Medien 2014: Ungeduld und Enttäuschung

 

Nehmen Sie ruhig - dieser Text dauert! (Quelle: DerGraueWolf / CC-BY-SA-3.0)

Nehmen Sie ruhig – dieser Text dauert! (Quelle: DerGraueWolf / CC-BY-SA-3.0)

Mir wird gerade ganz bilanziell. Wo doch  zur tagtäglichen Journalismus-Krisenlektüre schon länger das komplette Weihnachtskeks-Sortiment zur Verfügung steht. Also: 2014 war für die Medien-Branche ein aufregendes Jahr der Enttäuschung und der Ungeduld. Das Prinzip Bangen und Hoffen hält den Zukunftsmotor weiter zuverlässig am Laufen. Wohin auch immer.

Dies ist nun mein Versuch, das mediale Selbstgespräch der vergangenen Monate zu deuten. Natürlich entsteht hier eine persönliche Filter-Blasen-Bilanz. Obwohl ich Leit- und Seitenmedien der Branche innerlich streng qualitätsgesichert betrachte, bleibt das Unterfangen letztlich subjektiv. Blogjektiv sozusagen. Schenken Sie mir trotzdem Ihre Aufmerksamkeit für einen langen Text, ich weiß das zu schätzen.

Phase der Phrasen

Vielleicht eine ungeschickte Überschrift nach dem Satz davor. Gemeint ist ein  genereller Eindruck: Wir befinden uns in einer Phase der Phrasen. Nur ein Beispiel: Der Verlag Gruner & Jahr spart nicht etwa Redaktionen zusammen, nein, nein, er baut ein „Haus der Inhalte„. Große Sprache allerorten. Kennt man natürlich, lässt sich aber offenbar unendlich steigern.

Beim Ringen um die Regeln der digitalen Welt steht einiges, vielleicht sogar alles auf den Spiel. Dementsprechend glaubt kaum noch jemand, sich im Wortgefecht Schwächen leisten oder Irrtümer eingestehen zu können. Tonangeber begründen ihre Thesen gern, indem sie ihre Gegner zu Trotteln erklären. Das ist der zweite generelle Eindruck aus diesem Debattenjahr.

Es gibt offenbar in der flüssigen digitalen Moderne einen fließenden Übergang von der Wissens-Gesellschaft zur Besserwisser-Gesellschaft. Dazu werde ich gleich meinen Beitrag leisten, mit herausragenden Aha-Erlebnissen 2014.

Leben mit der digitalen Kränkung

Unter all den Naseweisheiten hat mich, gleich zu Jahresbeginn, ein Artikel ergriffen, der anders war: Internet-Deuter Sascha Lobo erklärte öffentlich, sich verschätzt zu haben und prägte den Ausdruck von der „Digitalen Kränkung“. Damit beschrieb er den desillusionierten Gemütszustand einer „Netzgemeinde“, die ungläubig und entrüstet die Enthüllungen eines Edward Snowden 2013 verarbeiten musste: Den Angriff der Datenkraken auf unser aller (Privat-)Leben. Kurz gefasst.

Lobos Aussage war ebenso zugespitzt wie zwiespältig. Er schrieb: „Das Internet ist kaputt. Die Idee der digitalen Vernetzung nicht.“ Illusion geplatzt, Utopie intakt? Da bleibt ein Widerspruch, den wir aushalten müssen. Der paradoxe Auftrag lautet demnach: Realisten werden und Optimisten bleiben.

Mir hat diese Analyse sehr geholfen, die vielen Stellungnahmen zur gesellschaftlichen Schlüsseltechnologie „Kommunikation“ zu begreifen, die ich mir täglich zu Gemüte führe. Die Stimmung der Medienmenschen wirkt zunehmend gereizter. Der Optimismus immer verbissener und radikaler. Die Skepsis noch etwas tiefer, manchmal bitterer.

Auf den küchenpsychologischen Punkt gebracht: Die Branche steht unter existenziellem Druck, die Stimmung schwappt hin und her zwischen Ungeduld und Enttäuschung. Durchaus eine energetische Kombination.

Das Prinzip des „Selbst-Illusionierens“

Fortschritt beginnt stets damit, positive Erwartungen zu wecken, deren Eintreffen wir kaum erwarten können. Um aktuelle Probleme endlich zu lösen, verspricht man sich und anderen Großartiges von der künftigen Entwicklung. Im Himmel ist Jahrmarkt und alle sind eingeladen! Kurz darauf sitzt man denn schon in der Geisterbahn.

