Ja! Auch Journalisten haben Gefühle. Und nein, nicht alle sind Heldinnen. Obwohl sie sich gern so darstellen. Im Gegenteil: Oft beherrscht die scheinbar coolen Medienleute nackte Angst. Vor dem professionellen Versagen generell, aber insbesondere – vorm Publikum. Einem Souverän, der manchmal ziemlich herrisch sein kann.
Die amerikanische Journalisten Monica Guzman hat dies gerade sehr lesenswert beschrieben, als Reaktion auf einen publizistischen GAU des „Rolling Stone“. Das Magazin hatte seinen aufsehenerregenden, aber fehlerhaften Artikel über eine Gruppenvergewaltigung an einer US-Universität zurückziehen müssen. Was ebenfalls viel Aufsehen erregte. Dies bekam vor allem die Urheberin (nicht Guzmann) der Story zu spüren. Per Shit-Tsunami, wie mittlerweile üblich.
Lohn der Angst: Manchmal guter Journalismus
In ihrem Artikel zum Fall „Rolling Stone“ beschränkt sich Guzman jedoch nicht aufs Jammern über die psychischen Nöte der Medienschaffenden. Sie betont gerade den motivierenden Charakter von Angst. Denn letztlich wird darin die Konsequenz der hohen Verantwortung spürbar, die eine Journalistin oder ein Journalist nun mal hat.
Fear is a motivator. Let’s not let it be an excuse.
Angst, konstruktiv gewendet, sollte also dazu motivieren, seine Story genauestens zu prüfen. Aber als Entschuldigung dafür, nichts zur riskieren, würde sie endgültig destruktiv. Denn manche Geschichten sind kompliziert zu verifizieren, gerade beim Thema sexuelle Belästigung.
Journalismus ist Vertrauenssache und Enttäuschungen sind kaum zu vermeiden. Fehler kommen vor, jedenfalls kamen sie das bei mir. Mindestens sind sie ärgerlich, manchmal führen sie auch zu Konsequenzen. Allerdings geschieht dies bislang meist innerhalb eines relativ berechenbaren Zusammenhangs. Oft bleiben Störfälle intern. Kollegenschaft, Betrieb, Aufsichtsorgane. Als Sanktionen drohen Karriere-Knick oder Reputationsverlust. Im Extremfall folgt sogar ein juristisches Nachspiel. Da kommt man als Journalist zu recht ins Schwitzen.
Auf der anderen Seite geht eben auch viel durch. Und am Publikum vorbei. Im Außenverhältnis trösten manche aus der journalistischen Zunft sich ohnehin vielleicht mit der berüchtigten Hoffnung: „Na, das versendet sich.“ Derlei Laxheit untergräbt auf Dauer natürlich das Vertrauen in die Wirksamkeit der inneren Qualitätssicherung und der äußeren Kontrolle.
Der Souverän greift druch: Aktiviertes Publikum
Deshalb kommt in der heutigen Netzwelt ein anderer Akteur immer stärker zum Zuge: Aktiviertes Publikum, nun ausgerüstet mit besten Recherchemöglichkeiten und flinkem Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit. Das digitalisierte Publikum kann schnell gewaltig Druck machen.
Dies bekommt gerade die britische Kolumnisten Katie Hopkins zu spüren. Sie hatte, in der Sun einen gruseligen Kommentar zu den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer veröffentlicht. Darin verglich sie diese Menschen unter anderem mit „Kakerlaken“.
Eine Online-Petition fordert nun vom Verleger der Sun: „Remove Katie Hopkins“. Während ich dies schreibe, nähert sich die Zahl der Unterstützer/innen der 300.000-Marke. Wo Ethik-Kommissionen nur schimpfen können und staatliche Instanzen sich zurückhalten (müssen), da will jetzt das Web-Volk durchgreifen.
Auch hierzulande: Bereits beendet ist die Kampagne gegen die die Kolumne der Franz Josef Wagner an die lieben Leser/innen der BILD. Ihm war ein selten schmieriger Text zum Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525 gelungen. Dem darauf folgenden Protest gegen die Kolumne „Post von Wagner“, organisiert von Jenny Jürgens, hatten sich immerhin 45.000 Online-Petenten angeschlossen.
