Mit diesem Beitrag habe ich es mir nicht leicht gemacht. Und – ehrlich gesagt – Ihnen auch nicht. Das Thema ist fast ein bisschen peinlich, jedenfalls gewöhnlich. Schwer zu formulieren ist es sowieso. Als besorgter Medienbürger sehe ich mich nun trotzdem gezwungen, ausführlich einen Schlüsselbegriff zu würdigen, der leider zum Schimpfwort wurde: „Mainstream“.
So eine Ehrenrettung des Mittelmaßes scheint gegen das Optimierungs-Gebot unseres Selbstvermarktungs-Zeitalters zu verstoßen. Wo doch gerade online der überlegene, lässig-mokante Grundton am ehesten erhört wird, das amüsante Besserwissen. Aufmerksamkeit ist nix für Durchschnittstypen.
Doch „Normalos“ und „Avantgarde“ spielen – trotz wechselseitiger Skepsis bis Verachtung – letztlich gemeinsam das Spiel sozialer Praxis. Erstere halten am solide geregeltes Zusammenleben fest, während letztere durch innovative Subversion für Fortschritt sorgen.
Es geht in diesem Text um einen problematischen Begriff, seine kritische Analyse und sein konstruktives Potenzial. Mainstreaming ist gerade in der medialisierten Gesellschaft ein wichtiger Prozess, den man weder ignorieren darf noch denunzieren sollte.
Nicht sexy, aber hilfreich – ein Durchschnittsbegriff
Der Begriff „Mainstream“ kam als unspektakuläre Beschreibung des Gängigen, allgemein Akzeptierten in die Welt. Er öffnet die ganz große Schublade, beispielsweise um Jazz-Stilrichtungen einzusortieren. Das Wort beschreibt die allgemeine Bewegung, die durchschnittlichen Strömungsverhältnisse. Das ist nicht gerade sexy, aber enorm hilfreich.
Vor allem medialer Mainstream befindet sich dabei ständig in Bewegung, wenn auch in einer trägen. Öffentlichkeit kann sich verengen oder erweitern. Und auch die Richtung wechseln. Üblicherweise ist es daher das Ziel von gesellschaftlichen Debatten, den Mainstream in die eigene Richtung zu lenken, also in die gute.
Hierbei spielt paradoxerweise der „Destinktions-Gewinn“ eine wichtige Rolle, die Selbstveredelung durch Unterscheidung. Die feinen Unterschiede kennzeichnen den notwendigen Erfolg im Kampf um gesellschaftliche (Dar-)Stellung. Um Macht. Wer auf sich hält, der grenzt sich von der Hauptströmung ab, weil sie/er etwas Besonderes (sein) will.
Halten wir also zunächst fest: Im Prinzip beschreiben die beweglichen Eliten und der träge Mainstream zusammen den Weg der Gesellschaft, nach Geschwindigkeit und Richtung. Wenn das gut läuft, fließt das Leben auf der Welt in einigermaßen konstruktiven Bahnen.
Danach sieht es aber derzeit nicht aus. Der zunehmend zwielichtige Ruf von „Mainstream“ und „Elite“ versinnbildlicht die allgemeine Systemstörung. Aus dem Wechselspiel von Abgrenzung und Integration hat sich dauerhafte Ausgrenzung und Exklusion entwickelt.
Öffentlichkeit zwischen Lähmung und Radikalisierung
Seit einigen Jahren kann ich einigermaßen intensiv den Wandel öffentlicher Kommunikation beobachten. Das ist ein Privileg, wenn auch ein frustrierendes. Die Polarisierung in zentralen politischen Fragen hat die Welt inzwischen in Hochspannung versetzt und es fragt sich, ob wir noch in der Lage sind, diese zu regulieren.
So bin ich inzwischen zu einem besorgten Bürger der Mediengesellschaft geworden, den die brutale Verhandlung sensibler Themen täglich aufs Neue erschreckt. Der Sieg der Frechheit. Eine Debatte-Kultur, die nur noch Schwarzweiß kennt und der Kompromisse ein Gräuel sind.
Unsere Gesellschaft pendelt zwischen Lähmung und Radikalisierung: Während das etablierte System – und mit ihm seine Medien – angesichts komplexe Probleme erstarrt wirkt, gerät die Establishment-Kritik der Außenseiter in Zerstörungswut.
Alte Regeln greifen kaum mehr, neue fehlen noch. Das führt zu nichts, sondern eher ins Nichts.