Digitale Visionen laden zu einer atemberaubenden Fahrt: Mehr Demokratie, besserer Journalismus, glänzende Geschäfte. Und dieses Potenzial enthält der weite Cyberspace tatsächlich. Nur nicht überall, nicht für jeden und erst recht nicht sofort. Das Kulissenhafte von Projektionen wird überdeutlich. Zumindest für die, die aus der Bahn fliegen. Oder etwas genauer hinsehen.

Das Prinzip ist somit schnell erklärt: Die digitale Dynamik lebt von übersteigerten Erwartungen, die sie immer wieder enttäuschen muss, was aber den Prozess eher beschleunigt. Ohne dieses fortwährende „Selbst-Illusionieren“ fehlt es einfach an Motivation. Bedenken behindern Bewegung. Begeisterung betäubt Bedenken.

Eine Mischung aus „Wie schade“ und „Jetzt erst recht“ generiert somit den Treibstoff für die lange Fahrt in eine vernetzte Zukunft. Sobald sich an einem Wegepunkt Desillusionen eingestellt haben, müssen neue Hoffnungen her damit der Zukunftsmotor brummt.

Schließlich ist der Wille zum Wachstum ungebrochen. Der digitale Druck steigt. Ökonomie und Technologie drängen darauf, die Märkte der Zukunft zu erobern. Von digitalen Agenden sehen, hören und lesen wir 2014 allerorten.  Ob alle (Noch-) Nichtdigitalen tatsächlich unterversorgt bzw. minderbemittelt sind, spielt dabei schon keine Rolle mehr.

Denn die alte Strukturen und die neue Medienwirklichkeit passen schlicht immer weniger zusammen. Ob nun bei der New York Times oder beim Spiegel. Es knirscht. So steigern sich Enttäuschung und Ungeduld zur Wut auf all die vermeintlichen Versager und Verhinderer. Energie!

Wir sind hier im Internet – dann liste ich meine wichtigsten Beobachtungen von Enttäuschungen und Ungeduld des Jahres 2014 auf.

1. Magie verflogen

Abgesehen davon, dass es nicht stimmt, war es früher einfach besser! Als der Cyberspace noch eine unschuldig weiße Fläche war, deren Gestaltung der Schwarm-Intelligenz der ersten WWW-Tage oblag. Die Pionier- und Probierphase, sie ist schon länger vorbei.

Nun wird die Avantgarde vom Mainstream, von Macht und Masse, vereinnahmt oder weggeschwemmt. Mögen die Prinzipien der Auslese andere geworden sein. An der Aufteilung in Gewinner und Verlierer ändert sich wenig. Auf der Strecke bleibt dabei auch manche Vision. Oder gar „Magie“.

Für die Frühen und Fachkundigen mag darin eine besonders große Enttäuschung liegen: Auf einmal kommen sie alle! Da bloggt man sich jahrelang die Finger wund. Und irgendwann, wenn wirklich schon alles gepostet ist, dann kommt das ganze Mittelmaß und tut erstaunt.

Ja, genauso ist es. Medienwandel dieser Dimension lässt sich nicht mit einem Schalt-Vorgang erledigen. Bundeskanzler Brandt drückt auf einen Knopf und anschließend es gibt Farbfernsehen (Gut, das war auch schon gefaked). Die Innovationsphasen reichen vom Experimentieren bis zum Etablieren. Dazwischen kann es Jahrzehnte dauern.

Irgendwann wird die Wahrheit immer konkret und damit oft so banal wie brutal.

2. Streitkultur umstritten

Ob es nun um Interessen geht oder nur ums Rechthaben – auf dem digitalen Marktplatz kommt es zu heftigen Streits. Im analogen Leben wären die wohl öfter mal handgreiflich, wenn man sich den Tonfall vieler Kommentare ansieht. Trolle mag kaum jemand.

Nur: Wer genau ist der Troll? Vielleicht schon der Andersdenkende? Sicher ist jedenfalls, dass Publikumsnähe und Kunden-Dialog im medialen Alltag durchaus anstrengend sind. Nicht nur aufwändig, sondern auch aufreibend. Das haben alle unterschätzt.

Wer sich viel von digitaler Diskussionskultur versprochen hat, stellt zunehmend fest, dass diese an vielen Stellen reine Behauptung ist. Ein Nebeneinander statt Miteinander. Als Konsequenz verlangen manche Medienangebote nun Eintrittsgeld für den Meinungsraum. Exklusive Salon-Öffentlichkeit entstehen.

