Quotalität und Medienverdrossenheit

Was gucktst Du - Qualität oder Quote?

Was gucktst Du – Qualität oder Quote?

„Qualität statt Quote“ – mit dieser Forderung liegt man eigentlich immer richtig, wenn es beispielsweise um gutes Fernsehen geht. Gerade jetzt brauchen wir doch klare Aussagen, weil die digitale Entwicklung sonst so wenig sinnstiftende Grundsätze übrig lässt. Aber hilft die quotalitäre Alternative wirklich weiter? Im Prinzip nein. Sie bemäntelt nur mühsam eine Grundverunsicherung über Maßstabslosigkeit und ist ein Zeugnis wachsender Medienverdrossenheit.

Denn die Schein-Alternative „Qualität statt Quote“ folgt der Logik des Satzes: „In der Nacht ist es kälter als draußen“.  Klingt erst mal interessant – bevor man über den Sinn nachdenkt. In den Quotalitäts-Debatten vermengen nämlich die Diskutanten regelmäßig die Sehnsucht nach einem Ziel (gehaltvolles Fernsehprogramm) mit der Kritik an einem Instrument (Einschaltquotenmessung).

Über publizistische Qualität lässt sich ebenso trefflich streiten wie über methodische Probleme bei der Quoten-Erhebung oder deren Interpretation durch Programm-Verantwortliche. Mit beidem habe ich einige Erfahrung sammeln dürfen. Ich weiß, wie schnell man nach den vermeintlich unbestechlichen Zahlen von GfK, AGMA und IVW greifen möchte, weil für ausführliche Bewertungen Zeit, Raum oder Mut fehlen. Aber die pauschale Simplifizierung „Qualität oder Quote“ ist ermüdend falsch. Interessanter hingegen erscheint mir die Frage, warum wir uns immer wieder vergeblich daran abarbeiten.

Kaum jemand würde doch wohl auf den Gedanken kommen, einfach auf den Tacho zu schimpfen, sobald es Verkehrsunfälle gibt. Es sei denn, er war manipuliert. Um den richtigen Einsatz von Tempolimits wird dagegen schon eher gestritten. Heißt: Wenn wir die Geschwindigkeitsmessung richtig einsetzen, können wir uns durchaus sicher und umweltschonend bewegen. Im sensiblen Bereich der Spielstraße gehen wir bis zum Schritttempo vom Gas. Das wäre wiederum auf der Autobahn weniger hilfreich.

Das Instrument Tacho gibt uns Orientierung, aber selbstverständlich müssen wir noch ans Lenken denken. Bewegung ist nun mal kein Ziel, weder Schneckentempo noch wilde Raserei. Übertragen auf die Medienwelt: Auch öffentlich-rechtliche Entscheider müssen ihre Qualitätsziele vor Augen haben. Sie dürfen also nicht nur auf den Quoten-Tacho starren, sonst kommen sie von der Fahrbahn ab. Wenn Sie allerdings das Instrument der Zuschauerforschung gar nicht beachten, handeln sie genauso fahrlässig.

ARTE und 3SAT sind da etwas weniger gefährdet, weil sie oft auf den Spielstraßen der schönen Künste oder in den verkehrsberuhigten Kulturerbe-Arealen unterwegs sind, in der 1-Prozent-Marktanteils-Zone gewissermaßen. Dort werden sie übrigens, genauso wie im Regionalprogrammverkehr, eher selten von privaten Anbietern geschnitten. Es sei denn, es rauscht eine spezielle Pay-TV-Limousine voll mit hochwertigem Content vorbei.

Richtig Stress gibt es jedoch auf den lukrativen Strecken, den Quoten-Autobahnen. Dort liefern sich die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen riskante Überholmanöver. Auch viele Vertreter aus der Informations- und Kulturelite des Landes sehen ARD und ZDF mit Mainstream-Angeboten komplett auf der falschen Spur. Manche wollen populäre Zonen (Shows, Soaps, Fußball) ganz für die Rundfunkanstalten sperren.

