Wir leben im Zeitalter der medialen Offenlegung. Wer in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen will oder zumindest dort keinen Verdacht erregen mag, der sollte sich tunlichst „transparent“ verhalten. Persönlich auskunftsfreudig sein, so wie zum Beispiel Digital-Trendsetter Sascha Lobo. Oder mit allem rechnen. Ist das auch gut so? Naja.
Auch wenn es sich um keine der üblichen Sensationen des Medienbetriebes handelt, ist der Vorgang dennoch bemerkenswert: Einer der bekanntesten und gefragtesten deutschen Internet-Experten, Sascha Lobo, hat gerade auf seiner Web-Präsenz eine umfangreiche Seite namens „Transparenz“ erstellt. Wie er selbst dort schreibt, zur
“ öffentlichen Nachvollziehbarkeit meiner Positionen, Geschäftsbeziehungen und Aktivitäten der letzten fünf Jahre.“
Warum das? Nun, eben weil er so bekannt und gefragt ist und damit in der Diskussion um den digitalen Medienwandel eine große Rolle spiele, als Teil der netzpolitischen Öffentlichkeit, so Lobo. Vor allem würden sich
„die Ansprüche des Publikums an den professionell organisierten Teil der Öffentlichkeit wandeln“.
Genauer gesagt, geht Lobo wohl davon aus, dass zu einer einflussreichen Person auch vorauseilende Information gehört.
Man kann das Leitmotiv der schönen neuen Medienwelt einer digital vernetzten Gesellschaft durchaus auch so ausdrücken, wie auf der oben gezeigten Scherzpostkarte, die ich vor Jahren bei einem Kneipenbesuch mitgehen (ups) ließ: „Beweise Deine Unschuld“.
Nun gehört Sascha Lobo zu den reflektierten und differenzierten Figuren des Internet-Diskurses. Er nimmt verblüffend oft vermittelnde Positionen im Heiß-kalt-Diskurs des Web ein. Offenbar will Lobo nun ein konstruktives Beispiel für vertrauensbildende Maßnahmen geben. Denn in der Tat regiert zunehmend Misstrauen digitale Debatten. Da wirken personenbezogene Hintergrundinformationen durchaus als notwendige Ergänzung zur allgegenwärtigen Selbstvermarktung.
Also einerseits: löblich.
Aber andererseits: bedrohlich.
Vertrauen und Controlling
Man kann diesen selbst auferlegten Rechtfertigungszwang nämlich durchaus kritisch sehen. Denn eine permanente Beweislastumkehr – wie die Juristen sagen würden – stärkt eine gewisse, machbarkeitswahnhafte Netzöffentlichkeit, die glaubt, Vertrauen durch Controlling ersetzen zu können. Nämlich durch stets verfügbare Nachweise der persönlichen Integrität. Diesen Ansatz halte ich auch im Zeitalter von Very Big Data für reichlich vermessen. Und für gefährlich.
Im Übrigen: Wer ist eigentlich „das Publikum“ und wie lässt sich deuten, wie dessen Ansprüche an Nachvollziehbarkeit tatsächlich aussehen? Elternhaus und Bildungshintergrund eines Kommunikators sehe ich zum Beispiel als sehr wichtig an , um den Habitus prominenter Kommunikatoren im öffentlichen Raum zu deuten. Also: Offenlegen?
Wer auf den Markt der digitalen Aufmerksamkeit tritt – und das sind wir ja praktisch alle – für den gilt jedenfalls schon längerdas Google-Motto: „Don´t be evil“ – stelle nix Böses an. Nichts, was für dich einmal peinlich oder schädlich sein könnte.
Sterben der Unschuldsvermutung
Möglicherweise steht ja auch unser Rechtssystem vor einer Disruption, einer schöpferischen Zerstörung durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Gesellschaftsvernetzung. Aber etwas mulmig ist mir schon länger zumute, seit jedermann und jede Frau immer stärker und immer schneller öffentliche Pranger aufstellen können. Dank so vieler medialer viraler Echtzeit-Plattformen.
Vor nicht allzu langer Zeit, ebenfalls so eine eher kleine Meldung, hat der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke – er verteidigte den Guantanamo-Häftling Kurnaz – das Thema in einer Rede auf den Punkt gebracht:
„Wie der Rechtsstaat zu Grunde berichtet wird. Vom langsamen Sterben der Unschuldsvermutung.“
Darin übt Docke auch Medienkritik daran, dass „das Internet wie ein Teilchenbeschleuniger der Gerüchteküche wirkt und Flashmobs des gesunden Volksempfindens eine Art Paralleljustiz bilden“. Beispiele dafür fallen sicher uns allen reichlich ein.
Mir scheint, wir sind immer noch auf der Suche nach dem geeigneten menschlichen Maß für die gesellschaftliche Kommunikation. Sicherlich schadet es nicht, wenn Institutionen und Personen von öffentlichem Rang mehr über sich verraten. Aber es muss weiterhin möglich sein, auch ohne einen Riesen-Beipackzettel kritische Positionen zu setzen. Ansonsten blickt vor lauter Transparenz bald keiner mehr durch.
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