„Mein erstes Interview“ – und das gleich mit der Bundeskanzlerin! Junge Youtuber mischen im Journalismus mit und dessen Selbstverständnis auf. Und die Alten, Etablierten? Pendeln noch zwischen Selbstfindung und Abfindung. Anlaß für ein paar grundsätzliche Generations-Gedanken.
Wo Wandel wirkt, liegt die Generationen-Metapher verführerisch nahe. Denn nach diesem alten Muster können wir uns neue Wirrnisse erklären. Nurdie unzähligen Plakatsäulen – von Generation Allah bis Generation Z – stehen nicht immer auf solidem Fundament. Da wird viel Aufmerksamkeits-Schindluder getrieben. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen des Erklärungsmodells Generation werden wissenschaftlich zu Recht kritisch diskutiert, etwa hier.
Mit Augenmaß angewandt, lässt sich Gesellschaft aber mit dem Begriffswerkzeug Generation ganz gut analysieren. Menschen können sich damit immer wieder im Zeit-Raum verorten. Es hilft einfach, sich Vergangenheit und Zukunft mal zu vergegenwärtigen. Deshalb arbeitet sich die ZEIT bereits seit Längerem sogar seriell an dieser vielschichtigen Beziehungskiste ab.
Im Visier: Baby Boomer Blockierer
Ich beschäftige mich in meiner Forschungsarbeit mit dem Generationswandel im Journalismus. Natürlich im Wissenschaftskontext noch seriöser als im Folgenden. Hier kommentiere ich lieber meine Beobachtungen, argumentiere dabei viel mit anekdotischer Evidenz. Bezugspunkt dafür ist der kalauernde Titel meines Blogs (Dirk Hansen 5.0), der ja deutlich machen soll: Ich bin über 50.
Und das ist möglicherweise gar nicht gut so. Denn wenn ich manche Beiträge zur Debatte um den großen Medienwandel richtig deute, dann kommt so einiges auf „uns“ zu!
Randnotizen wie dieser Tweet illustrieren das:
Deutschland ist fucked wegen der halbverstandenen Technologien, die korrupte 50-Jährige im Auftrag endgeängstigter 80-Jähriger einführen.
— Guenter Hack (@guenterhack) 15. August 2017
Einen saftigen Tweet will ich nicht ernster nehmen als er formuliert ist. Aber scheint mir doch einen recht weit verbreiteten Ärger über das Agieren Älterer auszudrücken. So zwischentönt es vielerorten. Nicht zufällig dabei gerät dabei immer wieder die Alterskohorte der Baby Boomer ins Visier: Die Machthaber. Die Besitzständler. Die Vielen.
Natürlich kann es da nicht um die ganzen Jahrgänge gehen. Das ist einer der plakativen Irrtümer in Generations-Diskussionen. Selbst die berühmten“Alt-68er“ bilden keine geschlossene Alterskohorte, sondern eine offene Haltungs-Gruppe. Die gleiche Lage nach Alter und Lebensraum schafft schließlich nur die Mindestvoraussetzung für Generation-Building. Es muss noch etwas Spezifisches hinzukommen, eine inhaltliche Verbindung, die man selbst spürt und die andere erkennen: Jene Eigenart also, mit der eine Generations-Einheit Herausforderungen der Zeit anpackt. Oder nicht anpackt.
Dieses Unterscheidungskriterium muss nämlich durchaus nicht zwingend als positiv anerkannt sein. Zugespitzt: Neben den flexiblen, zukunftsorientierten „fitten Fünfzigern“ kann es eben auch so etwas wie „falsche Fuffziger“ geben, jedenfalls im Sinne bestimmter Milieus.
Der in Netzkreisen recht prominente Digital-Evangelist Thomas Knüwer zum Beispiel geht in seine Blogbeiträgen gern und hart mit der etablierten Medienbranche ins Gericht. Seine empirische Basis beschreibt in einem neuen Post ebenso offen wie richtig als „subjektiv“ und „gefühlt“. Dementsprechend drastisch schildert er die Stimmung in Redaktionsstuben, angesichts massiver Veränderungsprozesse:
Selbst jene Redakteure, die davon nicht betroffen sind, zeigen eine Haltung, die mit innerlicher Kündigung gleichzusetzen ist. Jene in meinem Alter rechnen schon nach, wie lang ihr Arbeitgeber noch durchhalten muss, damit sie es in eine einigermaßen gesicherte Rente schaffen: „In meinem Alter kann ich ja sonst nirgends hin.“
In seiner Kolumne beschreibt Personalberater Attilla Albert eine ähnliche Wahrnehmung:
In fast allen Redaktionen, falls es sich nicht um reine Onlinemedien handelt, sitzen heute Journalisten in einer bequemen und schwierigen Lage zugleich. Um die 50 Jahre alt, gut bezahlt durch einen Vertrag, den sie schon vor zehn oder zwanzig Jahren abgeschlossen haben und durchaus nicht nur unglücklich im Job – gleichzeitig sich aber im Klaren darüber, dass bei diesem Arbeitgeber keine große Karriere mehr kommt und das Unternehmen sie wahrscheinlich sogar loswerden möchte, da „zu teuer“ oder „nicht mehr jung genug“.
