Es gibt so Sätze, da ist man erst mal platt. Neulich, während einer Social Media flankierten Ausgabe des „Digitalen Quartetts“, habe ich mir folgenden Tweed des Bloggers Thomas Knüwer eingefangen: „Wenn Journalisten mit Online-Kommentaren verglichen werden, brauchen wir keine Journalisten mehr.“ Keine Journalisten mehr, mehr, mehr … hallte es in mir nach. Für eine Reaktion in Echtzeit war ich zu baff. Jetzt aber.
Rein rechnerisch ist das Digitale Quartett zwar oft eine Mogelpackung, inhaltlich dagegen stets ein kompetent besetztes, hochinteressantes Google-Hangout für Journalismus-Interessierte. Ein unkompliziertes, beteiligungsoffenes Format. Ausgabe 55 beschäftigt sich mit „Markus Lanz und dem bösen Internet-Mob seine Online-Petition“.
Der Titel verrät schon die redaktionelle Linie, eher einen selbstvergewissernden Diskurs zum Digitalen Wandel zu führen. Gestritten wird für eine positive Sicht auf das Internet und gegen dessen Verteufelung. Nach Schwefel roch es für das Digitale Quartett im Fall Lanz bei jenen Journalisten etablierter Medienmarken, die das Instrument der Online-Petitionen heftig kritisiert hatten.
Thomas Knüwer meinte sogar, hier „Hass“ am Werk zu sehen, wo ich Zuhörer allenfalls übliche Polemik erkennen konnte. Meiner Meinung nach eine überempfindliche Reaktion, weil bei vielen Diskutanten der neuen Medienwelt Verbalradikalismus inzwischen akzeptiert ist. Dies hat wohl weniger mit inhaltlichen Positionen als vielmehr mit einem verzweifelten Ringen um öffentliche Aufmerksamkeit zu tun.
Sarcasm sells, sozusagen.
Twitter bringt Sinnfragen auf den Punkt
Jedenfalls entspann sich folgender Twitter-Dialog (Knüwer antwortete aus der Sendung, Respekt):
Nun will ich so ein blitzschnelles Rand-Wortgeplänkel ja nicht überinterpretieren. Ich bin schon froh, wenn ich bei so etwas kaum Tippfehler produziere. Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse entstehen wohl kaum beim Twittern. Vielleicht mal ein Aphorismus. Oder ein treffender Kommentar.
Denn es stimmt ja: Man muss öffentliche Meinung nicht für göttlich halten („Vox Dei“). Aber die Abwandlung – „Vox Populi – Vox Rindvieh“ ist erst recht keine Geschäftsgrundlage für Medienarbeit. Wir dürfen von professionellen Kommunikatoren Respekt und Contenance gegenüber der Publikums-Artikulation verlangen, selbst dann, wenn sie grob ausfällt. Da gebe ich den Leitbloggern Niggemeier und Knüwer recht.
Aber sollen Journalisten deshalb gleich gar nichts mehr einwenden? Nicht die Substanz von Petitionsbegehren bezweifeln? Nicht die Verhältnismäßigkeit von Forderungen hinterfragen? Ich kann verstehen, wenn einen Polemik gegen „das Netz“ ärgert. Aber die verbale Rohheit der „Kommentarkultur“ ist seit Langem ein relevantes, ein kritisches Thema. Die Rolle von Internet und Anonymität dabei hat übrigens gerade ein Buch der Österreicherin Ingrid Brodning herausgearbeitet.
Ausgebuht und ausgedient – Journalisten in der Defensive
Was mich an den Satz „Wenn Journalisten mit Online-Kommentaren verglichen werden, brauchen wir keine Journalisten mehr“ so fasziniert hat, ist diese binäre Logik, diese Schlichtheit. Da kann aus einer ganzen Branche schnell mal statt einer „1“ eine „0“ werden. Jedenfalls hat sich Gewaltiges verändert, seit sie erfunden wurde.
Eine recht grobe Systematisierung, ausgehend vom Fragebedarf der Gesellschaft an ihr Mediensystem:
19. Jahrhundert: Was sollten Journalisten tun?
20. Jahrhundert: Was tun eigentlich Journalisten?
21. Jahrhundert: Was sollen wir noch mit Journalisten?
Die Zukunftsdebatten der Medienwelt werden härter, und damit wachsen auch die Empfindlichkeiten. Denn es geht ja auch um einiges. Digital ist längst Mainstream und deshalb stellen sich massive Machtfragen. Etablierte Medien befinden sich nunmehr genauso in einer Dauer-Defensive wie Journalistinnen und Journalisten mit klassischem Berufsverständnis.
Ein schonungsloses Infrage-Stellen, beispielsweise durch Journalistik-Professor Jeff Jarvis: “ There are no Journalists; there is only the service of journalism.”
Klare Ansage: „Es geht auch ohne Euch!“ Aus der professionellen Beobachter-Rolle wird sowieso schnell ein Kombattanten-Status, wenn es um Internet-Themen geht. Setzen sich Journalisten für das Allgemeinwohl ein, wenn sie über Online berichten – oder etwa nur für ihre eigenen Privilegien?
Immerhin: Gönnerhaft sendet Netzaktivist Markus Beckedahl in seinem Buch „Die Digitale Gesellschaft“ (mit Falk Lüke, 2012) versöhnliche Signale in der Schlacht um digitale Deutungshoheit:
„Aber alle Kritiker zwingen uns immer wieder dazu, über die Digitale Gesellschaft und ihre Ausgestaltung nachzudenken. Sie sind hilfreiche Bremsklötze auf der rasanten Fahrt in eine neue Welt. Für diese Rolle verdienen sie Respekt und Zuneigung. Journalisten sind die Chronisten ihrer Zeit. Sie sind aber auch ganz normale Menschen, die einem ganz normalen Beruf nachgehen und auch nur mit Wasser kochen.“
Jetzt wäre also nur noch zu regeln, wer wie Dampf ablassen darf. Mein Tipp bleibt weiter der des Kritikers Hans Hoff: „Entregt Euch“. Ich könnte mir vorstellen, dass die digitale Dialog-Fähigkeit sich umso besser entwickelt, je weniger Splitter man aus dem Auge des Gegners zu pulen versucht. Also den eigenen Balken zersägen. Welches abgegriffene Bild habe ich vergessen? Richtig: Nicht die Goldwaage überbelasten.
Im Ergebnis: Den Satz „Wenn man Journalisten mit Online-Kommentaren vergleicht, braucht man keine Journalisten mehr“ halte ich nach längerem Nachdenken für falsch. Als Feststellung. Die Frage nach dem richtigen Rollenverständnis, die bleibt.
[…] scheinkritischen Mantra: “Die Politik hat versagt.” Journalisten/innen müssen diesen fragwürdigen Zustand aushalten und können sich bei der Gelegenheit ja mal selbst fragen, ob jede pauschalierende […]