Sehen, hören und gruseln – „Darknet“

Ein übermotiviertes Mitglied der Piratenpartei hat gerade mit einer Drohne die Fünf-Prozent-Hürde unterflogen und das Gerät vor den Augen der Bundeskanzlerin abschmieren lassen. So kurz vor der Wahl versuchen viele, uns den Ernst der digitalen Lage klar zu machen. Aber das geht auch ohne Bruchlandung:  Die neue Deutschland-Augabe der Online-Plattform „Motherboard“ zeigt das mit einer Web-TV-Dokumentation namens „Darknet“.  Sie offenbart uns die kryptographisch verborgene, unzensierte Internet-Welt des Deep Web oder Hidden Web. Ein schrecklich interessanter Film.

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Produziert wurde das Stück – das ebenso bei der BBC oder in der ARD laufen könnte – vom deutschen Ableger des angesagten Unternehmens „Vice“. 1994 in Montreal als Gratismagazin gegründet, bezeichnet es sich selbstvermarktend inzwischen als „internationales Medienimperium“, mit diversen Vertriebskanälen, vom Verlag bis zur Website. Musik, Mode, Kunst und Kultur bilden die Themenschwerpunkte. Aber auch investigative Stories und Technik gehören zum Angebot. „Ein neues Sprachrohr für eine neue Generation“ will Vice sein.  Ist es vielleicht sogar schon.

Tom Littlewood leitet als Chefredakteur die deutsche Ausgabe. Und  er macht als Presenter der Reportage Darknet nach all den theorielastigen Debatten über Snowden und die NSA das einzig Richtige: Littlewood reist dorthin, wo es weh tut. In einen dunklen Raum, in dem raffinierte Verschlüsselungstechnik allen Nutzern zweierlei zusichern: Anonymität und Straffreiheit. Diese verborgene Welt soll mindestens Tausend mal größer sein als das normale Internet, das wir über die Suchmaschinen kennen. Seine Bewohner sind Freaks und Freiheitskämpfer.

Ich bin etwa doppelt so alt wie die Vice- bzw. Motherboard-Zielgruppe und möglicherweise hat mich deshalb geradezu verstört, wie sich der Reporter mit Hilfe eines Fachmanns in einen offensichtlich riesigen ungezügelten Markt einloggt. Wo sich harte Drogen bestellen lassen wie bei Amazon Bücher. Wo Feinmechaniker nach Feierabend zurechtgefeilte Schusswaffen anbieten. Wo nette Onkels nach geeigneten Betäubungsmitteln für die minderjährige Nichte fragen. Darknet eben.

Dann aber die verblüffende Wende im Film: Der iranische Journalist Ehsan Norouzi schildert hautnah, wie überlebenswichtig ein Kommunikationsmittel ist, das die Staatsmacht nicht überwachen, also beherrschen kann. Ironischer Weise basiert das Hidden Web auf militärischer Technologie. Doch nun wenden Hacker die Verfahren an, um gesicherte Freiräume zu schaffen. Um verlorene Privatsphäre zurück zu erobern. Der Gründer von Torservers.net, Moritz Bartl, sieht sich denn auch als „Kämpfer für das Menschenrecht, auch gegen die Gesetze in einigen Ländern.“

Schnörkellos und schonungslos stellt die Dokumentation die beiden Seiten des Digitalen Freiheitskampfes nebeneinander. Ein Urteil fällt sie letztlich nicht. Eher lakonisch wirkt der Kommentar von Tom Littlewood: Das Internet sei weder gut noch schlecht, sondern einfach sehr mächtig. Wer der übermächtigen Überwachung von Staat und Konzernen entkommen wolle, dem bliebe nur das Darknet, mit all seinen Schattenseiten. Schließlich hätten wir selbst die Wahl:

Do we want the devil we know or the devil we don´t ?

Zum Teufel, was ist das bloß für eine Alternative? Genauso wie den iranischen Dissidenten, so schützt das verborgene Netz eben auch den perversen Onkel. Diese heillose Entscheidung steht an, weil wir staatlicher Macht nicht mehr vertrauen können. Weil wir Angst vor datenfressenden Unternehmen haben müssen, die unsere Träume schon kennen, bevor wir eingeschlafen sind.

Der coole Tom Littlewood hat vermutlich recht mit seinem Realismus – aber er darf nicht recht behalten. Das kann es noch nicht gewesen sein! Also erst mal im dunklen Wald pfeifen, schlage ich vor. Etwa so: Gerade durch Filme wie „Darknet“ entsteht wohl erst ein allgemeines Bewusstsein. Das wäre der erste Schritt auf einem dritten Weg zwischen den Highways to Hell.

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