Evolutionäre der Medienschöpfung

Die Evolution geht weiter (F: Franru 96/CC BY-SA 4.0)

Die Evolution geht weiter (F: Franru 96/CC BY-SA 4.0)

Darwinismus statt Trumpismus. In meinem letzten Blog-Post hatte ich eine evolutionäre Perspektive auf die publizistische Kriegsbemalung vorgeschlagen. Riskieren wir nun einen näheren Blick durch diese Brille.

Die moderne, vernetzte Öffentlichkeit wird ja gern als „digitales Ökosystem“ bezeichnet. Auch das spricht für eine naturnahe Betrachtungsweise mit der Fragestellung:

Was wird aus unserem globalen Kommunikationsbiotop?

1. Mediales Kriegsgeschrei verstellt den Blick auf die langfristige Entwicklung

Der erste Eindruck: Das Gleichgewicht der Kommunikationsumwelt ist empfindlich gestört. Es wird heftig um die herrschende Meinung gerungen. Aber auch wenn die Aggression echt ist, das Kriegsgeschrei täuscht. Denn eigentlich ist es nur ein Tool, um die eigenen Reihen zu schließen. Feindbilder schweißen gut zusammen. Gleichzeitig helfen sie, komplizierte Debatten um Konzepte zu verdrängen.

Eine evolutionäre Perspektive kühlt dagegen die fanatischen Wahrheits-Behauptungen auf eine Diskussion über Wahrscheinlichkeiten herunter. Sie lehrt zudem, zwischen Ursachen (Kausalitäten) und Zusammenhängen (Korrelationen) zu unterscheiden. Sie könnte dadurch den Kopf wieder für lösungsorientiertes Denken frei machen.

Um nicht missverstanden zu werden: Man gelangt so zu einer realistischeren Sichtweise, nicht unbedingt zu einer beruhigenden. Denn die Probleme bleiben ja existentiell und die Zukunft ungewiß.

2. Das produktive Chaos ist da – wir stecken mitten in einen medialen Evolutionsschub

Und ich möchte gleich ein zweites mögliches Missverständnis ausräumen, das die Metaphorik des medialen Darwinismus eventuell heraufbeschwört: Die digitale (R-)Evolution ist kein Naturereignis! Getrieben wird die Entwicklung von einem unwiderstehlichen menschlichen Steigerungsdrang. Triumph des Wachstumswillens, ewas bösartig gesagt.

Der viel beachtete israelische Autor Yuval Harai etwa sieht die Menschheit sogar kurz vor dem Sprung auf eine höhere Stufe: In seinem neuen Buch „Homo Deus“ beschreibt er den evolutionären Weg von Homo Sapiens zur digital gestützten Menschgott-Maschine.

Als schreckhafter Mensch folge ich selbst allerdings lieber dem Ansatz des Soziologen Ulrich Beck, der eine  Metamorphose der Welt erkannt zu haben glaubt. Unklar bleibt das Ergebnis dieser Verwandlung– im Guten wie im Schlechten. Denn wie das Leben so ist: Selbst negative Ereignisse können positive Nebenfolgen haben. Und umgekehrt.

Werten wir später, aber halten jetzt fest: Den medialen Urknall haben die Menschen bereits gezündet und die Druckwelle dieser gewaltigen Möglichkeits-Explosion erfasst alle und alles. Viele, eigentlich sämtliche Beobachtungen des öffentlichen Raumes sprechen dafür, dass im Jahr 2017 ein wesentlicher medialen Entwicklungsschub ausgelöst wird. Die Gesellschaft diskutiert sich gerade heiß.

3. Die Medienwelt wird zum Labor: Performer und Publikum experimentieren mit Öffentlichkeit

Funktionierende Institutionen versagen und erfahrene Entscheider sind ratlos. Das ist die paradoxe Lage. Weil das Etablierte offenkundig von Gestern ist und die Zukunft ein einziges Fragezeichen, wächst die Unsicherheit erstmal in Trumptower`sche Höhe.

Die Öffentlichkeit wird zu einem Labor: Kreative experimentieren mit Inhalten, Medienbetreiber mit Geschäftsmodellen, Digitalunternehmer mit Technologie, Politiker mit der Wahrheit. Im Grunde manipulieren alle gemeinsam an der publizistischen DNA herum.