Dabei verursachen quantitativ erfolgreiche TV-Formate keinesfalls automatisch eine qualitative Massenkarambolage. Zumal in Deutschland für alle Rundfunkteilnehmer Beitrags-Vignetten-Pflicht herrscht. Die Zwangsabgabe wird mit dem hohen Gut öffentlicher Kommunikation begründet. Dann wäre es aber unzulässig, gleichzeitig die Bewegungsfreiheit der Nutzer einzuschränken – auf öffentlich-rechtliche Grundversorgung im Schleichverkehr und auf Nebenstrecken.

Kommt ZEIT, kommt guter Rat

Kommt ZEIT, kommt guter Rat

Soweit das Neueste aus dem Verkehrsstudio. Warum nun aber dreht sich diese Diskussion um Qualität und Quote seit langem im Kreis? Meine Antwort liegt auf einer grundsätzlichen Ebene. Ich beschreibe sie als eine diffuse „Medienverdrossenheit“. Es fehlt am Nötigsten, nämlich an einem Konsens über den gesellschaftlichen Auftrag, den Sinn der Medien, an dem sich wiederum erst verbindliche, allgemein anerkannte Maßstäbe für Qualität ausrichten ließen.

Aus der Sicht des Publikums steht dahinter die Frage: Warum leisten wir uns ein so aufwändiges System, ob nun öffentlich-rechtlich oder privat organisiert? Und aus der Perspektive der Medienschaffenden: Was darf, was muss ich für die Nutzer leisten? Misstrauen auf der einen, Unsicherheit auf der anderen Seite. Nicht unähnlich der gefährlich an der Demokratie nagenden Politikverdrossenheit.

Bevor wir uns also übers Ob und Wie Viel von Kochsendungen im ZDF-Programmschema zerlabern, bräuchten wir doch erst einmal ein Update zum Public Value der Medien. Bedauerlicherweise ist das erheblich anstrengender als ein Blick in die Reichweiten-Charts oder der Austausch gut abgehangener Vorurteile. Das Starren auf den Schein-Riesen Quote dagegen beruhigt bislang Freund und Feind nahezu gleichermaßen. Unterschiedlich sind lediglich die Blickwinkel.

Das allzu reine Quoten-Denken betrachtet Zuschauer/Hörer/Leser/User statistisch, macht sie damit perfekt handhabbar für unser technisiertes und ökonomisiertes Zeitalter. So ein Zahlenglaube schafft den idealen Altar für Prozessoptimierer, vor allem im Wirtschaftsleben. Das ist berechenbar und rational, birgt allerdings die Gefahr, dass der inhaltliche Wert von Rundfunk- und Pressefreiheit gleich mit wegrationalisiert wird.

Weil wiederum bei den Vertretern des Anti-Quotendenkens Massenerfolg gleichbedeutend mit Schund ist, wollen sie Qualitätsprogramm vorsorglich gern selbst definieren. Das geht dann ganz ohne objektive Größen: Der Bundestagspräsident erwartet dann z.B. ausführlichere und respektvollere Parlaments-Berichterstattung. Der TV-Regisseur fordert mehr Mut und bessere Sendeplätze für seine Themen. Die Kulturmanagerin sieht die Primetime gekommen, um schrägere Töne und neuere Musik zu präsentieren. Ehrenwert, aber möglicherweise nicht ganz die Programmfreiheit, die das Grundgesetz meint.

Zwischen Bevormundung und Berechnung kommen die Interessen des Publikums gegenüber denjenigen der Macher und Einflussnehmer oft zu kurz. Beide, Gegner und Befürworter der Quote, degradieren so letztlich Menschen zur Zählgröße. Für die einen bedeutet eine hohe Reichweite das Maß aller Publikumsbedürfnisse. Für die anderen ist  Quotenerfolg Massengeschmack und deshalb das Gegenteil von Qualität, ex negativo.

