Kommunikation in der Krise: Der „Fall Edathy“

Mensch und "Fall": Sebastian Edathy (Quelle: blu-news.org/CC-BY-SA.2.0)

Mensch und „Fall“: Sebastian Edathy (Quelle: blu-news.org/CC-BY-SA.2.0)

Für unsere Gesellschaft ist der „Fall Sebastian Edathy“ ein Gewinn- an schmerzlichen Erkenntnissen über das Leben in der Medienwelt. Wir lernen: Kommunikation und Krise gehören eng zusammen. Fragt sich fast, ob es da dieser Tage noch einen bedeutenden Unterschied gibt. Auch wenn die vordergründigen Stichworte „Kinderpornografie“, „Amtsgeheimnis“ und „Koalitionsfrieden“ lauten, im Zentrum dieser #Staatsaffaire steht die Kommunikation. Für die wir uns einfach nicht mehr genug Zeit nehmen (können).

Das wissenschaftliche Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick 1996) bekommt derzeit einen bedeutenden Zusatz: „Man kann sehr wohl zu viel kommunizieren“ (Friedrich, Fröhlich, Oppermann et al. 2014). Dieser Post soll das Problem nicht noch verschärfen, sondern in flüchtigen Zeiten einige vorläufige Gewissheiten festhalten.

Denn wir erfahren derzeit glashart etwas, was wir wohl immer ahnten, aber gern verdrängten: Kommunikation kann nicht nur Probleme lösen, sie selbst kann das Problem sein. Schon das Etikett „Fall Edathy“ ist ein Schwindel, denn es geht bei weitem nicht nur um seinen (Einzel-) „Fall“. Nicht der Sachverhalt – schrecklich abgründig – steht im Vordergrund, sondern der öffentliche Umgang damit.

Kommunikation als Problem

Wer kennt die Phrase nicht, wenn gerade mal wieder etwas schief gelaufen ist: „Wir hätten halt besser kommunizieren müssen!“ Klingt so gut und tut keinem weh. Mehr oder weniger wird so wohl auch das Ergebnis des heutigen Parteispitzentreffens der Berliner Koalitionäre lauten: „Jetzt nach vorn blicken. Beim nächsten Mal wird alles besser. Echt. Vertraut uns!“

Nun haben wir allerdings eine Sache auf dem Tisch, bei der nicht wenige der unendliche vielen Berater im Prinzip „Schweigen“ empfehlen. Beziehungsweise gründliches Nachdenken vor dem Reden. Das jedoch bedeutet eine echte Herausforderung für die mediatisierte Gesellschaft.

Aus all dem Gesagten ragt  für mich ein eher spröder Begriff heraus. Ein juristischer: „Selbstöffnung“. Damit lässt sich medienrechtlich das Handeln von Sebastian Edathy umschreiben, als er selbst zu seinem „Fall“ Stellung nahm. Und damit sein Recht aufgab, die Nennung seines Namens in Berichten mit Bezug auf die Ermittlungen zu unterbinden. Den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte gegenüber einer (neu-) gierigen Öffentlichkeit hat der ehemalige Abgeordnete per Facebook-Eintrag verwirkt. „Selbstöffnung“ klingt ein bisschen nach „selbst schuld“. Kein Zufall.

Nun möchte ich mich weniger für Schuldzuweisungen und Rücktrittsforderungen interessieren. Diese Jagd-Instinkte – von „Die Linke“ bis „Die Harke“ – gehören zum Donner des öffentlichen Erregungs-Theaters. Mich bewegt die Frage nach der Ursache, weshalb ausgewiesene Profis so ins Schleudern geraten. Der web-kommentar-übliche Hinweis „Alles korrupte Idioten da oben“ reicht mir nicht. Wir reden zwar tatsächlich über menschliche Fehler, die aber unter einer kaum mehr tragbaren Last entstehen: Zeitmangel.

Drei Ebenen des Zeitmangels

Wir leiden auf drei Ebenen an dieser zivilisatorischen Knappheit. Sie lassen sich im „Fall Edathy“ exemplarisch beschreiben:

  1. Zeitmangel im konkreten Fall: Der Name Edathy taucht ausgerechnet während der Koalitionsverhandlungen auf. Blitzschnell musste sich Innenminister Friedrich zwischen den öffentlichen Güter der Staatsräson bei einer Regierungsbildung und ungestörter Strafverfolgung entscheiden.
  2. Zeitmangel bei der Betrachtung von Kontext: Die Kettenreaktion nach der Anfangsinformation von Friedrich an Gabriel kam offenbar ohne sorgfältige Risiko-Folgeabschätzung zustande. Ergebnis: Vertrauensverlust, Regierungskrise, Rücktritt. Etwa das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war.
  3.  Zeitmangel für die gesellschaftliche Diskussion: Was für wichtige Themen stecken in diesem  „Fall“! Amtsgeheimnis. Gewaltenteilung. Grauzonale Verwertung kindlicher Intimspäre. Aber wie lachhaft wenig Zeit können wir uns unter den „Sofortness“-Bedingungen für den Diskurs nehmen, bis das allgemeine Interesse wieder abebbt.

Es ist der moderne Hochfrequenzhandel mit Informationen, bei dem Menschen kaum noch eine Chance haben, sorgfältig zu agieren. Formelle Regelungen und mediale Möglichkeiten  gibt es genug. Genau darin liegt aber auch das Problem: Zu viel und zu schnell – so sieht die strukturelle Überforderung der verantwortlichen Akteure aus.

Vielleicht nicht aller Akteure: Bei der Suche nach einem Best-Practice-Beispiel landen wir – bei Kanzlerin Angela Merkel. Ihre Methode besticht durch Einfachheit und Effizienz: Selbst so lange wie möglich schweigen bzw. nichtssagend reden und andere zu schnellen Konsequenzen schubsen. Eine darartige kommunikative Disziplin bringt sonst kaum jemand in unserer Entäußerungsgesellschaft auf.

Angela Merkel scheint mehr als anderen begriffen zu haben, was das heißt: „Kommunikation in der Krise“. Da geht es nämlich weniger um glatt gelackte Krisenkommunikation mit herbei beratenen „Sprachregelungen“. Vielmehr müssen wir an die Grenzen der Möglichkeiten von Kommunikation erkennen. Nämlich dort, wo sie selbst das Problem ist.

Der Rest wäre dann auch mal Schweigen. So einfach und so schwer.

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