Dieses ständige Reden über einen glaubwürdigen Journalismus mit Zukunft. Ist das jetzt alternativlos oder sinnlos? Wo beide doch oft nur aneinander vorbei diskutieren, wie Tsipras und die offiziellen Eurozonalen? Ja, es gibt gerade begründeten Frust auf der Meta-Diskurs-Ebene. Aber keine Alternative. Dazu 5 Thesen.
Nehmen wir mal Twitter – gerade Journalisten zwitschern sich gern einen am elektronischen Tresen des Job Talks. Kein Wunder – so viel mehr Möglichkeiten zum Kollegen-Gespräch im Vergleich zum Feierabendbier oder Kantinen-Espresso! Meistens ist das witzig, oft spannend und im Prinzip ja sogar öffentlich.
Leider reicht das nicht für einen konstruktiven Medienwandel. Denn das altbekannte Prinzip bleibt ja: Am liebsten unterhalten sich Medienschaffende untereinander übereinander. Und die allgemeine Öffentlichkeit hört gern weg. Man ist sich in der Branche selbst genug. Jedenfalls bis man genug hat.
Grob gesagt: Zukunftsdebatte dreht sich im Kreis
Ronnie Grob, der verdienstvolle Ver-Linker von „6 vor 9“ (auf dem medienkritischen Bildblog.de) stellte gerade eine Art Antrag auf Ende der Debatte:
Selbstmitleidiges Gejammer der Journalisten mag niemand mehr hören.
Dies klingt mindestens nach den Folgen einer Überdosis Branchen-Nabelschau. Ronnie Grobs Begründung sagt uns aber mehr als das. Hier haben wir ein sehr lesenswertes Dokument zur Bilanz von neun Jahren Arbeit an der Ethik im Journalismus.
Für den Autor ist dabei das eigentliche Thema nicht die Schwierigkeiten eines Berufsstandes, sondern dessen Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Aber das würden die Profi-Journalisten eben kaum zur Kenntnis nehmen:
Sollte nicht die sogenannte vierte Gewalt Anwalt der Bürger sein, aller Bürger? Die Auseinandersetzung zwischen Bloggern und Journalisten ist eben auch ein Kampf «Neue vs. Etablierte». Und das bedeutet manchmal auch «Junge vs. Alte», «Machtlose vs. Mächtige» oder «Nicht-Akademiker vs. Akademiker». Das Internet hat den bisher ohnmächtig der Macht ausgelieferten eine Stimme verliehen. Aber was ist, wenn Journalisten und Medienkritiker diese Stimmen ignorieren? Dann ändert sich (vorerst) nichts.
Den Journalismus-Innovations-Blogger Christian Jakubetz hat dieser Beitrag in Sinnzweifel und teilweise Selbstkritik gestürzt. Aber er will weitermachen, im Selbstbespiegelungs-Genre. In aller Bescheidenheit schließe ich mich an.
Sicher habe ich Verständnis, wenn der Avantgarde der Online-Medienkritik langsam die Beine schwer werden. Wenn sie es nicht mehr hören und lesen kann. Endlich was anderes machen will. Journalismus wieder konkret erleben möchte. Auch das reduktionistische (Feind-) Bild von etablierten Journalisten ist für einen hauptberuflichen Nestbeschmutzer wie Ronnie Grob mehr als erklärlich.
Dennoch glaube ich, dass die Medienkritiker bislang mehr erreicht haben als sie zu glauben scheinen. Vor allem aber denke ich, dass die Diskussion um die künftige Kommunikation der Gesellschaft nicht beendet werden sollte, sondern verbreitert werden müsste.
Mein Plädoyer trägt die Überschrift Job Talk für alle! Dazu nun meine fünf Thesen:
1. Medien- (System-)Kritik gehört heute strukturell zu jeder bedeutenden politischen Debatte
Ob Griechenland, GdL oder Germanwings – aus dem Streit um Details der Berichterstattung wird stets ziemlich schnell diese Grundsatzfrage: Informieren uns die Medien noch richtig?
