon viel früher ansetzen. Mit dem Verlust der publizistischen Vielfalt durch die so genannten „Ein-Zeitungs-Kreise“. Bereits seit vielen Jahrzehnten wirken hier ökonomischer Druck und technische Entwicklung zusammen und haben vielerorts Monopol-Strukturen geschaffen. Mit denen ließ sich richtig gutes Geld verdienen. Meist konnten sich aber nur die großen Verlagskonstruktionen in diesem Verdrängungsprozess halten. Bis vor kurzem jedenfalls.

3. Haben wir überhaupt einen verbindlichen Qualitätsbegriff?

Haben wir nicht und werden wir vermutlich auch nie haben. Sicher behaupten das viele Diskutanten, von denen wiederum die meisten bei der „Investigativen Recherche“ landen. Aber Journalistinnen und Journalisten ergreifen einen Beruf mit bewusst offen gehaltenem Zugang sowie mit einem breiten Spektrum an Themen und Darstellungsformen. Wie vielfältig und manchmal auch abgründig schwierig die Situation ist, können wir seit Jahren in wissenschaftlichen Studien nachlesen, die Titel tragen wie „Souffleure der Mediengesellschaft“ (Weischenberg 2006).

Jenseits der Festschriften und Sonntagsreden gibt es eine reale, pragmatische Sicht: Publizistische Qualität enthält objektive, anerkannte Normen wie „Recherche“, subjektive Aspekte wie „Haltung“ und einen Bezug zu den Bedürfnissen des Publikums wie „Nutzwert“. Das macht Qualität subjektiv und relativ. Und teuer.

4. Wie läßt sich Journalismus künftig finanzieren?

Weit mehr als die „Eine-Million-Dollar-Frage“. Ich beginne mit dem beruhigen Hinweis: Geld ist genug im Spiel. Deutschland bringt ein erhebliches Volumen an Rundfunkbeiträgen auf. Darüber hinaus geben die Deutschen weitere Milliarden für Medienkonsum On-/Offline aus. Jedoch bezahlt das Publikum nur zu einem Bruchteil die Produkte und ganz überwiegend die Herstellungsstrukturen, ob nun privat oder öffentlich-rechtlich. Langsam wächst deshalb der Unmut der Nutzer, zumal ihnen das Internet vorgaukelt, dass das alles billiger geht und die einzigen Apparate, die man wirklich braucht, PCs, Tablets oder smartphones sind.

Nun zeichnen sich mehrere Tendenzen ab: Zum einen werden sich die Besitzverhältnisse ändern. Aus dem Verlegermodell wird das Digital-Unternehmer-Szenario werden. Auf diesen Weg hat sich der Springer-Verlag begeben. Im Zentrum des Interesses steht hier nicht mehr der Leser, dem auch noch etwas anderes als Zeitung verkauft wird, sondern der Kunde, dem unter anderem auch journalistischer Inhalt angeboten wird.

Eine weitere Entwicklung wird den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen. Dessen Milliarden werden künftig stärker an Zwecke gebunden werden, die der Markt von allein nicht regulieren wird oder will. Beispielsweise kulturelle oder regionale Vielfalt in den Medien. Das zähe Ringen um die Perspektive der Öffentlich-Rechtlichen ist allerdings gerade erst eröffnet.

Aus den USA kommt wieder eine dritte Perspektive: Stiftungen. In den Staaten hat es Tradition, dass Reiche einen großen Teil ihres Vermögens an Institutionen vergeben, die public value finanzieren. Dazu gehört auch Qualitätsjournalismus.

Wo wir bei englischen Begriffen sind, soll das Stichwort crowdfunding ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Nutzer finanzieren vorab journalistische Projekte, die sich auf entsprechenden Plattformen präsentieren. Journalisten müssen hier ihr Projekt „verkaufen“, was den Vorgang transparent macht, aber nicht jedermanns Sache sein dürfte. Der letzte Anglizismus setzt ebenfalls auf die Bereitschaft der Kundschaft, für das Erwünschte auch zu zahlen: micropayment. Ich zahle für den einzelnen Artikel. In dieser freien digitalen Markwirtschaft sehen einige die Rettung des (Qualitäts-) Journalismus.

Im Ergebnis wird es also auf eine Modellvielfalt hinauslaufen. Manch lieb gewonnen Tradition wird gleichwohl untergehen. Wir stehen nun mal mitten in schwierigen Diskussionen. Solche Entwicklungen kennt man allerdings auch aus anderen Branchen, wo sie zum Teil sogar ruppiger verlaufen. Was macht das Mediensystem also so besonders  – außer dass seine Beschäftigten das Privileg haben, ihre Situation ausführlich öffentlich zu diskutieren ? Es ist dies der Funktionsauftrag für die Gesellschaft. Sie braucht eine verlässliche Form der Öffentlichkeit. Der wiederum ist weder an Papier gebunden noch durch die digitale Entwicklung einfach erledigt.

Doch, es gibt ein Leben nach dem Zeitungstod.

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