Staatsanwaltschaftlicher Journalismus

 

Nicht niedlich(Foto: Eneas de Troya, Flickr CC BY 2.0)

Nicht niedlich(Foto: Eneas de Troya, Flickr CC BY 2.0)

Tatort Buchmesse Frankfurt: „Krimi-Speed-Dating“. Auf einem blauen Sofa sitzen zwei Journalistinnen sowie ein Journalist. Und reden über Bücher. Die eigenen Bücher: Ursula Poznanski, Petra Reski und Ulrich Wickert haben allesamt Krimis geschrieben. Typisch.

In den Werken geht es um, klar, Verbrechen, aber auch um Gesellschaft und um WasmitMedien. Damit folgen die drei sicher ein bisschen der ewigen Sehnsucht von Journalisten, sich vom „Tagesschriftsteller“ zum Buchautoren hoch zu entwickeln.

Aber hinzu kommt eine weitere, mächtige Tendenz dieser Wandelzeit: Wirklichkeit und Fiktion teilvirtuell neu abzumischen. Eine Fortsetzung des Journalismus mit anderen Mitteln, als Fiktion mit Funktion. Die Steigerungsregel für publizistische Wirkung ginge dann so: Artikel, Sachbuch, Krimi.

In diesem Blog habe ich das Prinzip der Verflüchtigung von Medienarbeit und -kritik ins Fiktionale da und dort beschrieben. Deshalb will ich mich jetzt auf das publizistische Selbstverständnis der drei Sofa-Insassen beschränken, so wie ich das – höchst subjektiv –  aus ihrem Werk herauslese. Und aus ihrem Alter.

Drei Generationen, drei Rollenmodelle

Die gereifte Generation klärt nüchtern auf: Ulrich Wickert, Jahrgang 1942, beschreibt in „Das Schloss in der Normandie“ Mädchenhandel mit Polit-Verstrickungen. Sein Untersuchungsrichter, Jaques Ricou, sammelt Fakten, Fakten, Fakten.

Folgerichtig zitiert der Verlag eine Rezension des Hamburger Abendblatts:

Eines jedenfalls hat Ulrich Wickert mit seinem aufrechten Untersuchungsrichter gemein: Auch der Journalist ist in seinen Geschichten der Aufklärung verpflichtet.

Die  Baby Boomer engagieren sich: Petra Reski, Jahrgang 1958, geht da härter ran, im journalistischen wie im schriftstellerischen Leben.  In ihrem neuen Roman „Die Gesichter der Toten“ kämpft ihre Protagonistin, die Staatsanwältin Serena Vitale, ziemlich allein gegen die Mafia. In Sizilien, Venedig und im Ruhrpott.

Die Generation X unterhält informativ: Ulrike Poznanski, Jahrgang 1968, ehemalige Medizin-Journalistin, lässt ihre Expertise in die Schilderung der psychiatrischen Station des Klinikums Salzburg-Nord einfließen. Dort gibt es Tote, Traumatisierte und Töne. „Stimmen“ verfolgt keinen investigativen Ansatz, sondern die Botschaft lautet: spannende Unterhaltung in realistischer Szenerie.

Wiederholungstäterin

Einen näheren Blick lohnt die Autorin, die den Grenzgang besonders konsequent vollführt: Petra Reski.

Worum es der Autorin in ihrem neusten Roman „Die Gesichter der Toten“ inhaltlich geht, lässt sich sehr gut anderorts nachlesen, nachschauen oder nachhören. Mir geht es ja ums Prinzip.

Wer sich in das Schaffen der Schriftstellerin Petra Reski vertieft, wird im aktuellen Roman mühelos Figuren wiedererkennen, über die die Journalistin Reski bereits berichtet hat. Und gegen die sie zum Teil prozessieren musste. Eher leicht chiffriert werden Geschichten aus den Sachbüchern „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ (2008) oder  „Von Kamen nach Corleone“ (2010) erneut erzählt.

Tatsächlich handelt es sich hier also um eine Wiederholungs-Täterin. Markensoziologish könnte man das Vorgehen von Petra Reski als „Selbstähnlichkeit“ deuten. Jeder einzelne Teil ihres Werkes repräsentiert zugleich das große Ganze. Artikel, Blog, Sachbücher, Romane, öffentliche Auftritte. Überall gegen die Mafia.

