Da schreckst du hoch, schweißgebadet und leicht desorientiert. Ein verschwommenes Portrait schwebt noch holographisch durch den Raum: Edward Snowden. Der Agent, mit dem die Kälte kam. Dir ist ein bisschen schlecht, denn ein Super-Nerd hat deine medialen Illusionen weggeblasen. Aus der Traum vom herrschaftsfreien, schwarmintelligenten und kollaborativen Internet. Von wegen „Sharing is loving“ – es ist vor allem controling!
Snowdon hat uns mit der Realität von Big Data konfrontiert. Und zwar richtig. Mit dem gewaltigen Ausmaß der Überwachungsmöglichkeiten, den rechtlichen Lücken und diplomatischen Tücken digitaler Kommunikation. Außerdem erschüttern seine Enthüllungen weiter das Urvertrauen in staatliche Insitutionen und beschreiben gleichzeitig den bürgerlichen Kontrollverlust im Netz.
Da bleibt dann eigentlich nicht mehr viel übrig. Hatte man uns doch gerade mit dem Digitalen Wandel unter anderem weltweite Demokratie in einer ganz neuen Dimension angekündigt: Mit mehr Transparenz und Partzipation auf zur Corporate Governance auf der Basis des WWW. Jetzt müssen wir unangenehmen Realitäten ins Auge blicken. Diese Chance sollten wir nutzen, also mehr aus diesem Beispiel machen als eine Twitter gestützte Schnitzeljagd.
Dazu gehört vor allem, einen grundsätzlichen Widerspruch einmal deutlich wahrzunehmen: Auf der einen Seite dieser ständige gesellschaftliche Appell, seine ganze Identität ins Netz hochzuladen und jede noch so kleine Verrichtung künftig webbasiert zu gestalten. Und andererseits das zunehmend bedrohliche Gefühl des Einzelnen, den globalen Möglichkeiten die persönliche Freiheit opfern zu müssen.
Auf keinen Fall reicht es jedenfalls, jetzt einfach nur US-Amerikaner oder Briten zu beschimpfen, wenn sie die Wucherungen ihrer Apparate mit dem Anti-Terror-Kampf begründen. Geheimdienstler reagieren womöglich immer und überall etwas zurückhaltend, wenn man Transparenz von ihnen fordert. Im Verborgenen zu handeln scheint da irgendwie zum Berufsbild zu gehören. Mich erschreckt ohnehin weniger der – tatsächlich maßlose – Überwachungs-Ansatz als vielmehr die Tatsache, dass das überhaupt so einfach möglich ist. (Übrigens doch sicher auch in den pressefreiheitlichen Todeszonen China, Russland und Ecuador, wo gegenwärtig Whistleblower so gern Zuflucht suchen.)
Es geht mir um diese offenkundigen „Master Switches“, die zentralen Schaltstellen des weltweiten Kommunikationsverkehrs. Wem gehören die eigentlich? Und was würden uns eigentlich Whistleblower erzählen, die bei facebook, google oder Apple arbeiten? Nun gut, die überwiegend US-amerikanischen Großkonzerne, die das Internet regieren, wollen uns nicht ausspähen, sondern nur ausbeuten. Aber macht es das besser?
Oder wollen wir das alles am Ende gar nicht so genau wissen? Was andere über uns mit dem Netz herausfischen, haben wir ja schließlich selbst in den digitalen Teich geworfen. Manchmal vielleicht in einem blinden Glauben an die Vision einer altruistischen Kultur des Teilens. Meistens aber aus Zeitmangel: Haken ans Kästchen neben der ungelesenen Datenschutzerklärung, dann die Enter-Taste und Tschüß!
Gegenwärtig herrscht wohl mehr Vertrauen gegenüber einem Algorithmus als gegenüber einer Behörde. Skepsis ist gegenüber der freien Datenwirtschaft jedoch genauso angebracht wie gegenüber dem Staat. Vor allem sollten wir uns die Hybris verkneifen zu glauben, mit den richtigen Apps schon alles selbst im Griff behalten zu können. Genau hier verläuft die Grenze zwischen Naivität und Gemeingefährlichkeit.
Wir brauchen ein stärker reguliertes Internet, überwacht von vertrauenswürdigen staatlichen Organisationen, legitimiert durch demokratischen Mehrheiten, ersonnen in den üblichen anstrengenden Verhandlungen. Wir werden lange auf dem Weg sein und auf dieser Strecke brauchen wir Datenbürger vor allem eins: Wachsamkeit im eigenen Handeln, das immer seine digitalen Spuren hinterlassen wird.
Ich merke übrigens gerade bei solchen Themen, dass ich alt werde. Wenn es früher geheißen hätte „Ehemaliger US-Agent ist mit Staatsgeheimnissen auf seiner Flucht durch chinesische Hilfe in Moskau untergetaucht, bevor es über Kuba nach Ecuador weitergehen soll“, dann wäre der Fall ziemlich klar und der Betroffene ziemlich zwielichtig gewesen. Jedenfalls in den Romanen, die ich damals gelesen habe.
Heutzutage ist James Bond offenbar in Pension, der Secret Service eine IT-Abteilung und der gefeierte Held ein blasser, wenngleich irgendwie liebenswert und redlich wirkender Informatiker mit der Lizenz zum Verwirren. Trotzdem ein böses Erwachen.
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