Gefährliches Spiel mit der Wahrheit

 

Medienkrieg. (Foto: Victor van Dijk / CC BY NC 2.0)

Medienkrieg. (Foto: Victor van Dijk / CC BY NC 2.0)

 

Es gibt einen zuverlässigen Weg, komplizierte Diskussionen abzukürzen: Einfach die Glaubwürdigkeit des Gegners anzweifeln. Die Methode der Stunde funktioniert nicht nur gegenüber „der Politik“, sondern auch bei „den Medien“. Nehmen wir die Social-Media- Video-Figur „Jonathan Pie“.

„könnte dir gefallen…“ So knapp war kürzlich der Hinweis eines aufmerksamen Facebook-Freundes an mich. Er weiß, dass ich WasmitMedien mache. Tatsächlich war der beigefügte Link hochspannend: Offenbar zeigte er das Vorgeplänkel einer TV-Liveschaltung. Plötzlich rastet der britische Reporter „Jonathan Pie“ eindrucksvoll aus:

Erster Gedanke: Wie witzig ist das denn?

Da haben wir sie doch – the fucking truth … über die Politik von Premier David Cameron, die westliche Syrien-Politik und die Vorurteile gegen Russland. Ein genervter britischer Reporter erlaubt plötzlich einen Blick hinter die Kulissen der Mainstream-Medieninszenierung.

Das Video geht viral gut ab. 600.000 Zugriffe in zwei Wochen für den Rundumsschlag. Auf das Publikum wirkt das Stück wohl entlarvend und komisch zugleich. Als wäre ZDF-Heute-Show-Hater Gernot Hassknecht im Auslandseinsatz.

Aber wer dieser „Jonathan Pie“ eigentlich?

Ein Comedian. Tom Walker, so könnte der richtige Name des Parodisten lauten, macht seinem Job professionell. Ein halbes Dutzend Videos gleicher Machart hat er in einem Monat online gestellt. Handwerklich könnte er durchaus in der Welke-Böhmermann-Liga mitspielen.

Very britisch böse lustig. So what?

Nun, meine Googleleien nach dem Phänomen „Jonathan Pie“ landen stets mit großer Zielsicherheit auf Seiten wie Nemeticos Politblog oder TrueAcitvist. Pie ist vor allem ein Star auf der Bühne der Alternativ-Angebote zum Medien-Mainstream, den sie selbst für manipuliert halten.

Zweiter Gedanke: Prawda und Propaganda

Ganz besonders intensiv wird der Rant-Reporter „Jonathan Pie“ allerdings von Russia Today und den Sputniknews gefeiert. Also ausgerechnet den Speerspitzen Russlands im publizistischen Wettrüsten mit der Westpresse. Willkommen im kalten Medienkrieg!

Die Satire als Schein-Störfall, wie sie der angeblich britische Journalist „Jonathan Pie“ betreibt, ist ein geschicktes Doppel-Spiel mit der Wahrheit (Prawda). Die Botschaft ist ebenso gut gemacht wie simpel: Die Mainstream-Medien hier manipulieren und Putin kommt dabei zu schlecht weg.

Kein Witz, meint Journalist-Parodist Tom Walker im Interview mit Russia Today:

It’s funny cause it’s true

So sehen das auch immer wieder Kommentatoren der „Jonathan Pie“-Videos. Entlarvend sei das und – egal ob wahr oder nicht – Pie verdiene eine „fucking medal“ dafür, dass er endlich die Wahrheit ausspreche. Manche Kommentare lauten: „Ach wären Journalisten doch immer so ehrlich…“

Ja, es sind Propaganda-Videos. Oder Gegen-Propaganda, je nach Standpunkt. Sie bedient sich versiert der Mittel unserer digitalen Zeit. Zersetzen durch Vernetzen. Teilen und Herrschen. Im Vordergrund dieser Aktivitäten steht wohl weniger Überzeugungsarbeit in der Sache als Zweifel am System.

Die haben ja auch Konjunktur. Viele Menschen halten die Zeit für reif, einfach mal aus der gewohnten Rolle zu fallen. So wie Star-Mime Benedict Cumberbatch (Sherlock) die Bühne, auf der er gerade den Hamlet gibt, für massive Kritik an der britischen Haltung zum Flucht-Thema nutzt:

Fuck the politians

3. Gedanke: Haltung und Spaltung

Was also unterscheidet einen solchen künstlerischen Wutschrei vom Ausraster des „Jonathan Pie“? Die Antwort liegt im Unterschied zwischen Haltung und Spaltung in öffentlichen Diskussionen.

