Journalismus – wichtigtun und Wichtiges tun

 

Von der Rolle: Jörges und Jauch (Screenshot ARD)

Von der Rolle: Jörges und Jauch (Screenshot ARD)

Krisenzeiten sorgen für Sternstunden des Journalismus. So wie kürzlich der Auftritt von Hans-Ulrich Jörges bei Günther Jauch. Aber extreme Zeiten bedingen auch Tiefpunkte im Journalismus. So wie den Auftritt von Hans-Ulrich Jörges bei Günther Jauch. Und schließlich stiften Themen wie die Flüchtlingskrise Verwirrung um die Rolle von Journalisten. So wie beim Auftritt …

Der letztlich, wenn auch mühsam, unterdrückte Gefühlsausbruch von Jörges war zwar nur ein Topfen im wogenden Stimmungsmeer, bewegt vom allgegenwärtige Thema Migration. Eine kurze Irritation der durchgestylten Medienlogik. Schon beinahe vergessen.

Dennoch: Ein Schlüsselmoment! Bringt er doch exemplarisch die ganze Unsicherheit auf den Punkt, die Akteure und Publikum mit diesem stets umstrittenen Beruf verbinden:

Journalismus – was ist das eigentlich und braucht die Gesellschaft das noch?

Reden wir also über Rollen.

„Günther Jauch“, der politische Sonntagabendtalk der ARD nach Tagesschau und Tatort im Leitmedium Nationales Bewegtbild, bietet einen passenden Rahmen für die Analyse publizistischer Idealtypen. Hier werden vor Millionenpublikum Ansagen getroffen und Karrieren gemacht – oder geknickt. Die Sendung ist eines der letzten Lagerfeuer dieser Gesellschaft und irrlichtert bis tief in die sozialen Netzwerke hinein.

Zunehmend redet sich unsere Gesellschaft in Rage. Da wird hefrig polarisiert, um nicht von Spaltung zu reden. So auch im Journalismus. Grundsätzlich spitzt sich der Diskurs auf  zwei Rollenmodelle zu: Emotion und Animation auf der einen versus Distanz und Resignation auf der andern Seite. Am gerade verhandelten Beispiel ausgedrückt:  Jörges oder Jauch.

Jauch – Mittler und Mahner

Ob Günther Jauch 2015 seinen Rang als beliebtester und vertrauenswürdigster Moderator verteidigen kann, wirkt ein bisschen fraglich. Denn das Image eines soliden, nüchternen Informationsprofis wurde dieses Jahr bereits mehrfach angekratzt.

Wir erinnern uns an Stinkefingergate bei der Diskussion mit Griechenlands Ex-Finanzminsiter Yanis Varoufakis. Die letzten beiden Sendungen  zur Flüchtlingskrise sorgten ebenfalls für schlechte Medienkritiken – bis hin zur offenen Rebellion: Jauch möge seinen Talk doch schon vorzeitig an Anne Will übergeben.

Günther Jauch war wie gesagt bislang ein Vertrauenskönig in den Umfragen. Nun, kurz vor der Abdankung, steht er mit seiner neutralisierenden Haltung seltsam neben sich und den heftigen Disklussionen, die er leitet, leiten sollte.

Überfordert oder mindestens amstmüde – so lauten im Tenor die Vorwürfe an den Moderator. Zu seiner Verteidigung regten sich nur vereinzelt Stimmen. Möglicherweise dreht sich bereits eine Schweigespirale. Nun ließe sich einiges spekulieren, beispielsweise über die Motivationslage einer Redaktion kurz vor der Abwicklung.

Aber vielleicht funktioniert eine zurückhaltende Frage- und Vermittlungshaltung von Günther Jauch einfach nicht mehr. Mehrheitsfähig im Medien-Mainstream scheint die von Jauch repräsentierte Mittler- und Mahnerrichtung (gut, auch Entertainer-Image) jedenfalls nicht zu sein. Es herrscht  Aufregung, wohin ich auch schaue.

Jörges – Meinungs- und Stimmungsmacher

Hans-Ulrich Jörges ist gleichzeitig  Produkt und Gegen-Entwurf des Polit-Talks ala JauchWillMaischbergerIllner.  Ein Meinungsmedienmensch, den die Redaktionen verlässlich für Standpunkte buchen. Am vergangenen Sonntag fiel er aus der Rolle. Beziehungsweie war von der Rolle. Je nach Sichtweise.