Top–Ergebnisse: Medien + Mainstream = Verschwörung
All dies hat der digitale Medienwandel nicht verursacht, aber durchaus auf die Spitze getrieben. Deshalb erlaube ich mir jetzt eine kleine Suchanfrage zum Thema Mainstream und Medien.
Ja, ja, man soll das nicht machen: mit Google-Treffern etwas illustrieren. Aber ich tue jetzt mal so als wüsste ich das nicht. Damit mich der Algorithmus nicht allzu sehr persönlich bemuttert, wechsle ich sogar auf ein fremdes Gerät und setze einen Alu-Hut auf. So, und jetzt wird gegoogelt:
Gebe ich die Kombination „Mainstream“ und „Medien“ ein (ganz viele Treffer), dann erhalte ich als erstes einen (medienkritischen) Wikipedia-Eintrag, ok soweit. Dann jedoch folgt auf der restlichen Top-Ergebnisseite alles, was in der publizistischen Verschwörungstheorie Ranking und Namen hat. Das fängt mit „volksbetrug.net“ an und geht über die „Propagandaschau“ und „Kopp-Verlag“ bis zu den „Nachdenkseiten“ sowie „Politically Incorrect“.
Als einzige Ausnahme taucht unter den ersten Ergebnissen noch das neue Buch des Leipziger Kommunikationswissenschaftlers Uwe Krüger auf: „Mainstream: Warum wir den Medien nicht mehr trauen.“ Diesem Link folge ich dann mal.
Studie I: „Verantwortungsverschwörung“ und „Enttäuschungswut“
Ausgangspunkt der Analyse von Krüger ist der Befund eines „allgemeinen Vertrauensverlustes“ in etablierte Medienprodukte. Empirisch ist das übrigens gar nicht so einfach aus Studien heraus zu lesen, emotional spüren das aber wohl viele. Auch der Autor hat da ein deutliches „Wir-Gefühl“, wie wir bereits dem Untertitel seines Werkes entnehmen können.
Krüger konnte bereits mit seinem Buch „Meinungsmacht“ eine durchaus Aufsehen erregende Elitenkritik verlegen. Er untersuchte Netzwerkverbindungen und Veröffentlichungen von „Alpha-Journalisten“, denen er im Ergebnis eine fast bellizistische, transatlantische Orientierung unterstellte. Das politisch-journalistische Establishment halte zusammen, besonders wenn es gegen Wladimir Putin gehe.
Solche Studien sind mit erheblicher Vorsicht zu genießen. Nicht, weil sie per se unseriös wären, sondern schlicht aufgrund methodischer Grenzen, die ihre Aussagen-Reichweite beträchtlich einschränken. Zum Beispiel, wenn man von einer Handvoll Journalisten auf eine ganze Branche schließt. Seltsamerweise gerät das relativierende Kleingedruckte selbst bei wissenschaftlichen fundierten Werken schnell unter den Tisch, wenn es ums Formulieren schlagkräftige Buchtitel und knackiger Kernthesen geht.
Besonders schwer belegbar ist das Zustandekommen eines gleichgerichteten, gelenkten Medien-Mainstreams. Darum geht in Krügers aktuellen Buch „Mainstream“. Obwohl er viele Beispiele und wissenschaftliche Indizien zitieren kann, muss Krüger immer wieder deren begrenzte Beweiskraft benennen.
Daher bleibt ihm eine nur eine bekenntnishafte Setzung:
Was es jedoch zweifellos gibt, ist ein `Medienmainstream´, ein mehr oder weniger weitgehender medialer Konsens in bestimmten Fragen oder auch: eine Anzahl von Themen und Meinungen, die in einem bestimmten Zeitraum in der Medienlandschaft dominiert, und damit eine `Hauptströmung´ oder eine `Hauptrichtung´ bildet.
Krüger vermutet als Ursache dieser Gleichrichtung eine „Verantwortungsverschwörung“ von publizistischen und politischen Eliten. Beispielsweise beim Thema Flüchtende. Das komme beim Publikum als Bevormundung an und entfache dort wiederum eine „Enttäuschungswut“.
In seinem Buch wirbt Krüger um Verständnis für die oft geäußerte Frustration über den etablierten Journalismus, schlägt andererseits aber vor, den Kampfbegriff „Lügenpresse“ durch eben den Begriff „Mainstream-Medien“ zu ersetzen.