Schauspieler Cumberbatch nutzt Öffentlichkeit für eine radikale Position zum Thema. Dem Darsteller „Jonathan Pie“ geht es wohl eher um die fundamentale Opposition zum System.

Die Figur „Jonathan Pie“ arbeitet nach einem problematisches Prinzip: Die Abkürzung schwieriger Debatten durch den simplen Kniff, die Glaubwürdigkeit des Gegners zerstören.

Wechselseitige Generalverdächtigungen machen aus dem gesellschaftlichen Selbstgespräch mittlerweile eine Addition von rechthaberischen Monologen. Das Zusammenwirken von berechtigtem Zweifel und notwendigem Urvertrauen misslingt sich immer häufiger.

Die Wissensgesellschaft wird zur Besserwisser-Gesellschaft und damit gerät unser Diskurs aus den Fugen. Ausgerechnet jetzt, wo wir uns über sehr tiefe Themen wie Integration verständigen müssen.

Journalisten wanken daher durch eine Glaubwürdigkeitskrise bislang unbekannten Ausmaßes. Das hat viele Gründe, auch selbst verschuldete. Es ist halt ein fragwürdiger Beruf. Aber die Intensität des Vertrauensverlustes hat mit einer generellen Spaltungstendenz zu tun.

Leider liefern mediale Aussetzer auch immer wieder Munition für den Beschuss des Journalismus. Und dies selbst dann, wenn vermutlich das Gegenteil bezweckt wird. Wie bei der schludrig gemachten und dargestellten Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern zum „Lügenpresse“-Vorwurf.

Man blickt langsam wirklich nicht mehr durch. Aber man ahnt: Es läuft was schief.

Schlussgedanke: Journalismus muss sich erklären.

Was also tun? Durchaus Stellung beziehen, so wie es ja allerorten gefordert wird, wenn es um das Thema Zuflucht geht. Allerdings weniger durch behaupten als durch begründen. Nicht belehren sondern belegen. Ja – und in memoriam Bruder Johannes Rau: Versöhnen statt spalten.

Aber vor allem: Aufklären, aufklären, aufklären. Oder wie es bento-Redakteur Martin Giesler in einem lesenswerten Blogpost ausdrückt:

Journalismus und Politik müssen dafür sorgen, dass mehr aufgeklärt wird, wie Meinungen entstehen, wo Informationen herkommen, wie Journalismus funktioniert, wie Wissen erlangt und verteilt wird, was die Spielregeln bei Plattformen wie Facebook sind, usw.. Medienkompetenz ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. Ich möchte dafür plädieren, mehr Energie dafür aufzuwenden, Journalismus und seine Verbreitungsformen zu erklären. Auch wenn es anstrengend ist.

Denn was wir Medienfacharbeiter regelmäßig unterschätzen, ist die Trägheit von Diskussionsprozessen. Wenn wir mit etwas durch sind, ein Thema den „aktuellen Nachrichtenwert“ verloren zu haben scheint, dann, so denken wir, ist es das Publikum auch.

Irrtum. Die Debatte um die zeitgemäße Rolle des Journalismus hat gerade erst angefangen: Ausgang ungewiss. Journalismus muss seinen Sinn doppelt erklären: Der Gesellschaft offen Rechenschaft über Motive und Umstände seiner Arbeit ablegen. Und dies genauso sich selbst gegenüber.

Das parodistische Spiel mit der Wahrheit eines „Jonathan Pie“ halte ich jedenfalls für gefährlich: Im Gestus der Medienkritik bedient sie letztlich nur das Prinzip diskursiver Fragmentierung.

Danke für die Geduld bis hierhin. Zur Belohnung nun der Versuch einer Beitrags-Essenz:

Konkrete Kritik am Journalismus bleibt notwendig. Pauschales Zweifeln am Journalismus wird schnell destruktiv. Nur wenn Journalismus sich immer wieder erklärt, hält sich die Verzweiflung in erträglichen  Grenzen.

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