Nun drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, dass die Diskutanten mit ihrer jeweiligen Auffassung eigentlich ganz gern unter sich bleiben wollen. Eine Kultur der Gleichgesinnung gewissermaßen. Wer abweicht, kann sich ja trollen. Technisch kein Problem – und gesellschaftlich / demokratisch?

Ein interessantes Beispiel gab dieses Jahr das Debatten-Angebot „Carta“ ab, dessen Regenten genau in dem Moment einsilbig wurden, als intern um den rechten kommunikativen Weg gestritten wurde. Nach dem Relaunch agiert Carta mehr denn je als Netz-euphorischer Tendenzbetrieb. Warum auch nicht? Dort kann man immerhin noch kommentieren, ohne dafür zahlen zu müssen.

3. Honorarfragen ungelöst

Auch 2014 frustrierend aber wahr: Es gibt immer noch keine Antwort auf die Frage, wie inhaltliche Medienarbeit künftig verlässlich honoriert werden soll. Die Diskussionen über „Geschäftsmodelle“ zeient bislang: Mit journalistischem Content lässt sich zwar durchaus viel Geld verdienen – allerdings nicht unbedingt als Journalistin oder Journalist.

Es gibt wohl die grundsätzliche Bereitschaft, werthaltigen Inhalt auch im Web zu finanzieren. Nur zu welchen Konditionen die Medienarbeiter davon etwas haben, bleibt weitgehend unklar. Experimente gibt es einige. Inhalte-Arbeiter beginnen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Dabei geht es wahrlich nicht nur ums Geld. Sondern auch um die Frage, zu welchen Abhängigkeiten das jeweilige Finanzierungsmodell führen könnte. Welchen Einfluss nehmen die Spendablen, ob sie nun als Community eine Gruppe Edelfedern unterstützen („Krautreporter“) oder als Unternehmen „Content Marketing“, also Werbliches im journalistischen Gewand, bezahlen?

4. Leuchttürme flackernd

Auf der Suche nach Lösungen, wandert der Branchenblick häufig sehnsüchtig nach Westen, ins gelobte Land der Digital-Entwicklung, die Vereinigten Staaten von Amerika. Wer aber genauer hinsieht, nimmt selbst dort ein Flackern an den Leuchttürmen wahr.

Nehmen wir das Projekt „The Intercept“: Ein sehr Erfolgreicher, nämlich Amazon-Gründer Jeff Bezos und ein richtig Guter, und zwar Enthüllungsspezialist Glenn Greenwald, hatten ein ambitioniertes journalistisches Modell ins Netz gestellt. Ziemlich schnell gab es ziemlich großen Ärger rund um das Thema „Unabhängigkeit“.

Viel Aufsehen errang der „interne“ Innovationsbericht der New York Times. Das Change Management des weltweiten Zeitungs-Vorbildes als Online-Baustelle, auf der oft der digitale Hammer ruht. Man kann daraus vieles schließen, u.a. dass Medienentwicklung kein technischer Schaltprozess ist, sondern ein ziemlich abgründiges Ringen von Menschen und Mächten um Positionen. Finanziell und vor allem kommunikativ enorm aufwändig.

Beim Deutschen Leitmedium, DER SPIEGEL steht es im Moment „3.0“. Man weiß nur noch nicht so ganz, für wen. Das Zukunftskonzept „Spiegel 3.0“ des Führungsduos Büchner /Saffe hat zu einem Konflikt geführt, der sich auch ganz gut mit den Leitmotiven dieses meines Posts beschreiben ließe: Enttäuschung und Ungeduld. Es gibt auch die Lesart „Print gegen Online“ oder „alt gegen jung“.

Auf die „Krautreporter“ sehen wir Medienleute ebenfalls besonders genau. Immerhin riskieren sie etwas: Mindestens ihren guten Ruf sowie das Geld anderer Leute. Ganz ohne Ironie: Ich finde es richtig und mutig. Die Autoren-Gruppe stellt sich einer wichtigen Frage: Können sie es besser oder wissen sie es nur besser?

Es wäre ziemlich heuchlerisch, den KR ihre selbstbewusste Crowdfunding-Kampagne vorzuwerfen. Das ist state-of-the-art: Die Selbstanpreisungen im Zeitalter der Dauer-Empfehlung „WERDE DEINE EIGENE MARKE“ geraten täglich schriller, was unter anderem ein Beleg für jene tiefe Verunsicherung ist, die den publizistischen Berufsstand derzeit durchrüttelt.