Wie in der Politik geht es dabei weniger um technische Details als um Teilhabe und Repräsentanz. Um das Erlebnis von „Selbstwirksamkeit“ und den Anspruch, die eigene Position medial abgebildet zu sehen. Es nützt nichts – das Publikum, das sich im Netz artikuliert, ist höchst anspruchsvoll.
Etablierte Massenmedien kommen da schnell an Grenzen. Waren sie doch eher eine Position als erhabene Orientierungs-Stifter gewohnt. Die kompromisslose Forderung nach blitzschneller, tief recherchierter, in richtiger Weise engagierter und gleichzeitig uneigennützig neutraler Berichterstattung überfordert das bisherige System.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Glaubwürdigkeits-Erosion des Journalismus sehen. Die geht tief, was man aktuell beispielsweise hier umfassend nachlesen kann. Publikum und Profis haben allen Anlass, sich auszusprechen.
Vielleicht sollten wir sogar von einer „Vertrauens-Disruption“ sprechen, angelehnt an diesen wirtschaftswissenschaftlichen Begriff, der immer wieder eine Rolle spielt, wenn es um digitale Innovationen geht. Was wir derzeit beobachten, wäre dann der Versuch einer schöpferischen Zerstörung des Vertrauens in die „Altmedien“, gleichsam als zwingende Voraussetzung für eine moderne Kommunikationsgesellschaft.
2. Ein Dialog kommt nur schleppend in Gang.
An den Diskussions-Angeboten fehlt es nicht mehr: Gerade diese Woche ist Die ZEIT mit einem selbstreflektierten Angebot herausgekommen, das ZDF hat schon länger eine digitale Mecker-Ecke und die Krautreporter ringen bereits seit einem Jahr mit einer höchst kritischen Community um mediale Maßstäbchen. Mal abgesehen von reichlich Social Media-Rauschen.
Wenn ich mir die Debatten im Detail ansehe (und ich sehe mir sehr viele an), dann fällt mir immer wieder auf: Beide Seiten haben sich mit vielen Worten oft erstaunlich wenig zu sagen. Die Kommunikation besteht ganz wesentlich in der öffentlichen Addition von Selbstgesprächen. Es kann nur eine Wahrheit geben, nämlich die eigene. Wer der eigenen Position nicht zustimmt, gilt schnell als unbelehrbar. Als manipulativ oder manipuliert.
Die Zeit versucht nun den Stier bei den Hörnern zu packen. Wie wild der bereits geworden ist, darf sie nun in der Auseinandersetzung mit den Reaktionen auf ihre Titel-Geschichte Alles Lüge?“ feststellen, dem Auftakt-Post der neuen Ego-Rubrik „Fragen der Zeit“.
Mit einem abgewogen selbstkritischen Gestus allein lassen scharfe Medienkritiker wie Stefan Niggemeier beispielsweise Insitutionen wie das ZDF nicht so einfach durch. Anhand des Lackmustest-Themas Griechenland stellt er anklagend fest:
Nein, das ZDF hat diese Korrektur-Ecke nicht, um sich zu berichtigen und kritisch mit der eigenen Berichterstattung auseinanderzusetzen. Sondern um auf Podien und in Gastbeiträgen in Zeitungen behaupten zu können, dass man das jetzt täte.
Schon jetzt steht für mich fest: Es wird lange dauern, bis man sich versteht und noch länger, bis man sich vielleicht verständigt. Durchaus eine Parallele zum Ringen zwischen dem Griechenland Tsipras und dem Merkelsche Europa: New Deal gegen Old School.
3. Die digitale Vernetzung hat das Problem weder erschaffen noch kann sie es automatisch lösen.
Ist nun das Internet ein Ersatz, mindestens so eine Art Workaround, um die etablierten Systemmedien zu überwinden? Kann man der Mediendemokratie nicht mal eben die „5. Gewalt“ quasi als Update der alten „4. Gewalt“ aufspielen? Einen Versuch scheint es wert.
Um meine Sicht mal einmal mit einem schiefen Bild auszudrücken: Medial brennt tatsächlich die Hütte und die Berufsfeuerwehr scheint überfordert. Dafür befindet sich die freiwillige Feuerwehr in glänzendem technischen Zustand und ist frisch motiviert. Allerdings kommt es am Einsatzort häufig zu heftigen Kompetenzstreiterei. Schiefe Metapher Ende.