Vertrollung?
Dies wiederum veranlasste die Stern-Autorin Meike Winnemuth zu einem überraschenden „Je suis Franz-Josef“. In ihrer Kolumne beklagt sie eine „Vertrollung des Umgangs miteinander“ und fragt sich, warum derart viele die Meinungen, Ergüsse und Unverschämtheiten anderer nicht ertragen wollen. Warum sie sie aus der Welt zu schaffen versuchen. Publizistische Provokateure ertragen und verteidigen lernen, das war ja in der Tat eine mögliche Schlussfolgerung aus dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo.
Warum auch immer – die Stimmung in den diversen Communitys häufig ist häufig eher anders. Vor einem Jahr durfte Markus Lanz vom ZDF dies erleben, als Versuch, ihn vom öffentlich-rechtlichen Arbeitsplatz zu vertreiben, 200.000 Unterstützer/innen fand. Er hatte in einem Interview unerwartet grob auf die Linken-Politikerin Sara Wagenknecht eingezimmert. Und sowieso, der Lanz …
Als der durchaus online-affine Journalist Christian Jakubetz auf Cicero Online dagegen wetterte („So wird die Mitmachdemokratie missbraucht“), bekam er in den Kommentaren fast durchweg Gegenwind. Das aktive Publikum der digitalen Medienwelt will sich ganz offensichtlich die Spielregeln nicht erklären lassen, sondern diese neu verhandeln. Wenn auch nicht unbedingt mit den ungeliebten Gatekeepern der Journaille.
Qualitätssicherung?
Vielleicht schätzen wir Berufskritikaster die ungewohnte, online organisierte Gegenbewegung ganz falsch ein. Weil wir derlei nicht gewohnt sind. Das Ziel der Mediennutzer könnte dann eher Qualitätssicherung heißen, statt Einschüchterung oder gar Zensur. Ohnehin heißt „Petition“ ja „Bittschrift“, nicht etwa „Befehl“. Wie sanft ist also der Druck der Crowds?
Im Rahmen eines kleinen, zufälligen Twitter-Dialoges (der Anlaß war die Petition gegen Katie Hopkins, s.o.) zu dem Thema hat der Medienjournalist Friedemann Karig derlei Petitionen als „Sammel-Leserbrief“ definiert.
@MedienHansen Staat wäre korrekter Adressat bei Klage. Petition ist doch nichts anderes als ein Sammel-Leserbrief, oder?
— Friedemann Karig (@f_karig) 21. April 2015
Wie intensiv auch immer Netzöffentlichkeit Einfluß nimmt, es stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Publikums für seine Handlungen. Wenn die Rollen verschwimmen, dann passen die Regeln nicht mehr. Müssen neue her. Insofern bietet das Panel „Geteiltes Leid ist halbes Leid ? (Medien-) Ethik in der digitalen Sphäre“ auf der re:publica 15 eine Chance auf Antworten. Friedemann Karig sitzt dann auch auf dem Podium.
Bange Frage nach der Ethik
An diesen Diskurs gibt es so viele Fragen: Geht die persönliche Freiheit der User so weit, alle unangenehmen Positionen im Meinungsspektrum beseitigen dürfen? Per Klick? Gibt es ein Recht auf Nicht-wahrnehmen-müssen? Oder wäre es nicht sogar eine bürgerliche Pflicht, sich selbst unerträglichen, beleidigenden Positionen auszusetzen? Wenn das alte System nicht mehr funktioniert, wer legitimiert ein neues?
Genau auf solche Probleme stoßen wir stets, wenn die Wahrheit mal wieder konkret wird. Andererseits ist es ja das gute Recht einer Gesellschaft, den Selbstkontrollorganen der Medien oder der rechtlichen Aufsicht des Staates die Zuständigkeit zu entziehen.
Nur: Was dann? Fragt sich hier gerade ein banger Journalist.
tl;dr: Journalisten/innen und ihr Publikum befinden sich im permanenten Mitarbeiter-Gespräch. Der Druck auf die Medien wächst und führt mal zur Qualitätssicherung und wirkt mal wie Zensur. Das bleibt noch eine Weile ungewohnt für beide Seiten, manchmal auch beängstigend.
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