Solche Chancen eröffnet selbst das Sommerloch nicht oft: Aber Snowden, PRISM und tempora haben es möglich gemacht: Internet-Sicherheit sogar als Aufmacher im Weser Kurier – Hammer! Mir scheint, wir bekommen doch noch eine breite gesellschaftliche Debatte über ein ungeliebtes Thema: Die Digitale Vertrauenskrise.
ACTA-Proteste und Piraten-Partei waren schon fast vergessen, schienen für den Bundestagswahlkampf nahezu ohne Belang. Das spröde Urheberrecht ödete das Volk zuletzt ebenso an wie die Personalquerelen bei den digitalen Freibeutern.Verständlich aber ungerecht gegenüber dem wichtigen Anliegen, das sie ins allgemeine Bewußtsein gerückt hatten. Nun plötzlich steht das Thema Netzpolitik wieder auf der Agenda.
Dabei geht es endlich einmal nicht um die Angst der Verleger vor dem Geschäftsmodellverlust durchs Internet. Oder um das unveräußerliche Grundrecht auf Telekom-Flatrates. Wir diskutieren zunehmend eine Existenzbedingung von Gesellschaft schlechthin: Kommunikation. Öffentliche wie private. Weil die Grenzen da inzwischen fließend geworden sind, berührt das Thema jeden ganz konkret. Das haben uns die britischen und amerikanischen Spione unübersehbar vor Augen geführt. Wegschauen nahezu zwecklos.
Gut, Vorsicht bleibt geboten. Bald wird sich der aktuelle Zorn über die Staubsauger-Aktion der staatlichen Cyberspione gelegt und Edward „Castaway“ Snowden möglicherweise eine neue Heimat gefunden haben. Aber noch wird im „Neuland“ von Frau Merkel munter diskutiert. Auf den ersten Blick von den üblichen virtuosen Verdächtigen. Aber die Öffentlichkeit schaut vermehrt zu. Das ist die Pointe, weil es genau um die Allgemeinheit geht:
Denn die Sicherung der Kommunikation ist für eine Gesellschaft genauso wichtig wie der Umweltschutz für das Überleben des Planeten oder, sagen wir mal, das Bankensystem für die Weltökonomie. Die Finanzkrise hat uns denn auch in den letzten Jahren drastisch vor Augen geführt, was das heißen kann: „Vertrauensverlust“. Dann wird der Schaden (gesellschafts-) systemrelevant.
Manche Soziologen definieren das Wort „Vertrauen“ ja als Methode, soziale Komplexität zu reduzieren. Unwissenschaftlich ausgedrückt: Wenn das Vertrauen in andere fehlt, wird es für den Einzelnen unübersichtlich. Es sei denn, man traut sich selbst den nötigen Überblick zu.
Das war, bezogen auf das Internet, ja bisher auch das Grundversprechen des Digitalen Wandels: als Basis galt das Netz, weil global, neutral und liberal. „Du, lieber Nutzer, bestimmst jetzt, was geschieht. Kannst Dir Schuhe bestellen oder Regime stürzen. Ein Buch veröffentlichen oder einfach eines runterladen. Hauptsache, wir halten den Großen Bruder Staat da heraus, mit all seinen angestaubten Normen und Institutionen.“
Nun also die Erschütterung durch die Enthüllungen des Whistleblowers: Wir sollten allerdings erkennen, dass es nicht nur um Big Brother Staat , sondern in viel höherem Maße um Big Data Wirtschaft geht. Der Staat ist ja nicht grundsätzlich unser Feind, sondern war ursprünglich mal unser gemeinsames Projekt als Volk. Im Ideal von Philosophen beruht er sogar auf einem Gesellschaftsvertrag, mit Gewaltenteilung und dergleichen. Als ein Ausdruck der Freiheit, sich gemeinsam Regeln geben zu können.
In diesem Rahmen haben wir allerdings nicht nur Bürgerrechte, sondern auch Bürgerpflichten. Dazu gehört es zum Beispiel, unbequeme Fragen zu stellen. Gegebenenfalls auch an uns selbst. Welche Grundrechte gelten in der Digitalen Welt? Wem gegenüber muß ich sie beanspruchen? Wie setzte ich sie im Konfliktfall durch? Knifflig.
Natürlich kann der Souverän auch weiterhin entscheiden, bei der Gestaltung der künftigen Medienordnung konzentriert wegzusehen. Aber in diesen Tagen habe ich die Hoffnung, dass es anders laufen könnte. „Don´t miss a crisis„, sagen die Amerikaner (möglicherweise mit Ausnahme derer im Geheimdienst). In der Tat könnte die derzeitige digitale Vertrauenskrise zu einem heilsamen Schock führen.
Das entscheidet sich daran, ob es gelingt, einen produktiven Austausch der verschiedenen Interessengruppen zu organisieren: Ob die Netz-Avantgardisten einsehen, wo sie zu weit gegangen sind. Ob die Wirtschaftskräfte respektieren, dass das Internet mehr als nur ein Markt ist. Ob der Staat beachtet, dass seine Bürger emanzipierter sind. Ob man miteinander spricht statt übereinander.
Es wäre einfach toll, wenn die Unschuldsvermutung auch in der Onlinewelt wieder für die Bürger gelten würde – und nicht für das angeblich neutrale Netz inklusive seine vielen Spinnen. Wenn dieses Post-Privacy-Gerede leiser würde. Wenn das Data-Mining eingegrenzt würde. Wenn das Internet als Realiatät und Chance akzeptiert würde, statt als Religion oder Satanskult. Allgemeine rhetorische Abrüstung mit dem Ziel, ein „Vertrauen.20“ miteinander zu begründen.
Wenn es schief läuft, dann erklärt natürlich wieder jeder jedem, warum er das Prinzip nicht verstanden hat. Ich wäre da bestimmt ein leichtes Opfer. Dem es nur an Tools oder an Grips fehlt. Aber es wird immerhin für alle schwerer, dem Thema auszuweichen. Damit startet es sich jedenfalls leichter ins Wochenende.
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