Während der Coach Albert den angejahrten Frustrierten empfiehlt, sich furchtlos in den Wandel zu werfen, um so aus der beruflichen Sackgasse zu entkommen, geht der Berater Knüwer härter ran. Ihn stört, dass die vermeintlich Beharrlichen oder Bewegungsunfähigen schon seit Jahren wichtige Entwicklungen blockieren. Weil sie sich zum Beispiel zu fein für Social Media seien. Oder keine „Influeure“ (so etwas wie „Meinungsführer“ auf ihren Spezialgebieten) werden wollten. Das könne man auch noch mit 73.
Knüwers Denkanstöße für die Medienwelt will ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Allerdings seien Autoren wie er gerade jenen empfohlen, die nicht so ganz an die digitale Befreiungstheologie glauben. Netz-Evangelisten wie Knüwer bringen nämlich ihre Position informiert und deutlich auf den Punkt. Und vielleicht ist dar Appell an Journalistien, vom hohen Ross angeblicher Unverzichtbarkeit zu steigen, ja tatsächlich immer noch nötig. Dass Knüwer selbst auf dem Disruptions-Elefanten sitzt, ist dann auch noch ein ironischer performative Widerspruch. Klammer zu.
Was sich bei all dem zeigt- und mit einigen eigenen Erfahrungen deckt – ist eine ziemlich gemeines generationelles Deutungsmuster, gewissermaßen ex negativo. Eine „Generation Steh-im-Weg“ – Menschen Mitte 50, beiderlei Geschlechts (außer in der Hierarchie), vom Medienwandel überfordert, in ihrem Besitzstands-Anspruchsdenken unverrückbar und durchaus mit dem Bewußtsein der eigenen Masse gesegnet. Wie wir sehen, entsteht im Gedankenspiel ganz flott eine „Generation“ zwischen Selbstfindung und Abfindung, die die Medienlandschaft nicht verändern, sondern den eigenen Besitzstand zementieren will.
Generations-Macht: „mittelalte, weiße Männer“
(Update 18.08.2017): Dass in die Auseinandersetzung zwischen Generationen noch weitere Faktoren hineinspielen, zeigt die fulminante Anklage der Spiegel Online-Chefredakteurin Barbara Hans. Wo es um (Deutungs-) Hoheit geht, tobt immer auch ein Geschlechterkampf und ist die familäre Herkunft von Belang. Und damit verknüpft, ringen Menschen stets um Lebensstile als Zukunftsentwurf.
Oder wie Hans es ausdrückt:
Mittelalte weiße Männer, gutverdienende Akademiker definieren und prägen die journalistische Realität und damit unsere Weltsicht. Was sie am besten kennen, das sind andere mittelalte weiße Männer, mit Abitur und schicker Altbauwohnung.
So dominant seien diese Im-Weg-Sitzer, das sich die 36-jährige Barbara Hans manchmal in deren Machtstellung hinein imaginiert:
Es gibt Tage, an denen wünschte ich, ich sei ein Anfang 50-jähriger Mann. Vielleicht 54, leicht schütteres, leicht angegrautes Haar, 1,87 groß, 85 Kilo schwer.
Bis aufs schüttere Haar (ehrlich) trifft wirklich alles auf mich zu. Das sind Sätze, die einen zum Martenstein machen könnten, wenn man dessen gallig-glossigen Sound hätte. So ertappt fühlt mann sich. Beziehungsweise diskriminiert.
Allerdings wäre Weinerlichkeit kein gutes Argument. Denn es spricht sehr viel für mehr Diversität auf allen Ebenen: Vertrauen in den Journalismus, so die Grundthese von Barbara Hans, kann das Publikum erst wieder entwickeln, wenn Redaktionen mehr Nutzerperspektive einnehmen. Vielfalt in der Herkunft, bei der Geschlechter-Identität, im politischen Denken – und hinsichtlich des Alters. All das fehle tatsächlich im Journalismus.
Zweifelsohne dient Barabra Hans Beitrag der polemischen Polarisierung. Ein Kampfansage und warum auch nicht? Sie fordert einen Bruch mit dem Bisherigen und bricht damit auch einen Generationskonflikt vom Zaun, genauer: stellt ihn fest. Gegen diesen Sound ließe sich natürlich weißmännlicherseits einiges einwenden: Naive digitale Heilserwartung, Aufgabe der journalistischen Orientierungs-Funktion, pauschale Diskreditierung von soliden Kompetenzen und Ausbildungswegen. Und so weiter … (Update Ende)
Frage-Instrumenten-Kasten: Generation für Selbst-Abholer
Gibt es also diese (mittelalte, weiße, vorwiegend männliche) „Generation Steh-im-Weg“ gar nicht wirklich? Tja, das ist das Zweischneidige an diesem Betriffs-Schwert. Eine ehrlichere Antwort als „Irgendwie schon“ gibt es kaum. Das Generations-Gebäude wird nämlich nie ganz fertig. Es ist Work in progress.
