Venedig und die Bücher – nicht unterzukriegen

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Selten  war mehr Umbruch, Aufbruch, Abbruch. Die Chronik des angekündigten Todes von „Wetten dass…“ beschreibt uns wohl den Weg zur „Unterhaltung 4.0“. Gestorben wird in der Medienbranche im Wochentakt: Zeitungen, Sendungen, Hoffnungen. Wir sollten dem permanenten Untergang aber optimistisch ins Auge sehen. Das geht am besten in Venedig und am allerbesten im „Aqua Alta bookshop“. Ein skurriles Gleichnis zum Medienwandel der Zeiten.

Gut, vorweg sei eingestanden: Es wurde natürlich alles schon mal entdeckt. Jedoch noch nicht von jedem! Neulich stieß ich jedenfalls am Ende einer namenlosen Gasse im venezianischen Stadtteil Castello unvermutet auf die „libreria aqua alta“.

Wohl schon zehn Jahre lang existiert diese Inszenierung eines Antiquariates. Sie mäandert in den Magazin-Räumen einer alten Casa nahe der Kirche Santa Maria Formosa. Vollgestopft mit Comics, Bildbänden, Hardcover-Romanen und Taschenbüchern. Die lagern, scheinbar willkürlich, auf Tischen, in Ecken und Eimern. Sogar in einer ausrangierten Gondel.

Luigi Frizzo, der freundliche, polyglotte Betreiber, weiß aber ganz genau, wo der Kunde was findet. Die Konstruktionsgeschichte der Vaporetti etwa, der Wasserbusse Venedigs, oder die illustrierten Abenteuer eines Seemannes in Schlaghosen namens Corto Maltese. Man sollte aber sich vom antiken Ambiente nicht täuschen lassen: Der überwiegende Teil des Sortiments besteht aus neuen Büchern. Im Schwerpunkt zum Thema Venedig, aber auch andere Sujets liegen aus. Mehrsprachig sowieso.

Schließlich ist das kein Flohmarkt,  sondern ein Buchladen 4.0. Angeschlossen allerdings vor allem an das Kanal-Netz der Lagunenhauptstadt. Lokal und global, antik und modern, persönlich und professionell. Nichts scheint ausgeschlossen, nichts unvereinbar an diesem Ort. Was für eine schöne Erfahrung, dass sich weder eine Stadt wie diese noch ein Medium wie das Buch so einfach unterkriegen lassen!

Besucher werden von Luigi Frizzo stets auf eine Besonderheit hingewiesen. Ein kleiner Hinterhof schließt das Gelände zum Kanal ab. Dort haben die Betreiber eine Treppe aus alten Büchern errichtet. Wer sie besteigt (und die schwarze Katze von der höchsten Stufe vertreibt), wird mit einem Postkartenblick belohnt. So sorgen selbst ausgediente Foillanten noch nach Außerdienst-Stellung in Würde für einen erhebenden Anblick.

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Allerdings wird der Laden ab und  an tatsächlich vom Aqua Alta überflutet. Die Ware lagert immerhin hoch genug, zum Teil eben auch in Booten. Sachte Zweifel kommen auf: Geht es hier am Ende doch nur um Werke, die keiner mehr liest in Gefäßen, die keiner mehr braucht?

Nein, so einfach ist das wirklich nicht. Ein zweiter Blick zeigt, wie durchaus clever und modern diese Büchergruft vermarktet wird. Denn selbstverständlich kreisen seit Längerem viral die Informationen zum „Aqua Alta Bookshop“. Facebook –Auftritt, You Tube-Video, TripAdvisor.

Was dann wiederum Folgen hat. Schließlich war Geheimnis war gestern, in analoger Vorzeit. Heute leben wir in einer transparenten Echtzeit. Mit-Teilen bringt Venedig-Liebhabern jede Besonderheit sofort auf den Schirm. Und löst sie damit gleich ein bisschen auf. So sieht sie aus, die konsequente Verbindung von Tradition und Innovation. Post-romantisch gewissermaßen.

Sanft, aber gewaltig fließt nun der Tourismus-Mainstream durch die Gewölbe des skurrilen Bücherladens. Vom Verlust des alten Charmes, von der Banalisierung des Sortiments, von Video-Überwachung und  rauchenden Hilfsverkäufern, gar von baldiger Schließung raunen nun die Eingeweihten. Die Avantgarde ist bereits enttäuscht von der Entwicklung der libreria aqua alta.

Insofern endet auch diese Geschichte nicht mit einem statischen Happy End. So ist der digitale Wandel nun mal nicht gestrickt. Alles bleibt in Bewegung, mal in die richtige, mal in die falsche Richtung. Falls sich das überhaupt so festlegen lässt.

Denn selbst die schönste Form Vergänglichkeit ist leider auch … vergänglich.

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