Hart aber wichtig: Digital Qual

Schöne Studio-Stimmung (Hartaberfair /ARD)

Schöne Studio-Stimmung (Hartaberfair /ARD)

Um ein Haar wäre die gestrige „Hart aber fair“-Sendung an mir vorbeigegangen. Und damit eine aufschlussreiche Ausgabe zur Medienkompetenz in Zeiten von „allways on“. Aber Gott sei Dank gibt es ja das Internet. „Das Netz“ hatte sich nämlich ziemlich aufgeregt und ich frage mich ein bisschen, warum.

Gut, zum Teil wird es am alarmistischen Titel gelegen haben: „Immer online – machen smartphones dumm und krank?“ Jedenfalls wurde rund um die Sendung mit Moderator Frank Plasberg  geharnischt getwittert.

Also habe ich die Sendung nachträglich an mir vorbei streamen lassen. Was ärgert die elektronische Avantgarde derart?

Eigentlich unverständlich, wenn man einmal vom Sendungstitel absieht. Im Studio kamen alle Meinungen vor, es war munter, es war kontrovers, es redeten nicht nur Männer. Gelacht und geschäkert wurde auch.

Das Hauptproblem für die Twitteria scheint mir zu sein, dass es derlei Diskussionen überhaupt noch gibt. Wo wir doch längst weiter sein könnten, sein müssten. Hinzu kam noch die hohe Einschaltquote mit 2,88 Millionen Menschen (17. % Marktanteil). So viel Publikum sollte sich schließlich nicht sorgen, sondern mitmachen, in der digitalen Gesellschaft.

Wenn meine küchenpsycholgische Vermutung zutrifft, dann wäre das ein elitärer Irrtum. Zum Erwerb von Medienkompetenz durch den Mainstream gehört auch die Zumutung solcher Diskussionsrunden. Öffentliche, kontroverse Debatten in populären Arenen.

Qualität kommt auch beim Medienwandel von Qual. Wir handeln jetzt als Gesellschaft mühsam den Rahmen des digitalen Wandels aus. Tun wir das nicht, handeln andere: Staatsmacht, Konzerne, die üblichen Verdächtigen. Sie könnten dann Extrempositionen durchsetzen. Kompromisslos.

Das Publikum durfte gestern so einer Verhandlung beiwohnen. Es gab eine Reihe konträrer Plädoyers. Das Urteil fällt am Ende jeder selbst. Mitgestalten, opponieren, resignieren. Rückschritt, Fortschritt oder Stillstand – kein Weg ist sicher, aber jeder hat Folgen.

Oft genug ist die Besetzung bei Gesprächssendungen ein Riesenproblem. Diesmal nicht: Die Palette der Positionen war hilfreich für die persönliche Entscheidungsfindung. Alles dabei: Wir lernten geradezu Prototypen der Debatte kennen.

Als Apokalyptiker vom Dienst fungierte diesmal der bekannte Autor Manfred Spitzer, ein populärer Wissenschaftler („Digitale Demenz“). Während Spitzer einmal mehr das Ende des Abendlandes vorhersah, beschwor Unternehmer Frank Thelen den Untergang des Morgenlandes: „Zu wenig Internet tötet Deutschland“. Zukunft ohne uns.

Wenn Fanatismus auf Hysterie triff:  Sah Spitzer die Entwicklung von Kindern durch zu frühe Technisierung gefährdet, fürchtete  Thelen, es könnte für die Zukunft des Standortes Deutschland zu spät sein, falls die Jüngsten nicht schleunigst programmieren lernten.

Zwischen Kultur-Konservatismus und Digital-Darwinismus gab noch es erfreuliche Zwischentöne. Beispielsweise das samtige Werben des Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar für eine offene, reflektierte Aneignung von Technik.

Dann war da noch die Forderung der Gewerkschafterin Leni Breymeier, über Regeln und Folgen.4.0 für die Arbeitswelt zu reden. Sie gefiel mir besonders gut, weil sie den Digital-Demenz-Erregungssturm abwetterte, indem sie einfach auf ihren Programmpunkt wartete. Als es so weit war, warf sie genau die Fragen auf, die uns noch eine Weile beschäftigen werden. Oder jedenfalls sollten.