In Medienwandel-Diskussionen spielt das genannte Muster also einerseits tatsächlich eine Rolle. Andererseits lässt sich die Geschichte der 50-jährigen Journalisten/innen ja auch völlig anders erzählen. Dann werden aus Blockierern Bewahrer, die gegenüber den Redaktionsradikalen alte Tugenden des „echten“ Journalismus hochhalten. Diese Position lässt sich aktuell ganz gut am Kommentar von Stefan Koldehoff im Deutschlandfunk nachvollziehen, der sich über das Interview der jungen Youtuber mit Angela Merkel mokiert.
Aber um eine Generation nach wissenschaftlichen Regeln dingfest zu machen, reicht es selbstveständlich nicht aus, ein paar begründete Beobachtungen mit Buzz-Words zu verrühren. Gesellschaftlich relevante Generationen lassen sich seriös wohl nur mit sehr viel Aufwand und mit zeitlichem Abstand ausmachen, am Ende möglichst testiert auf einem Soziologen-Kongress. Das kann dauern.
Vorläufig mindestens ebenso wichtig wie das amtliche Endergebnis scheint mir der diskursive Prozess bis dahin. Und der ist allgemein – und ohne Soziologie-Studium – zugänglich. Sobald wir die Diskussion des gesellschaftlichen Wandels auch als Generationen-Bildung und -Beziehung analysieren, stellen sich sehr hilfreiche Fragen, um all das besser zu verstehen.
1. Identität: Wer gehört zu einer Generation und wer wird ausgeschlossen? Nach welchem Leitmotiv? Wie stark ist das Bewußtsein der Verbindung? Da geht uns einfach im die Identität und Identifizierbarkeit. Selbst-Erkennnis und Fremd-Zuschreibung.
2. Differenz: Wie sehen die Beziehungen der Generations-Gruppen innerhalb einer Altersklasse aus (intragenerationell)? Und wie zwischen unterschiedlichen Jahrgangskohorten (intergenerationell)? Entscheidende Unterschiede.
3. Agieren: Welche Erfahrungen haben das Handeln der Generationen geprägt? Wie wirken sie sich aus? Hier kommt die Dynamik des Wandels auf den Punkt: Läuft es auf Konflikt oder Solidarität hinaus?
Für diese Systematisierung habe ich etwas grob bei einer kritischen Darstellung von Björn Bohnenkamp geklaut (Doing Generation. 2011) Die Generationen-Forscher Kurt Lüscher und Ludwig Liegle wiederum haben ein schönes Schema angeboten, um solche Fragen nach den Generationsverhältnissen besser beantworten zu können: Ambivalenz.
Statt nur die Alternative Konsens oder Krawall zuzulassen, schlagen die beiden vor, Generationseinheiten wie folgt zu vermessen.
1. Reproduktion oder eher Innovation – Wer will lieber erhalten, wer unbedingt erneuern?
2. Konvergenz oder eher Divergenz – Wer von uns setzt eher auf Gemeinschaft, wer auf Indivdualisierung?
Ich meine, es lohnt sich, für genau diese Fragen sensibler zu werden. Schon weil Generationskonflikte und Generationensolidarität täglich auf der Agenda unseres beruflichen Miteinanders stehen. Niemals zuvor sind sich so viele Altersgruppen im Job begegnet wie heute. Gemeinsames Handeln ist immer auch Aushandeln.
Derzeit – und das war schließlich der Ausgangspunkt dieses Beitrages – kommen derlei generationelle Themen häufig nur um die Ecke, klingen in Zwischentönen an. Oder aber werden klischeehaft schrill verhandelt. Das ginge auch bewußter.
Fazit: Alter und Neuland
Zusammengefaßt: Wir sollten beim Medienwandel immer auch die Generationsen-Verhältnisse betrachten. Schon weil wir gar nicht anders können, als uns auch in diesen Dimensionen zu orientieren. Daher sollten wir das wenigstens möglichst reflektiert machen. Die Generations-Perspektive hilft, den Stand gesellschaftlicher Beziehungsarbeit zu messen. So können wir uns Vergangenheit und Zukunft vergegenwärtigen. Das alles ist übrigens weniger eine Alters- als eine Haltungsfrage.
Wie sieht das nun am Beispiel der um die 50-Jährigen aus? Noch ist der Ruf der Baby Boomer – jetzt sag ich auch mal: „gefühlt“ – nicht so dolle. „Selbstgefällige Breitbeinigkeit“ (Hans, s.o.) Und das Selbstbild erscheint eher diffus. Eine Generation in der Defensive, mitten im Neuland, das ihnen gleichwohl zu weiten Teilen gehört. Digital Natives erscheinen da angesagter, intensiver umworben.
Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Von einer Etappe, auf der der diskursive Weg das eigentliche Ziel ist. Schaun wir mal.
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