Dieser kuschelig rituelle Quoten-Zwist könnte theoretisch noch einige Jahrzehnte anhalten. Wenn da nicht längst die Globalisierung den ökonomischen Verteilungskampf eröffnet hätte. Und wenn die Digitalsierung keinen erweiterten Anspruch an Nutzerbeteiligung, „Partizpation“, erzeugen würde. Für die Zukunft aber gilt: Man wird das Publikum nicht nur zählen und zahlen lassen können. Es will mitreden.

Durch die Liquid Culture des Internetzeitalters wurden die Fundamente nationaler Medienordnungen unterspült. Zentrale Begriffe, auf die wir lange vertraut haben, sind ausgehöhlt. Was bedeuten denn heute noch die die Ziele „Bildung, Beratung, Information und Unterhaltung“ aus den deutschen Rundfunkgesetzen? Welche journalistischen Berufsnormen aus den Pressegesetzen sollen fortgelten? Oder brauchen wir künftig gar keine Journalisten und Programmbetriebe mehr?

Diesen Fluxus auszuhalten, darin besteht derzeit die größte Herausforderung. Eine festgefügte Ordnung  mit unerschütterlichen Gewissheiten wird es kaum mehr geben. Eher sind Navigationsregeln im Entstehen begriffen, für eine Fahrt durch teilweise unbekannte Gewässer. Wir dürfen die bisherigen Werte nicht einfach über Bord werfen und müssen zudem ganz neue entwickeln. Das alles während wir bereits unterwegs sind. Da stellen sich die Fragen erschreckend pragmatisch: Warum soll ich überhaupt die Glotze einschalten? Welches Programm darf ich noch machen? Die Wahrheit wird auch hier konkret sein müssen.

Es wäre nun verwegen zu behaupten, ein Update des Mandats für die Institutionen öffentlicher Kommunikation gäbe es schon. Noch nicht einmal ein Verfahren zu dessen Vereinbarung erscheint absehbar. Immerhin stehen überall prallgefüllte „Themenkörbe“ herum: Die Debatte umfasst nichts Geringeres als das Kommunikations-Bedürfnis einer Gesellschaft im Wandel. Sie stellt gegenwärtige Strukturen infrage und erzeugt Existenzängste in der Branche. Es werden wirtschaftliche und technische Rahmenbedingungen verhandelt. Das Ganze kann auch nicht an den nationalen Grenzen haltmachen. Was für eine Aufgabe!

Solch eine Diskussion gelangt an kein natürliches Ende. Der erste wesentliche Schritt wäre ein allgemeines Bewusstsein für die Bedeutung dieses Ringens um Konsens über das mediale Selbstgespräch der Gesellschaft. Der öffentliche Auftrag der Medien ist mit einer netzneutralen Flatrate für alle bei weitem noch nicht hinreichend beschrieben. Wenn das Publikum mehr inhaltliche Beteiligung wünscht, muss es sich auch um die leidige Kehrseite, die Medienstrukturen, kümmern. Ein Wahlkampfthema? Natürlich nicht. Zu abstrakt. Oder wie Comic-Couchpotatoe Homer Simpson sagen würde: „Laaangweilig!“

Angesichts eines solchen Schwebezustandes wird die Sehnsucht nach Schwarzweiß-Gemälden verständlich. „Qualität statt Quote“ klingt einfach toll. So nach Lösung. „Sensiblerer Umgang mit Media-Daten“ – das wäre wohl eine zu schlappe Forderung. Deshalb erleben wir den immer gleichen, theatralische Streit um Quoten, der für den Programm-Alltag herzlich wenig bringt.  Und mit dem wir uns um das wichtigere, aber eben auch schwierigere Thema herummogeln: Eine bedrohlich wachsenden grundsätzlichen Unsicherheit über den Wert der Massenmedien.

„Stabilität im Leid“ nennen das die Psychologen wohl.  Irgendwann wird es jedoch unerträglich.

 

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  1. […] einräume, oft ziemlich genau auf die Ergebnisse von Medienforschung geachtet zu haben. In einem Blog-Post habe ich vor einiger Zeit einmal eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema […]

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