Zudem führt uns das Fernsehen immer wieder mal vor Augen, dass Kommunikation ein Körperakt ist. Beispiel. Der stark studiengestützte Spitzer redet sich immer mehr in mürrische Rage. Darauf kontert Duygu Gezen; die erste Social Media-Volontärin der ARD“ (und zwar bei Radio Bremen!) schlicht, aber mit berückendem Lächeln:

„Es wird kommen, sie können es nicht aufhalten!“

Die Anwesenheit einer Repräsentantin der schönen neuen Medien-Welt verleitete zwei (ältere) Männer am Beginn der Sendung sogar zu einem Abstecher in die Herrenwitz-Welt. Als die junge Frau bekannte, dass Smartphone und Tablet jede Nacht neben ihr im Bett lägen, schnurrt es aus dem Off: „Da wird bald jemand anderes liegen.“ Plasberg: „Ein erfahrener Mann!“

Dieser Tiefpunkt war schnell durchschritten. Während der gesamten Sendung strahlte Frau Gezen in Wort und Habitus das unerschütterliche Selbstbewußtsein der digital natives aus. Mit einem Bruchteil der Redezeit eines Spitzer, aber trotzdem effizient.

Die Runde bei Hart aber Fair versinnbildlichte insgesamt ein vielschichtiges Generationen-Setting: Der radikale Alte will Verbote, die moderaten (Mittel-) Alten plädierten für Reflexion und Regeln. Und die Jungen wollen loslegen.

Wunderbar symbolträchtig war das Schluss-Spiel des Talks: Wen würden die Gäste jeweils mit auf die bekannte einsame Insel nehmen: Smartphone oder einen Mit-Diskutanten? Ergebnis: Die Älteren wollten die Jungen dabeihaben, aus sehr unterschiedlichen Motiven. Die Jungen Digitalen wählten das Smartphone …

Die Sendung steht noch einige Tage in der Mediathek. Greifen Sie zu!

Kommentare

  1. Mark Vogt meint:

    Hallo Herr Hansen

    Über einen Facebook Link stieß ich auf Ihren Blog und somit auch auf
    die Plasberg Sendung. Leider fehlt mir in Ihrem Artikel ein wenig die
    eigene Sicht.

    Da ich, als Frankfurter, die Relegation gesehen habe, blieb ich nach dem Spiel bei Herrn Plasberg hängen, zumal mich das Thema interessierte. Ehrlich gesagt kannte ich einige Gäste bis dato nicht mal.

    Ich war ein wenig erschrocken, wie mit dem Thema umgegangen wird. Klar, als Investor hat Herr Thelen ein gewisses Interesse, dass Daten fließen, dass sich bestimmte Dinge in der Gesellschaft etablieren. Wunderlist war schon eine charmante Idee, wobei ich eben ein großer Freund des Mitdenkens bin, allenfalls Post-it Zettelchen lasse ich noch durchgehen.

    Ich programmiere selbst, meinem eMail Header werden Sie auch entnehmen können, dass ich mit Apple arbeite, aber ich muss mich selbst als Erwachsener bremsen, wenn es darum geht, dass das digitale Leben zu sehr in mein reales Leben hineingreift. Habe sogar erst seit 3 Wochen ein Facebook Profil, konnte mich lange wehren.

    Kindern bereits in der Kita und der Grundschule ein Tablet vor die Nase zu stellen halte ich für vollkommen falsch und ich erkläre Ihnen auch, warum.

    Bin selbst Vater von 5 Kindern im Alter von 25 bis 7, kenne also gesamte Bandbreite. Während die beiden Älteren noch ganz alte Schule eben auch mal handschriftliche Notizen machen, können die jüngeren dies kaum noch und wenn, dann mit einem Schriftbild, dass einem die Nackenhaare aufstellt.

    Kinder sind in 2016 sowas von Touch-abhängig, dass sie zwar fliessend auf einem Smartphone oder Tablet tippen können, aber die Motorik in Sachen Schreiben mit Füller läßt enorm zu wünschen übrig. Dies wird einem übrigens auch in der Schule von diversen Lehrern bestätigt.