Eine Marke mit Motiv: In Italien wie in Deutschland werde die organisierte Kriminalität immer wieder zur Folklore verklärt. Trotz der üblen Geschäfte, der Morde und der Korrumpierung des gesamten gesellschaftlichen Systems. Das ärgert Reski.

Wenn Sie darüber als Journalistin und Sachbuchautorin berichtet hat, stieß sie an oft die Grenzen des Presserechts. Diese erlebt sie fast wirkungsvoller als die Mauer des Schweigens, die häufige sogar von geschwätzigen Mafiosi selbst durchbrochen wird.

Medienkritik als Karikatur

Frustration über das journalistische Kerngeschäft  kompenisert die Autorin amüsant mit ätzender Medienkritik, welche sich wie ein roter Faden durch die zwei Serena Vitale-Krimis zieht. Karikiert wird die Branche in der Figur des verbitterten Reporters uralter Schule, Wolfgang W. Wieneke. Der in etwa so durch den digitalen Medienwandel stolpert:

Wieneke stöhnte, Antimafia-Blog, schon wieder so eine Gutmenschen-Nummer, die Welt war verpestet mit Hobby-Journalisten, die nicht kapieren wollten, dass man mit guten Absichten allein nicht weit kam.“

(…)

Ein Profi führ immer den gleichen Stiefel. Die jungen Typen in den Kapuzenpullovern, die sich Vollbärte wachsen ließen, literweise Latte schlürfen und die Welt nur noch von Google Street View kannten, wussten natürlich nichts davon, wie das so ist, wenn in den Adern kein Blut, sondern Druckerschwärze fließt.

(…)

Auf Facebook verblödeten selbst Bosse, die man für intelligent gehalten hatte. Katzenvideos, Kinderfotos, Hochzeitstorten irgendwann war kein Halten mehr, und Mafioso posteten klavierspielende Wellensittiche, Rezepte für libanesische Pizza and Aristoteles-Sentenzen: Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.

(…)

Wir sind kastriert worden. Von dieser Facebook-WhatsApp-Twitter-Herde. Und von Schlipsträgern, die uns dazu abrichten wollen, statt Artikel Advertorials zu schreiben. Und crossmedial zu denken statt investigativ.

Staatsanwaltschaftlicher Journalismus

Petra Reski agiert also in mehrfach aufklärerischer Mission. Selbst mit einfachen Grundkenntnissen in literaturkritischer Küchenpsychologie kommt man schnell auf den Verdacht: Vor allem die unermüdliche Staatsanwältin Serena Vitale ist die Fortsetzung von Petra Reski mit anderen Möglichkeiten.

In der wirklichkeitsnahen Fiktion kann sie so „staatsanwaltlichen Journalismus“ leben, ohne auf juristische Hindernisse wie Unschuldsvermutung, Beweislast oder Persönlichkeitsrechte weiter achten zu müssen. Rechtsmittel ausgeschlossen.

Rechtliche Restriktion versus Journalistin mit Mission, darüber lässt sich medienethisch durchaus streiten.

Spannend bleibt aber vor allem die Wirkungsfrage: Lässt sich die Öffentlichkeit mit Fiktions-Journalismus aufrütteln oder doch  nur unterhalten? Die Antwort muss allerdings offen bleiben. Vielleicht ergreifen die Autorin gelegentlich dieselben Vergeblichkeitsgefühle wie ihre wackere Roman-Protagonistin.

Andererseits gibt es für derlei Inhalt unbestreitbar einen Wachstums-Markt. Das eingangs erwähnte Quartett auf dem blauen Sofa der Buchmesse wurde übrigens durch einen verspäteten Gast vervollständigt: Oliver Bottini. Ein Krimi-Autor  mit Germanistik-Studium und einer ebenfalls interessanten Zusatzqualifikation: Mediator.

Trackbacks/ Pingbacks

  1. […] Stelle der von mir sehr geschätzte, in seiner Branche aber ungeliebte und auch unterbezahlte Wolfgang W. Wieneke sagen. Und wo der Narrativ ist, darf der  „Populismus“ nicht fehlen- meist […]

Deine Meinung ist uns wichtig

*