Auf so einen Satz aus berufenem Munde habe ich lange gewartet: „Die demokratischen Werte einer digitalen Gesellschaft entstehen nicht von allein dadurch, dass eine Demokratie immer digitaler wird.“ Damit mutet ein Sascha Lobo sich und der Netzgemeinde harte Kost zu. Graubrot gewissermaßen. In einer Zeit zugespitzter Schwarzweiß-Debatten differenziert der SPON-Kolumnist. Dafür will ich jetzt Lobo loben.
Nicht nur Sascha Lobo fragt sich, warum das sprengstoffhaltige Themenpaket Digitale Bürgerrechte nicht so recht zündet. Wie es sein kann, dass die Kanzlerin den Spionageskandal nicht mal an sich selbst, sondern an Ihrem Minister Pofalla abtropfen lässt. Warum sich britische Festplattenlöschkommandos in die Redaktion des Guardians trauen. Jeweils ohne großen öffentlichen Aufschrei, abgesehen von den Reaktionen der berufsbedingt Dauer-Aufgeregten. Und trotz eindrucksvoller mediale Berichterstattung.
Ganz einfach. Das Volk will sich nicht aufregen lassen. Es hat sich längst an die neuen Verhältnisse gewöhnt, bzw. wurde daran gewöhnt. „Das Netz selbst desensibilisiert seine Nutzer in Fragen persönlicher Daten. Auf der einen Seite fordert und fördert es etwa durch soziale Netzwerke, privateste Informationen öffentlich zu machen. Auf der anderen Seite stehen Mechanismen der digitalen Datenwirtschaft.“ Im Ergebnis stellt Lobo in seinem SPON-Blog fest: „Im Netz ist Überwachung Standard“.
Jetzt wo das Themenpaket Big Data & Co vermutlich bald gemeinsam mit dem Sommerloch zugebuddelt sein dürfte, wird es eigentlich erst so richtig spannend. Der Aufreger Snowden (PRISM / tempora) und der Anreger Schnibben (Zeitungskrise / Projekt 2020) haben wichtige Anstösse für die Gesellschaft und ihre Medien gegeben. Wenn daraus doch noch die notwendige Zukunftsdebatte über Digitalen Wandel werden soll, dann muss eine breite Öffentlichkeit dafür hergestellt werden.
Allerdings: Öffentlichkeit ergibt sich nicht von selbst, gerade in der Onlinewelt. Denn die Bürger können leichter denn je ignorieren, was Ihnen Leitmedien und Alphakommunikatoren aufzuzwingen begehren. Die Menschen werden sich nur für die Diskussion zu Privatsphäre und Meinungsfreiheit im Internet interessieren, wenn sie deren Wichtigkeit und Ernsthaftigkeit anerkennen.
Zu groß bleibt ansonsten die Konkurrenz um die politische Agenda: Eurokrise, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz … Erinnert sei zudem an Aufstieg und Absacken des Heißluftballons Piratenpartei. Nur am Urheberrecht herummeckern und sich mit Technikkompetenz und Spaßguerilla um virtuelle Welten kümmern, war dem Wahlvolk auf Dauer zu wenig. Es fordert auch Lösungen für reale politische Probleme. Die dürfen dann nicht jedes Mal lauten: Freies Internet und Flatrate. Zugegeben, das war jetzt polemisch, besserwisserisch.
Besser als die Piraten und ich macht es, jedenfalls diesmal, der Herr Lobo. Er baut eine Brücke über den Abgrund der Rechthaberei. Denn leider läuft der Diskurs sonst anders. Schon zu Beginn einer jeden Diskussion wird gespalten: In Optimisten und Pessimisten, Technikgläubige und Fortschrittsfeinde, in Gut und Böse. Schwarzweißbilder arbeiten die Kontraste gut heraus, aber das tun sie eben auf künstliche Weise. Das wahre Leben produziert am häufigsten Grautöne. Auch das digitale. Deshalb sollte jede Stimme Verstärkung bekommen, die zur Differenzierung aufruft. Das gilt selbstverständlich auch für den Lautsprecher Sascha Lobo.
Deine Meinung ist uns wichtig