    Unsere 10jährige bekam vor kurzem ihr erstes Smartphone, da nun die weiterführende Schule ansteht und man eben so Kontakte hält, ggf auch mal auf sich aufmerksam macht, dass der Bus vor der Nase wegfuhr. Wenn ich nun sehe, wieviel Streß dieses Gerät bei ihr auslöst seit ein paar Wochen, wird mir ganz übel. Es war zu früh. Ein simples Ausschließen aus einer WhatsApp Gruppe reicht aus, um das Kind völlig an die Wand zu drücken. Da kann man auch mit Dosierung der Onlinezeit nichts erreichen. Ständige Erreichbarkeit ist hier nicht mal gegeben, da es durchaus Grenzen der Benutzung gibt, die wir Eltern setzen.

    Unsere jüngsten (7 und 10) haben jeweils ein Tablet, auf dem sie hin und wieder Spiele im passenden Alter konsumieren. Ganz ehrlich, Herr Hansen, beide Kinder sind nach 90min derart überdreht, dass es Zeit und Mühe kostet, sie wieder zu erden. Diese Kinder sollten nach der Logik einiger Gäste noch programmieren lernen, damit wir nicht den
    Anschluß verlieren? Nein. Ganz klar.

    Ich gebe Ihnen Recht. Deutschland hinkt der technologischen Revolution hinterher, aber das sollte auf keinen Fall auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen werden. Wenn, dann sollen Kinder das selbst entscheiden können, was aber im Umkehrschluß eben heißt, dass eine gewisse Reife vorhanden sein sollte. Diese würde ich allenfalls in der Pubertät sehen, aber nicht vorher. Kinder gehören raus in die Welt. Die Natur sollte die Sinne entwickeln und schärfen, ganz sicher kein technisches Device.

    Die Sendung sollte eigen Debatte anstoßen, finde ich, und da wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie dies vielleicht auch über Ihre Möglichkeiten etwas fördern.Nette Grüße
    Mark Vogt (der seit 1982 vor Rechnern sitzt)

    • Hallo Herr Vogt. Zwei Bemerkungen vorweg:

      Erstens: Glückwunsch zur bestandenen Relegation der Eintracht! Und sorry, dass ausgerechnet Werder Bremen Ihr Team in diese Verlegenheit gebracht hat.

      Zweitens: Herzlichen Dank für Lektüre und fundierte Reaktion, bezogen auf meinen Post zur Plasberg-Sendung.

      Zunächst habe ich aus Ihren Anmerkungen gelernt, dass meine Haltung ziemlich digital euphorisch rübergekommen sein könnte. Dies ist beileibe nicht meine Sicht. Nur muss ich wohl lernen, mich klarer auszurdrücken. Mildernde Umstände könnte ich reklamieren, weil ich mir bezogen auf den Medienwandel sehr unsicher bin. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Rollenwandel des Journalistenberufes, insbesondere unter Generationsaspekten. Ich bemühe mich dabei, möglichst offen zu sein, was automatisch meine Aussagen verunschärft.

      Jedenfalls wäre meine „Mission“ keinesfalls die Voll-Vernetzung von Geburt an. Vielmehr möchte ich daran mitwirken, ein lebenslanges Hauptunterrichtsfach „Medienkompetenz“ zu etablieren. Nicht im Schulmeister-Sinne, sondern als Fähigkeit zum Umgang mit dieser allgemeinen Kommunikations-Explosion. Keinesfalls plädiere ich für ein simples Einprägen von Programmiersprachen und Nutzungsgewohnheiten ab Einschulung. Mein Begriff von Medienkompetenz zielt auf ein menschliches Maß, nicht auf eine Mensch-Maschine.

      In der breiten Diskussion der Ziele und Methoden im Umgang mit den Folgen einer digitalisierten Gesellschaft sehe ich eine große gesellschaftliche – und damit eben auch: journalistische – Aufgabe. Kurz: Ich stimme Ihnen zu!

      So weit, so abstrakt. Nun zu den Kindern. Bei ist die Altersspannweite nicht so groß wie bei Ihnen. Unsere Töchter sind über 20 und haben ihren Studienabschluß. Beide erklärten einmal übereinstimmend, sie würden gern in unserer Baby Boomer-Zeit groß geworden sein. Also ohne diesen Medien-Streß, den Sie sehr nachvollziehbar beschreiben. Bei aller wissenschaftlich gebotenen Vorsicht scheinen es mir ja vor allem bestimmte Ältere zu sein, die aus diversen Gründen einen digitalen Lebensstil pushen, dessen Folgen wiederum andere Generationen werden tragen müssten.

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