Der Begriff „Mainstream-Medien“ kann man am ehesten des Polemischen und Herabwürdigenden entkleiden, um sich den realen Mechanismen anzunähern, die in einer grundsätzlich pluralistischen, demokratisch verfassten Gesellschaft zu einer hohen Konformität der Medien führen.
Ein interessanter Ansatz zur Differenzierung. Wenn er gelänge, dann könnte der Begriff ein analytisches Instrument für die nüchterne Betrachtung der Wirklichkeitskonstruktion werden. Schauen wir uns doch einfach an, wie „herrschende Meinung“ zustande kommt!
Aber bereits der Autor selbst unterminiert seinen Vorschlag, indem er den medialen Mainstream dann doch als Störfall erachtet, als Resultat des geheimbündlerischen Wirkens transatlantischer Nato-Versteher und Wirtschaftsliberaler. Ob das gerecht ist, will ich an dieser Stelle nicht bewerten. Dass es dem Gegenstand des Mainstreamings nicht gerecht wird, davon bin ich allerdings überzeugt.
Krüger formuliert seine Befunde zwar empathischer als die brüske Schelte aus dem Putin- und Pegida-Lager. Die diskursive Brücke jedoch, die er verdienstvoller Weise bauen will, steht leider bereits in Flammen. „Mainstream-Medien“ wird in der Debatte um gesellschaftliche Öffentlichkeit kaum als Werkzeug eingesetzt, sondern meist als Sprengsatz. Allerdings nicht nur von Radikalen.
Wer die Mühen der Diskussionsebene scheut, der hatte es mit dem simplen „Die stecken doch eh´ alle unter einer Decke“ schon immer einfacher. Wo das früher zur Resignation führte („Kannst Du ja doch nichts machen.“), eröffnet die Digitale Moderne den Systemfrustrierten ganz andere Möglichkeiten. Teilhabe kann, muss aber nicht konstruktiv sein.
In ihren machtvollen Parallel-Öffentlichkeiten, vor allem in den Sozialen Medien, können sie nun wirkungsvoll alles infrage stellen und stehen lassen, inklusive der massenmedialen Öffentlichkeit selbst. Früher glaubten die Fundamental-Gegner, beim Mainstreaming nicht mitreden zu können, heute meinen sie, es nicht mehr zu müssen. Denn nun haben die angeblichen Außenseiter beides gleichzeitig – Opferrolle und Öffentlichkeit.
Vielleicht auch wegen der alarmistischen Aufmachung – Buchumschlagstext: „… wie Journalisten entscheiden, was wir wissen dürfen“ – wird es „Mainstream“ von Uwe Krüger sogar schwer haben, nicht als Argumentationsfutter von den „Lügenpresserufern“ vereinnahmt zu werden. Woraufhin die Adressaten in den „Altmedien“ wiederum Krügers Kritik souverän zu den Akten legen können.
Studie II: „Die Griechen provozieren“ – ARD und ZDF
Wie schwierig es unter diesen Bedingungen ist, die Herstellung von Öffentlichkeit selbst zur Diskussion zu stellen, zeigt auch ein anderer wichtiger Diskussionsbeitrag: Die neue Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung setzt den Bohrer an ein richtig dickes Brett: ARD und ZDF.
Während sich Uwe Krüger als objektiver Außenstehender in Äquidistanz verortet, betrachtet der Würzburger Medien-Professor Kim Otto das Phänomen Leitmedien und -Diskurse aus der Nähe. Zumal er selbt TV-Autor im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist.
Anders als Krüger setzten Otto und Team aber nicht bei den Handelnden („Elite“), sondern beim Handwerk an („Programmauftrag unzureichend erfüllt“). Mit „Die Griechen provozieren! Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise“ unternehme die OBS einen weiteren Versuch, „die Polarisierung in der Medienkritik zu durchbrechen“, wie es im Vorwort ahnungsvoll vorsichtig heißt.
Man wolle nicht ins „Lügenpresse“-Horn stoßen, sondern fragen, inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch seinem Auftrag nachkomme. Dies geschieht wohl in bester Absicht zur Qualitätssicherung, aber schon mit einem gewissen politischen Spin. Auch in diesem Setting schwingt die These vom manipulativen Medien-Mainstream mit.
