Ich lach´ mich tot – und das ist auch gut so. Wenn es nach Nico Semsrott („Die Partei“) ginge. In seinem Wahl-Spott macht er deutlich: Sobald er an die Macht kommt, wird’s eng für alternde weiße „Letztwähler“. Präpotenz oder Post-Respekt? Ihm doch egal. Mir aber nicht.
Dies ist vielleicht mein persönlichster Text. Nicht nur, weil es um Lieblingsthemen wie Medienmeta und Generationskonflikt geht. Sondern vor allem, weil ich betroffen bin. „Herr Hansen hat gerade gewählt,“ referiert Spaßparteivogel Semsrott und meint die sieche Person auf der Intensivstation. Als ablebendes Feindbild für den Nachwuchs. Denn Letztwähler machen die Zukunft kaputt.
Aber sehen Sie selbst:
Mein methodischer Hang, stets Ambivalenzen aushalten und ausgleichen zu wollen, führt mich selbst bei diesem Thema zu einem klaren Sowohl-als-auch. Bin halt nicht Tucholsky, sondern eher Wischiwaschi.
Einerseits also war ich ja bei Jan Böhmermanns wüster Attacke gegen Recep T. Erdogan zu radikaler Bewertung des Satirebegriffes bereit. Schließlich ging es seinerzeit um einen gefährlichen Despoten und sein noch gefährlicheres Prinzip: „Kritik ist Beleidigung und Opposition ist Terror.“
Außerdem weiß ich um das entlarvende Potenzial, das Martin Sonneborns Projekt „Die Partei“ entfalten kann. Unvergesslich seine Replik bei einem durchritualisierten Wahlhearing im RBB-Fernsehen: „Ich bedanke mich für Ihre Frage – und möchte erstmal eine andere beantworten.“
Ja, ich glaube das Prinzip im Rahmen meiner Möglichkeiten einigermaßen verstanden zu haben.
Nun zum Andererseits: Da wären zunächst zwei bittere Assoziationen bei dieser Alte-Hansemänner-Verächtlichkeit im Video: Zum einen dachte ich an meinen Vater, den ich kurz vor seinem Tod in genauso einer entwürdigenden Bettlägrigkeit sehen musste. Mein letztes Bild von ihm.
Und der zweite Gedanke: Nicht weit von meiner Tastatur, in Oldenburg, wird seit einem halben Jahr gegen einen Krankenpfleger verhandelt, der sozusagen etwas Wahlkampfhilfe für „Die Partei“ geleistet haben soll: mehr als 100 getötete alte Menschen. (Schwarzer-Humor-Smiley)
Alles in allem stellt sich mir die Sinnfrage. Anders ausgedrückt: Ich verstehe wohl keinen Spaß mehr. Ob es am Alter liegt oder an der Weltlage, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich ist es beides. Möglicherweise ist mir gerade aufgrund der erfolgreichen Dekonstruktionsarbeit der Polit-Comedians das Gespür dafür abhandengekommen, was die komischen Aktivisten eigentlich ernst meinen. In seinem „Die Partei“-Spot für die Bundestagswahl 2017 bietet Nico Semsrott folgenden Handel an:
Liebe Nichtwähler, wenn es Euch egal ist, wer im Bundestag ist, wäre es dann nicht schön, von jemanden vertreten zu werden, dem egal ist, dass er im Bundestag sitzt?
Wäre das schön? Inzwischen könnte man sogar fragen: Isses nich schön? Sowohl im europäischen als auch in vielen deutschen Parlamenten sitzen mittlerweile einige, denen es ziemlich wurscht ist, wo sie da sitzen. Sie sehen sich nicht als Teil des, fragilen, frustriernden Diskurses. Statt den Regeln der repräsentativen Demokratie zu entsprechen, bilden sie lieber eine liquide politische „Bewegung“. Diese Formationen stehen nicht in inhaltliche Konkurrenz zu einzelnen anderen Parteien, sondern in fundamentaler Opposition zum „System“. Zur Wahl treten sie an, um der liberalen Quasselbude deren Versagen vor Ort zu demonstrieren.
Wenn wir also auf dem Stimmzettel wieder eine Auswahl treffen sollen, dann erleben wir das, was man einen „Kategorienfehler“ nennen könnte. Die auf dem Stimmzettel dargebotenen Optionen passen systematisch einfach nicht zueinander: eher linke, eher grüne, eher liberale, eher rechte Politik und dann … „ätsch“ = gar keine Politik.
Im Ergebnis kommt vorhersehbarer Unsinn dabei heraus: „Parteien“ bevölkern die Parlamente, ohne an den bislang üblichen Aushandlungsprozessen teilhaben zu wollen. Politiker/-innen werden Abgeordnete, um gegenzuarbeiten, nicht um mitzuarbeiten. Als Seiteneffekt bringt eine derlei schiefe Auswahl kaum noch funktionstüchtige Mehrheitsverhältnisse zustande. So wird „Politikversagen“ zur self fullfilling prophecy. Nach den Wahlen in Spanien deutet sich das dieser Tage wieder an. Europa steht vor demselben Dilemma.
All dies geschieht also mit voller Absicht. Mal in umstürzlerischer Masterplanung, mal mit den besten Vorsätzen. Das unterstelle ich zumindest immer noch der „Partei“. Weg mit den überkommenen Eliten und den morschen Strukturen. Was allerdings als fröhliche Disruption daherkommt, erscheint mir mittlerweile eher als erschöpfte Selbstzerstörung. Bislang profitieren ausschließlich Autokraten.
Die Welt scheint in die Polarisierungsfalle getappt. Endspielstimmung auch in der Popkultur: Avengers beim Endgame, dazu der Endsieg-Sound von Rammstein. Millionen in den Kinos und an den RRRRundfunkapparaten.
Was tun? Suchen wir nach ein bisschen Frieden. Mit den Außerirdischen. Mit den Russen. Mit den Nachbarn. Mit der Natur. In der Kommunikation. Mal sehen, ob sich da bei den Parteien ohne Tüttelchen und Tüddelkram inhaltliche Ansätze finden lassen. So weit meine hilflose Wahlempfehlung.
Mir sind aber unbefriedigende Lösungsansätze lieber als Endlösungen. Wenn wir medial weiter so aufeinander einhämmern, wird künftig der sicherste Ort für love and peace vermutlich tatsächlich der Friedhof sein.
Herzlich
Ihr künftiger Letzt-Blogger.
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