Konkret erleben wir das beim Leitstern „Krautreporter“. Dort haben sich Profis und Engagierte zusammengefunden, um den Online-Journalismus zu retten. Mehr Ankündigung eines beteiligungsorientierten, neuen Online-Journalismus ging kaum. Mehr Unterstützung sowie Aufmerksamkeit einer Community ebenso. Und mehr Enttäuschung vielleicht auch nicht, angesichts der realen Möglichkeiten für wenige KR, ein harmonisches publizistisches Verhältnis zu 18.000 Mitgliedern aufzubauen.
Qualifizierte Öffentlichkeit muss erst einmal hergestellt werden, denn sie ergibt sich wohl doch nicht von selbst. Dies gilt für jedes einzelne Angebot und ebenso für die Plattformen, auf denen dieses Formate spielen. Was allerdings nicht heißen soll, dass ARD, ZEIT, SPIEGEL oder BILD von der Gesellschaft damit beauftragt werden.
Immerhin rücken die Schlagzeilen zur möglichen Fusion der Medienkonzerne Pro 7/Sat1 und Springer uns einmal die Dimension vor Augen, um die es geht. Während sich der Streit unter den Individuen geradezu atomisiert, entstehe für dessen Kommunikation Plattformen von gigantischem Ausmaß. Wie „neutral“ werden die sein und wer könnte das kontrollieren?
4. Noch ist unklar, wie breit der Medien-Diskurs derzeit überhaupt geführt wird.
Wer streitet sich da eigentlich ? Auf den ersten Blick klar: „Das Volk“ und „die Politik“. Und: „Die Zeitungen“ mit „den Lesern“? „Die“ Medien“ mit „den“ Nutzern“? Solche Zuspitzungen haben schon etwas reinigendes, klärendes. Leider sind sie inhaltlich aber untauglich, weil zu undifferenziert.
Die Auseinandersetzung zwischen der 4. Gewalt (in etwa: etablierte „Altmedien“) und 5. Gewalt (in etwa: „zivilgesellschaftliche“ Netzmedien) wird auf öffentlicher Bühne von Akteuren ausgetragen, die jeweils eine Elite repräsentieren. Ein Machtkampf, interessensgeleitet und generationell grundiert (gut, ich übersetze: „alt gegen jung“).
Sind jetzt Hunderte Kommentare, Tausende Retweets und zigtausend Likes viel oder wenig? Stabile, einordnende Befunde liefert jedenfalls auch Big Data dazu (noch) nicht. Am Ende stellen sich hier eher qualitative als quanitative Fragen. Auf den Effekt kommt es an.
Dies ist eine Erkenntnis, an der bloggende Kritiker der Altmedien häufig konzentriert vorbei sehen. Weil es das Argument Gut-gegen-Böse und „Wir sind das Leser-Volk“ unterläuft. Konservativ gegen progressiv trifft den Kern des Konflikts dagegen ganz gut.
5. Alles auf Anfang: Weiter verhandeln!
Ja, es wurde bereits unbegreiflich viel über die Medienzukunft spekuliert, von Lug bis klug. Nur wird und muss die Debatte weitergehen. Denn es ist zwar schon alles diskutiert, nur eben nicht mit jedem. Eine funktionstüchtige demokratische Öffentlichkeit erfordert jedoch einen breiten gesellschaftlichen Konsens, mindestens eine billigende Kenntnisnahme.
Diese heutige vierte industrielle Revolution, die eine der Informations- und Kommunikationstechnologie ist, wird mehr umwälzen als technische Verfahren oder geschäftliche Erlösmodelle. Sie wird die radikal Gesellschaft verändern. Um diesen Prozess einigermaßen konstruktiv beherrschen zu können, muss sie artikulationsfähig bleiben. Profis und Publikum müssen sich Medienkompetenz wieder gemeinsam erarbeiten.
Sicher kann ich nicht erwarten, dass jeder meine Freude an medialen Sinndebatten teilt. Aber ich hoffe darauf.
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