Frank Schirrmacher tot: Wir erben seine Debatte

Schirrmacher argumentiert (Quelle: Wikimedia)

Schirrmacher argumentiert (Quelle: Wikimedia)

Schirrmacher tot – so ein plötzlicher Verlust macht den Gewinn einer Lebensleistung vielleicht besonders schmerzhaft deutlich. Das klingt hoffentlich nicht zu nüchtern bilanziell. Persönlich bin ich dem FAZ-Herausgeber nie begegnet, fühlte mich aber gleichzeitig mit ihm bekannt. Es war auch undenkbar, diesen Geist im Diskurs um den Medienwandel zu ignorieren. Deshalb (noch) ein kurzer, respektvoller Dank.

Kurz deshalb, weil es natürlich bereits jetzt sehr, sehr viele Nachrufe aus der Branche gibt, berufene wie kluge. Und noch mehr Ausrufe auf Twitter: Wie üblich Ratings, Rants und Rankings, von originell bis pathetisch. Auch in solchen Fällen ist wohl die Gefahr nicht von der Hand weisen, dass Trauer-Redner ihre eigene Bedeutung mit der des großen Gegangenen aufzuladen versuchen – im „peoples business“.

Sei es drum: Für mich ist jetzt eine der wichtigsten Stimmen meiner Journalisten-Generation – die jetzt den Journalismus stark prägenden Baby Boomer – verstummt. Diese immer mächtiger gewordene Stimme gehörte einem, der die Herausforderungen unseres Berufswandels geradezu inkorporiert hat. Aufgegriffen hat er die großen Fragen der Zeit vielleicht weniger erzieherisch als die Nachkriegs-Publizisten und sicher weniger ideologisch als die 68er, aber höchst engagiert und wirkungsvoll.

Gleichzeitig ließ seine manchmal wechselhafte, hochdynamische Argumentationsweise jene typische Zwischenposition erkennen, die unsere vermittelnde Generation auszeichnet: In der medialen Tradition des letzten Jahrhunderts sozialisiert und doch schon das 21. Jahrhundert wesentlich mit gestaltend. Widersprüche, Unsicherheiten bleiben da nicht aus. Zumal unter der Bedingung eines Digital Change in Höchstgeschwindigkeit.

Dabei strengten Schirrmachers Positionen oft an. Durch die Art, wie er seine Skepsis gegenüber fragwürdigen Entwicklungen kultiviert hat, ohne, wie beim Internet, deren Reiz und Notwendigkeit gänzlich zu unterschlagen. So hat er provokante, ambivalente eigene Texte verfasst, aber auch anderen Debatten-Räume eröffnet. Schirrmachers „Qualitätsjournalismus“ bestand in der Herstellung von breiter Öffentlichkeit für relevante Themen, zuletzt den Informationskapitalismus, den ökonomisch-technologischen Komplex um Big Data.

Das wird den Kulturpessimisten häufig nicht weit genug gegangen oder zu populär gewesen sein. Bestimmt verstimmt hat es die Netz-Euphoriker, häufig auch, weil Schirrmacher eben wusste, wovon er schrieb. Vor allem aber, weil er beharrlich der digital-vernetzten Gesellschaft eine Ethik und ein menschliches Maß abverlangt hat.

So hat Frank Schirrmacher uns zu Erben einer großen gesellschaftlichen Debatte gemacht. Einfach Danke!

Kommentare

  1. „dass Trauer-Redner ihre eigene Bedeutung mit der des großen Gegangenen aufzuladen versuchen“ – Ich bezweifle, dass, anders als die spürbare Betroffenheit bei Ihnen, die vielen plötzlichen „Trauer-Redner“ wirkliche Trauer empfanden. Ich denke, sie standen ihm meist recht indifferent gegenüber und bei vielen kann, wie bei einem Palimpsest, man darunter doch irgendwie lesen, dass Schirrmacher ihnen oftmals eine Debatte oder eine Richtung derselben aufgezwungen hatte, der sie lieber ausgewichen wären, oder in der sie um seinetwillen und seiner Vehemenz wegen, kleiner dastanden, als sie es mit ihrem Selbstbild vereinbaren wollten.

    • Das formulieren Sie, wenngleich feiner, nahe an das heran, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Ich vermute in manchen Nachrufen einerseits das Anzapfen einer bedeutenden Prominenzquelle für die eigene Selbstvermarktung und andererseits auch Versuche der Umdeutung von Rollen oder Diskursen. Obwohl ich Schirrmacher, wie geschrieben, nicht gekannt habe, hat mich sein Themen-Gespür jedenfalls gefesselt, insofern sein plötzlicher Tod getroffen. Insbesondere weil ich eine Jahrgangsnähe zu ihm habe und ich glaube, dass jede Generation auch eine Verpflichtung zur Rechenschaft in grundlegenden Fragen hat. Dieser Aufgabe hat sich F.S. gestellt, wie ich finde.

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