5. Journalisten erschüttert

Und die Journalisten sind erschüttert. Ob Gaza-Krieg, Ukraine-Krise oder Lokführer-Streik – unsere Gesellschaft, so scheint es, setzt derzeit ihre etablierten Medien zunehmend auf Vertrauens-Entzug. Das tut weh. Zumindest für einen altgedienten Journalisten fällt der Umgang mit dem Misstrauen des Publikums – „Medien unter Generalverdacht“ – sehr schwer.

Dies könnte allerdings der Preis für eine Gesellschaft der Informations- und Meinungsfreiheit sein. Wie eine interessante internationale Vergleichsstudie zeigt, ist tendenziell das Medien-Misstrauen in freiheitlichen Staaten größer ist als in autoritären.  Ein Trost?

Zumindest ist dies eine uralte Debatte, aber von den digitalen Möglichkeiten wird sie jetzt neu und großflächig entfacht: Wozu überhaupt noch Journalisten? Inhalte begleiten, berichten oder doch bewerten? Kuratoren, Moderatoren oder Agitatoren? Auf die Betroffenen stürmen da recht widersprüchliche Ansprüche ein. Fakt bleibt jedenfalls: Etablierte Medien(-schaffende ) verlieren das Deutungsrecht über ein Produkt namens „Qualitätsjournalismus“.

Allerdings nicht an „das Publikum“, wie so gern suggeriert wird, sondern an neue technikaffine Eliten und alte Interessensgruppen. Letztere waren immer genervt durch die leidigen „Gatekeeper“, die ihre schönen Polit- oder Werbe-Botschaften nicht so einfach durch die Schleuse lassen wollen. Wen wundert es da, dass sich diese Enttäuschten nun auf eigene Plattformen stellen, manchmal sogar mit eigenen Redaktionen.

Aber es gibt ja noch die journalistischen Hoffungsträger. Der samtene Changer vom Guardian, Wolfgang Blau, und der scharfe Medienrichter, Stefan Niggemeier. Sie setzen wesentliche Impulse, die weithin beachtet werden. Es hat sich bereits eine Kommunikations-Aristokratie herausgebildet. Wozu ist sie legitimiert? Für mich einer der spannendsten Aspekte der Medienentwicklung.

Die nächsten bitte – Next Generation

So spekulativ vieles noch ist – was die Zukunft den Journalisten/innen abverlangt, skizzieren uns bereits jetzt durchaus seriöse Studien: Gefordert sind mehr technische Kompetenz, stärkere unternehmerische Eigen-Initiative und Publikumsnähe. Inhaltlicher Durchblick sowieso. Die Ansprüche, sie steigen.

Wer sich mit dem journalistischen Nachwuchs beschäftigt, wird aber kaum den Eindruck gewinnen, dieser sei zu schlecht ausgebildet, zu wenig motiviert oder zu unkreativ. Im Gegenteil: Der neuen Generation fehlt es weniger an Können als an Perspektive. Parallel zu den technischen Anforderungen steigt für sie das wirtschaftliche Risiko. Und damit auch das persönliche. Neben sich die Konkurrenz aus anderen Branchenfelder und über sich die Baby-Boomer-Generation.

Viele Vertreter/innen der älteren Jahrgänge besetzen die meisten der sicheren und viele der entscheidenden Positionen in der Branche. Noch. Zunehmende Existenzangst dürfte ihre Experimentierfreude dämpfen. Manche werden deshalb wohl eher ungeduldig auf die Pensionierung warten als auf die digitale Zukunft.

2014 hat also vor allem gelehrt, dass die Gegenwart stets auch so etwas darstellt wie enttäuschte Hoffnungen der Vergangenheit. Und dass der Zukunftsmotor immer neue Illusionen braucht, um auf Touren zu bleiben. Die Ziele in der digitalen Welt bleiben ja spannend, sie werden nur ständig übertrieben.

Zukunftsfähig sein heißt insofern, mit der oben beschriebenen „digitalen Kränkung“ fertig zu werden. Mit der Erkenntnis, dass der Cyberspace gar nicht das versprochene Paradies werden kann, sich aber die Fahrt dorthin trotzdem lohnen könnte . Zumal sie „alternativlos“ ist.

Enttäuschung und Ungeduld sind – innovationstheoretisch betrachtet – Werkzeuge. Oder vielmehr ein Wirkstoffgemisch. Lassen wir uns deshalb von Enttäuschungen nicht täuschen und setzen wir gelassen unsere Hoffnung auf die Ungeduld.

Darin wird wohl die Übung für 2015 liegen, nicht nur in den Medien.

 

Deine Meinung ist uns wichtig

*