Kim Otto nimmt dazu die Berichterstattung von Das Erste und ZDF zur Griechenland-Krise 2015 unter die Lupe: Es ist eines der Lackmus-Test-Themen für Medien-Systemkritik, etwa gleichrangig zu „Flüchtlinge“, „Bankenkrise“, „Euro“, „Ukraine“ und „Israel“. Diese Themen werden vorzugsweise im Alles-oder-nichts-Modus diskutiert, wenn man so etwas „Diskussion“ nennen will.
Wer sich die Studie von Otto nun durchliest, dem können schon einige kritische Fragen zur Methode kommen: zum mechanistischen Ausgewogenheitsbegriff (Meinungen wird ausgezählt), zur engen Sendungsauswahl (die meisten öffentlich-rechtlichen Angebote werden weggelassen).
Auf der anderen Seite wirft die Inhaltsanalyse bedenkenswerte Fragen an die Berichtsmaschinerie öffentlich-rechtlicher Fernsehnachrichten auf. Sie listet handfeste Indizien für einen grundsätzlich „griechenkritischen“ Spin auf. Zu wenig ausgewogen, zu wertend und zu oberflächlich – so resümieren die Autoren der Studie den Eindruck, den sie aus ihren vielen Zahlen gewonnen haben. Sie raten ARD und ZDF zu stärkerer Qualitätssicherung, etwa wenn es um die Trennung von Meinung und Nachricht ginge. Eine Diskussionsgrundlage
Möglicherweise ist die Diskussion aber bereits vor Beginn beendet: Man zickte sich erstmal bloggend, twitternd und interview gebend an, hüben wie drüben. „Sooo nicht!“ rufen sich beide Seiten medialevermittelt zu. Aber vielleicht wird das noch. Denn der löbliche Ansatz der Studie ist es ja gerade, die großen Verschwörungs-Vorwürfe gegen den „Staatsrundfunk“ auf die kleinteilige Arbeitsebene zu zerren.
Wenn derlei kritische Dialoge nicht zustande kommen, dann nützt das stets nur den Beharrenden und den Verweigerern. Wozu auch umständlich debattieren, wo man doch ganz einfach rechthaben kann? So kann sich die Abneigung der Medienbranche gegen Selbst- und Fremdkritik unter dem Kleid der Verfolgten Unschuld verstecken. Und die Verschwörungstheoretiker können genau das einfach als Bestätigung verbuchen. Win, Win.
Gesellschaftliche Grundgefühle sind nun mal empirisch kaum zu erfassen. Und selbst die heißesten kommunikationswissenschaftlichen Modelle verfügen leider immer nur über eine begrenzte Erklärkraft. Mit Indexing (Medien bilden nur die Themen der Etablierten ab), Gatekeeping (Journalisten überwachen die Informationsschleuse) oder Narratives Framing (Erzählstrukturen rahmen die mediale Wahrnehmung) können wir viel über den Einfluss von Massen-Medien auf die öffentliche Meinung erfahren. Aber nicht alles. Es sind wertvolle Beiträge zur Medienkritik. Noch mal zur Sicherheit: BEITRÄGE.
Die genannten Ansätze sagen schon mal weniger darüber, wie der Hase in umgekehrter Richtung läuft. Denn wenn die Medien zur Qual werden, hätte das Publikum ja immer noch die Wahl. Heute mehr denn je. Die Möglichkeit, Tagesschau zu gucken oder ARTE-Nachrichten zu verfolgen, SPON zu lesen oder VICE zu nutzen. Oder sonstwas, hilfweise gar nichts. Hinzu kommt dann noch die vertrackte Möglichkeit, das Dargestellte ganz anders zu verstehen als die Autoren es meinen.
Je genauer wir also hinsehen, umso unschärfer wird das Bild. Die Hoffnung, dass uns unbestechliche Empirie von all den Zweifeln erlösen kann, trügt. (Da empfehle ich alternativ die Bremer Parsifal-Inszenierung.) Vielmehr lautet die Aufgabe wohl, Ambivalenz zu auszuhalten, unvollkommenes und un-eindeutiges. Eine schwere Übung. Sie setzt sich in Gegensatz zu Gott („Deine Rede sei ja, ja und nein, nein“) und Tucholsky („Auch das Gegenteil ist richtig.“) Wir leben bedauerlicherweise in einer Wischiwaschi-Welt.
Ist der Mainstream zu retten und wenn ja, lohnt sich das?
Es geht mir wirklich nicht um das Wort, sondern um dessen Bedeutung. Um das Prinzip Integration durch Kommunikation als Prozess. Dies funktioniert nur im Zusammenspiel von Konsens und Infragestellung. Klare Haltungen sind dabei nicht das Problem – Ausschließlichkeit und Unbelehrbarkeit schon. Denn damit wird es irgendwann totalitär.