Hinzu kommt die entscheidende Wende des digitalen Zeitalters: Das Publikum selbst experimentiert mit Öffentlichkeit. Vor allem Social Media hat dem Wahrnehmungsraum ins Unendliche vergrößert und damit eine freie Bildbahn geschaffen, in der sich alle erstmal zurechtfinden müssen. Zunächst geht auf allen Ebenen die Orientierung verloren.

Dadurch ist ein Existenzkampf um die Ressource Aufmerksamkeit entbrannt und damit um Be-Deutung. Beim berühmten Ringen um „Deutungshoheit“ geht es nicht primär um inhaltliche Fragen, sondern um Macht – die Betonung liegt auf Hoheit, weniger auf Deutung.

Eine neue Ordnung der medialen Dinge ist im Entstehen begriffen. Die Aufgabenstellung fürs künftige Mediennaturgesetz lautet: Wie bekommen wir Masse und Beschleunigung des digitalen Zeitalters in den Griff?

Darauf gibt es eine kurzfristige und eine nachhaltige Antwort.

4. Kurzfristig: Der scheinbare Sieg der Lautstärksten ist ein sozialdarwinistische Täuschungsmanöver

In der Medienwelt drängeln sich etablierte und alternative Medien, Innovatoren und Investoren, Demokraten und Diktatoren. Das hat zu der neuen Unübersichtlichkeit geführt. Und zu dem Eindruck, dass fast nur noch das Recht des Lautstärkeren gilt. Dass sich Aggression und Polarisierung durchsetzen.

Aber trotz all der verbalen Klimmzüge –  nachhaltige Kommunikation ist kein Kraftsport. Die Propagandisten der medialen sozialdarwinistischen Denke siegen sich irgendwann zu Tode. Natürlich ist die Frage höchst berechtigt, wen oder was sie dabei so alles mit sich reißen. Oder wie es ein bitterer Twitterer ausdrückt: Naht das Ende er Evolution?

Zugegeben – angesichts der aktuellen Angriffe autoritärer Kräfte auf das liberale Mediensystem klingt meine These vom Täuschungsmanöver des Medialdarwinismus sehr optimistisch. Die Attacken von Trump, Erdogan und Konsorten auf die freie publizsitische Freiheit zeigen Wirkung. Auch weil das Etablierte und die Etablierten nicht eben im besten Zustand sind.

Nur – Zerstörung ist nicht kreativ. Der amtierende Twitter-POTUS Donald Trump kann zweifellos eine Menge kaputt machen. Am Aufbau einer nachhaltigen Ordnung im komplexen digitalen Zeitalter werden er und seinesgleichen sich verheben. Denn evolutionärer Fortschritt basiert letztlich auf eigener Anpassung, nicht auf Vernichtung anderer.

5. Nachhaltig: Das Überleben in der Informationswelt sichert nur eine neue mediale Kompetenz

Survival of the Smartest: Um uns in der Informationszeitalter dauerhaft behaupten zu können, werden wir uns zu mehr oder weniger smarten Menschmaschinen wandeln müssen. Dabei können wir erfahrungsgemäß durchaus auch schwere Schocks verarbeiten. Schließlich sind wir resilient, also entwicklungsgeschichtlich gesehen: Stehaufmännchen(weibchen).

Auf die Pointe „mediale Kompetenz“ laufen meine Texte häufig hinaus – und nicht nur meine. Wichtig ist mir, sie nicht mit einem Schulfach gleichzusetzen. (Obwohl Schule natürlich in diesem Zusammenhang ein ganz entscheidender Ort ist.)

Worin allerdings mediale Kernkompetenz genau besteht, lässt sich blöderweise noch gar nicht sagen, allen Experten-Behauptungen zum Trotz. Schließlich ist Evolution ein aktiver Prozess; und dabei bedeutet Handeln gleichzeitig verhandeln. Wir müssen uns unserer kommunikativen Umwelt gestaltend anpassen.

Erst durch lebenslanges Lernen und Lehren entwickeln wir mediale Kompetenz. Lehrer und Schüler, Journalisten und Publikum, Professoren und Praktikanten erarbeiten sich nun neue Strategien im ständigen Rollentausch. Dieser Prozess der Selbst-Sozialisation hat gerade erst begonnen.

Sobald wir dieses ganzheitliche Verständnis von medialer Kompetenz entwickelt und internalisiert (Meme oder Gene) haben, haben wir einen wesentlichen Fortschritt gemacht.

In welche Richtung, das ist noch einmal eine ganz andere Frage.

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