Die Reaktionen auf den Störfall waren durchaus unterschiedlich. Mich selbst, befangen in konventioneller Berufs-Sozialisation, hat Jörges Auftritt seltsam unangenehm berührt. Vielleicht weil ich nicht ganz verstanden habe, warum ihn die empörende Not von Menschen, die aber immerhin sofort medizinisch versorgt wurden, so tief ergriffen hatte.

Vor allem aber denke ich, dass sich Profis grundsätzlich beherrschen sollten, gerade wenn die Nerven stark strapaziert sind. Was ich nicht nur von Rettungs-Sanitätern verlangen würde, sondern eben auch von Berichterstattern.

Das kann man aber auch ganz anders sehen, wie ich inzwischen einigen Diskussionen entnommen habe. Interessanter Weise geht es dabei weniger um die Frage ob ein Reporter mal Gefühle zeigen darf. Manche fordern, dass er muss.

Allerdings erhebt sich in der Branche ein immer stärkeres Verlangen nach Engagement. Und damit nach der Aufgabe einer Distanz, die ja möglicherweise ohnehin eine optische Täuschung ist, eine Scheinobjektivität. Das Themenfeld Flucht verwandelt sich vielerorts schon in ein informativ affirmatives Publikums-Coaching: „Wir schaffen das schon!“ Dadurch werden Journalisten dann zu Animateuren der Integration. Und stellen sich damit immerhin einer öffentlichen Aufgabe – statt offensichtlich aufzugeben.

Journalismus im Ausnahme-Zustand

Das individuelle Rollenverständnisist ist nun das eine, die Erwartung der Öffentlichkeit möglicherweise etwas anderes. Das verunsichert viele Medienprofis. Eine kleine Twitter-Episode des Selbstzweifels:

Da schreibt also ein wortgewaltiger Bundesrichter dem Volke wirkungsvoll seine Botschaften ins Online-Stammbuch. Hat sich durch solche Ersatzvornahmen eventuell die Aufgabe von Journalismus überholt, weil längst andere den Job  übernommen haben? Und ihn vielleicht sogar besser erledigen? Könnte natürlich sein.

Hinzu kommt noch ein uraltes Problem namens „Handlungsrelevanz“. Tun all die Reporter des Richtigen denn tatsächlich, was sie stets ankündigen? Mit etwas inhaltsanalytischem Aufwand lässt sich das manchmal  nachvollziehen. Gelegentlich erweist sich dann, dass manche doch vom Pfad der Tugend abweichen. Opfer der Umstände. Oder der Unfähigkeit.

Nun hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einen spezifischen Ausnahmezustand erzeugt, als sie ihr Willkommens-Signal ausgesandt hat. Und in diesem historischen Augenblick, angesichts des anrückenden Elends der Welt, stellt sich die weitergehende Frage:  Tun Journalisten eigentlich genug mit dem, was sie sowieso schon tun, wenn sie es denn tun?

So muss sich der Kolumnist Heribert Prantl häufig die Forderung gefallen lassen, er solle seinen Worten im Beruf auch Taten im Privatleben folgen lasse. Etwa, Flüchtlinge selbst zu betreuen.

Gretchenfrage.Prantl.2015

Prantl sieht das eher als Nötigung oder Ablenkung vom eigentlichen Thema. Dienst ist Dienst und Ehrenamt Privatsache.

Zumal es ja schon nicht einfach ist, Journalismus mit einer deutlichen Haltung zu machen. So vorsichtig Forsa-Umfragen bewertet werden müssen, die jüngst gemessene breite Akzeptenz der „Lügenpresse“-These (44 %)  irritert heftig. Darauf könnte man weiter mit Publikumsbeschimpfung antworten.

Oder aber mit einer Reflexion der Ursachen, wie es Medienberater Patrick Breitenbach mit seiner „Entschlüsselung der medialen Vertrauenskrise“ versucht. Journalisten sollten demnach an ihrem Erwartungsmanagement arbeiten. Sich also nicht zu sehr selbst überhöhen. Weniger Übertreibungen, vor allem, was die eigene Rolle übetrifft.

Das vorläufige Fazit zur Berufsrolle könnte also lauten: Doch die Extreme meiden. Journalisten sind weder die Hohepriester der Meinungsbildung noch deren Stimmungskanonen. Selbst wenn die konkrete Vorstellung recht schwer fiele – dies liefe dann auf doch statt auf die Alternative auf eine Mischung der Prinzipien „Jauch“ und „Jörges“ hinaus:

Auf rationale Journalisten mit Herz. Eine Doppelrolle.

 

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