Ich habe bislang dargestellt, dass „(medialer) Mainstream“ meiner Wahrnehmung nach als Störfall betrachet wird. Meistens beschreibt der Begriff dann die Manipulation der öffentlichen Sichtweisen durch das Establishment. Dagegen könnte man den Ausdruck auch als Werkzeug einsetzen, um gesellschaftliche Meinungsbildung zu analysieren (Krüger). Mit einer näherer Betrachtung der Strömungsverhältnisse ließe sich zudem die Qualität des Medienbetriebes sichern (Otto). Im Ergebnis lassen sich die kommunikativen Geschicke durchaus in konstruktive Bahnen lenken. Aufzuhalten wäre der Fluß ohnehin nicht.
Wenn wir diesen Prozess des „Mainstreamings“ vernachlässigen, dann hat das destruktive Folgen für eine Gesellschaft. Erste Variante: Die aktuellen Strömungsverhältnisse einbetonieren, also kompromisslos verteidigen. Zweite Variante: Den gesellschaftlichen Zusammenfluss ignorieren, also kompromisslos attackieren. Im einen Fall wird es öde, im anderen brechen die Dämme.
Sobald es konkret wird, stellen sich unangenehme Fragen: Wie gehen wir mit möglicher Ignoranz der „Masse“ um? Oder mit häufiger Arroganz der „Mächtigen“? Welche extremen Positionen kann eine liberale Demokratie im gesellschaftliche Gespräch noch verkraften? Wo beginnt der Widerstand gegen strukturellen Machtmissbrauch der Eliten? Was ist mit dem Islam, dem Euro, Putin, Erdogan, TTIP, Nato?
Noch konkreter beschreibt dieses Dilemma das gerade aktuelle Beispiel CSU: Offenkundig planen ihre Strategen, recht rechte Positionen von der AfD zur Integrationspolitik ins etablierte Parteienlager zurück zu holen. Zudem attackieren sie eine Säule der etablierten Medien-Architektur, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bei beidem wird mir persönlich recht unwohl.
Dennoch liegt das Verhalten der CSU innerhalb meiner gerade entwickelten Argumentation für notwendiges (mediales) Mainstreaming. Denn wenn es einer konservativen Partei gelänge, gerade politische Außen-Positionen – kontroverse, nicht grundgesetzwidrige. Da geht es schon los! – im demokratischen Spektrum zu bearbeiten, könnte das durchaus deeskalieren.Ebenso spricht von vornherein nichts gegen Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem, selbst wenn sie zu erheblichen Einschnitten führen. Im besten Fall könnte die Akzeptanz nach einem Reset wachsen.
Zweimal „könnte“, Zweimal riesige Risiken, die sich wie folgt beschreiben lassen: Mit ihren Vorschlägen bereitet die CSU opportunistisch rechtsextremen Positionen in der Flüchtlingspolitik und der Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Boden. Denkbar.
Jedefalls steht viel auf dem Spiel. Mir wäre nur einfach wohler, fände dieses Spiel wenigstens innerhalb der akzeptierten Regeln unserer parlamentarischen Demokratie statt. Dazu gehört es, nicht alles Komplizierte zum gordischen Knoten erklären und mit dem Schwert zerschlagen wollen. Dazu gehört es, nur echte Nazis „Nazi“ zu nennen. Strukturen zu kritisieren, statt immer gleich das „System“. Belehrung durch Zuhören ersetzen. Auch kleine Schritte als Bewegung wahrnehmen.
Dies alles erfordert allerdings ein starkes Grundvertrauen und eine hohe Einsatzbereitschaft sowie eine erhebliche Frutrationstoleranz. Den Mainstream in konstruktive Bahnen lenken, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist mühsam schwierig und riskant.
Mainstream ist zu wichtig für ein Schimpfwort. Meine Meinung.
Offenlegung (wie man so schön sagt): Zu meiner Sozialisation gehören eine Nähe zum Lehrstuhl des Münchner Kommunikationswissenschaftlers Christoph Neuberger (der das Buch „Meinungsmacht“ von Uwe Krüger hart kritisiert hat.) sowie zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
[…] einem Versuch der Ehrenrettung für den Mainstream (-Journalismus) hatte ich mein Unbehagen bei derlei Mediensystemkritik schon beschrieben: Es bringt […]