Weniger Daten sind mehr Demokratie

 

Evgeny Morozov blickt nach vorn. (Quelle: International Journalism Festival 2011)

Evgeny Morozov blickt nach vorn. (Quelle: International Journalism Festival 2011)

Auch der 10. Oktober 2013 hat seinen Hype: Start der deutschen Ausgabe des Online-Magazins „Huffington Post“. Für mich ein sehr guter Tag, um über ein ganz anderes Thema zu bloggen. Denn „nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit“, sagte uns schon der journalistische Altmeister Egon Erwin Kisch. Derzeit liegt die Wahrheit zum Medienwandel im Werk von Evgeny Morozov. Wirklich.

Gerade ist sein Buch „Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen“ erschienen, nachdem das amerikanische Original schon seit Monaten für interessante Diskussionen sorgt. Evgeny Morozov verlangt darin, den digitalen Wandel endlich zu politisieren und zu moralisieren. Vor allem den „Informations-Konsumismus“ will er bekämpfen. Denn sonst werde uns ökonomisches Kalkül und technologischer Fortschrittsglaube versklaven. Starker Tobak und doch sehr bekömmlich.

Nachdem der Philosoph und Soziologe Zygmunt Baumann mit seiner „Verflüssigten Moderne“ den Status Quo unübertroffen zugespitzt hat, treibt Morozov die Auseinandersetzung nun virtuos in Richtung Zukunft. Durchaus eine plausible intellektuelle Arbeitsteilung: Der über 80-jährige Baumann leitet uns die Entwicklung her und  Morozov (29) denkt sie weiter. Sogar über das Zeitalter des WWW hinaus, weshalb Morozov „Internet“ in seinem Buch beharrlich in Anführungstriche setzt. Rezensenten finden das manchmal anstrengend, aber dieser Gestus ist zumindest ein selbstbewußtes Zeichen gegenüber der Dominanz des Silicon Valley, aus dem derzeit alle Welt – inklusive der journalistischen  – ihre Visionen zu beziehen scheint.

Dabei sieht sich Morozov keineswegs als Technikfeind oder Sozialromantiker. Den ewigen Streit zwischen Internet-Utopisten und Kulturpessimisten entlarvt er als Nebenkriegsschauplatz, wenn nicht sogar als Ablenkungsmanöver. Weder verklärt der Autor die angeblich menschlichere vortechnische Vergangenheit noch feiert er das World Wide Web als Erlösung von allem Übel. Morozov will einfach einen Neoliberalismus entlarven, der sich bislang ziemlich erfolgreich als Freier Informationsfluß tarnt.

„Sharing Economy“ ist nach Morozov auch so eine verführerische Täuschung. Denn die funktioniert nur mit der exzessiven Ausbeutung der User. Wir füttern immer mehr nützliche Applikationen mit Daten, die unsere persönlichen Lebensumstände, Fähigkeiten und Träume in eine Währung namens „Information“ verwandeln. Das Teilen wird vor allem in Sozialen Netzwerken oft mit lyrischen Ausdrücken gefeiert wie „sharing is loving“. Aber sharing bedeutet im neoliberalen Netz vor allem: Wettbewerb. „Das Smartphone wird zum Echtzeitrechner, der den Kurswert unseres Lebens bestimmt,“ schreibt der weissrussische Autor in der Süddeutschen Zeitung.

Morozov macht anhand vieler, teilweise skurriler Beispiele auf überraschende Konsequenzen unserer Datenfreigiebigkeit aufmerksam. Wenn Menschen ihren gesunden 1-A-Lebenswandel der Krankenkasse melden, um bessere Tarife zu erhalten, eröffnen sie gleichzeitig für die anderen den Wettbewerb mit. Wenn Hausbesitzer erwarten, auf sozialen Netzwerken persönliche Informationen von Mietaspiranten prüfen zu können, dann sitzten die Social Media-Muffel im Zweifel auf der Straße.

In der smarten neuen Welt soll bald jeder seine Probleme allein lösen können. Denn schließlich gibt es für alles ein Tool und einen Coach. In dieser perfekten Verhaltensökonomie muß der Staat nur noch die Prozesse überwachen. Ansonsten optimiert sich jeder selbst. Das „Self-tracking“, die Vermessung des Ich und die Aufgabe der Privatheit schaffen die notwendige Datenbasis. Wer jetzt noch Probleme hat, dem ist nicht zu helfen. Wozu braucht es da noch öffentliche Einrichtungen der Fürsorge oder politische Diskussionen um deren Auftrag und Finanzierung? Ja, hat sich nicht auch die stets etwas mühsame Demokratie mit ihren ewigen Kompromissen gleich mit überlebt?

Im Lichte dieser Fragestellungen wirken viele Diskussionen erschreckend marktradikal, vor allem im Medien-Millieu, das von Schwarzweiß-Dramaturgien lebt, diese aber oft mit der Realität gleichsetzt. Aufschlussreich erscheint mir dazu der Beitrag eines der wichtigsten journalistischen Bloggers des Landes, Richard Gutjahr, unter der Überschrift „Breaking the utterly bad: Die bevorstehende TV-Revolution“

Darin prohezeit der Autor den bevorstehenden Untergang der bisherigen Fernsehprogramme samt ihrer unbegabten Funktionäre und die globale Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger TV-Serien. Gutjahr fordert von den Medienmachern mehr „Kundenorientierung“. Und nennt Vorbilder:  „Apple, Amazon, Google und Netflix weisen den Weg.“

Vieles an dem Post hat fachlich bestimmt Hand und Fuß, übrigens auch in den teilweise differenzierten Kommentaren. Irritierend ist gleichwohl der martialische Ton, die Verabsolutierung des eigenen Geschmacks und die Ignoranz gegenüber dem weniger gut ausgerüsteten Mainstream-Publkum. Hart klingen auch die Empfehlungen für die Programm-Macher der TV-Branche: „Sei der Erste und sei der Beste – alles dazwischen braucht kein Mensch!“ Und „Ehre die Daten“. Die Grenze zum Sozialdarwinismus ist da nicht mehr allzu fern.

Nicht nur hier zeigt sich: Die digitale Elite wird jedenfalls langsam sehr ungeduldig. Aber noch ist der Generationen-Graben nicht unüberbrückbar zugeschüttet. Es sei daran erinnert – der technikaffine Technologie-Kritiker Evgeny Morozov ist noch keine 30 Jahre alt! Somit besteht weiter Hoffnung auf eine Debatte des digitalen Wandels, in der es weniger um die Anpassung von Menschen und Institutionen an eine angeblich unaufhaltsame Entwicklung geht als um die gesellschaftlichen Ziele, für die wir Technologien einsetzen wollen.

Naiv? Ja. Genauso naiv wie der Start der Umweltbewegung. Sicher auch ebenso anstrengend und langwierig. Aber nachhaltiger als die Auseinandersetzung zum Beispiel um die HuffPo.

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