Für Venedig fing das Jahr gut an. Wenn man Tagesschau-Online glauben darf. Darf man? Bei der Meldung „Keine Giganten mehr am Markusplatz“ habe ich meine Zweifel. An der Geschichte ist etwas faul und die beigefügte Bilderstrecke parfümiert das. Sicher ohne Absicht, vielleicht auf der Suche nach dem ultimativen Klick. Für mediale Legitimation ist sowas auf Dauer tödlich. Deshalb will ich hier ein Exempel statutieren.
Klar, kleinlich: Handelt es sich doch um eine Randnotiz aus dem „Vermischten“. Diese Petitesse regt mich vermutlich besonders auf, weil ich Venedig-Intensivnutzer bin. Und dem Glauben an das öffentlich-rechtlich Wahre und Gute anhänge. Nur: Wenn wir ständig die große Frage nach dem Vertrauensverlust etablierter Medien aufwerfen, dann liegt ein Teil der Antwort in solch teuflischen Details.
Die Fakten: Interessens-Kollision in der Lagune
Durch die Möglichkeit einer spektakulären Fahrt vorbei am Dogenpalast hat sich Venedigs Kreuzfahrtterminal an die Spitze der Beliebtheit geschippert. Dass sich die Menschen am Ufer wiederum wie die Einwohner von Liliput fühlen, ist noch das geringste, damit verbundene Übel. Schwerer wiegt die Erschütterung der Fundamente der alten Bauten. Sie müssen immer wieder teuer stabilisiert werden.
Um die Frage von Fluch oder Segen durch Luxusliner wird zäh gerungen. Nach dem Unglück der Costa Concordia vor der Insel Giglio noch intensiver. Bürger und Besucher, Umweltschützer und Unternehmer, Politiker und Polemiker. Vor internationalem Publikum. Interessensgruppen streiten darüber, ob Venedig bei diesem großen Geschäft unter dem Strich wirtschaftlich profitiert oder wortwörtlich seine Substanz verliert.
Ein klassischer Zielkonflikt und ein vorzügliches Studienobjekt für simulative Politik. Es muss etwas getan werden, also tut man so, als täte man etwas. Denn nach vielen Diskussionen bleibt wenig Substanzielles übrig. Die Positionen wirken weitgehend unvereinbar.
Das Verbot der Vorbeifahrt am Weltkulturerbe für Passagierdampfer über 96.000 Tonnen seit Anfang Januar ist immerhin ein erster Schritt. Allerdings betrifft dies nur ein Viertel des bisherigen Verkehrs. Außerdem lag die Begrenzung schon mal niedriger, nämlich bei 40.000 Tonnen Gewicht. Dagegen hatten allerdings die Kreuzfahrt-Unternehmen erfolgreich geklagt. Das Urteil wurde, grob gesagt, damit begründet, dass die politischen Instanzen zu wenig für eine Lösung des Problems getan hätten.
Auch wenn weiter über Stufenpläne verhandelt wird, bleibt es sehr ungewiss, wann eine geplante Alternativ-Route durch den Canale Contorta Sant`Angelo tatsächlich fertig gestellt werden könnte –und mit welchen Folgen für das sensible Ökosystem der Lagune. Und ob ein Off-Shore-Terminal vor dem Lido, das Alternativ-Szenario, je konkretisiert wird, steht noch nicht einmal in den Sternen.
Der Konflikt erscheint in einem besonders trüben Licht, seit Venedig im vergangenen Jahr zum Zentrum der Korruption in Italien aufgestiegen ist: Flächendeckende Bestechung rund um das Milliarden-Sperrwerk M.O.S.E. Dies soll Venedig gegen Hochwasser (aqua alta) abschotten. Sämtliche damit befassten Verwaltungsspitzen – Bürgermeister inbegriffen – sind verwickelt. Ihrer Ämter enthoben. Venedig steht seitdem unter Remote-Control. Auch in diesem Skandal geht es um Wasserwege und Geschäfte. Aber das ist wohl ortstypisch.
Die Medien-Geschichte: Eine (Ent-) Täuschung
Ja, das ist alles recht kompliziert. Auf der anderen Seite bietet es genügend Stoff für spannende Berichte, auch in deutschen Medien. Aber weder der Text auf Tagesschau.de noch das verlinkte Audio des ARD-Hörfunkkorrespondenten Tilman Kleinjung vermitteln einen Eindruck von der wahren Dimension.
Erst recht zu vielschichtig ist der Plot für eine Bilderstrecke der Online-Ausgabe der Tagesschau. Schon die Überschriften bewegen sich dabei am Rande der Täuschung. Vom „Kreuzschifffahrtverbot“ ist da die Rede, was im kleiner Gedruckten schon wieder relativiert, im Grunde dementiert wird.
Vor zwei Wochen hat das letzte Riesenschiff die Altstadt von Venedig durchquert. Das ist nun vorbei: Ab dem neuen Jahr dürfen dort keine Schiffe mit mehr als 96.000 Tonnen entlang fahren. Bilder von Kreuzfahrtgiganten am Markusplatz gehören nun der Vergangenheit an.
Oder ? Nein, eigentlich nicht. Wann ist ein Schiff ein Gigant, wann bloss groß? Beispielsweise die „Splendour of the Seas“ darf weiterhin am Markuslatz vorbeidrehen. Knapp 70.000 Tonnen, 264 Meter Länge, 32 Meter Breite, 8 Meter Tiefgang – um dem Dogen vom Achterdeck auf die Corno zu spucken, reicht das allemal. So schön der Stopp für einige Kreuzfahrt-„Giganten“ tatsächlich ist, so wenig bedeutet das eine derart gute Nachricht, wie Tagesschau-Online sie uns in Überschrift und Text nahelegt.
Eine aufmerksame Kommentatorin des Beitrages merkt übrigens an, dass selbst in der Tagesschau-Klickstrecke ein Schiff gezeigt wird, für das die neuen Regeln nicht gelten: Die „Crystal Serenity“. Auch einige der übrigen Anmerkungen der User geben mir ein wenig vom Glauben an die Schwarmintelligenz zurück.
Letztlich übernimmt Tagesschau-Online durch die Darstellung von Scheinlösungen Positionen, die es hätte hinterfragen sollen. Auf jeden Fall reicht es nicht, einen faulen Kompromiss als Lösung zu parfümieren.
Die Moral der Geschichte:
Letztlich habe ich mich gefragt, was so ein bunter Bericht eigentlich soll. Der terminjournalistische Nachrichtenwert ist gering, der Informationsgehalt dünn. Warum dann? Weil Venedig immer zieht? Weil die Bilder so eindrucksvoll sind? Weil es die anderen auch machen? Weil gerade nichts los ist? Gefangen in medialer Echtzeitlogik?
Alles Spekulation. Ist halt so passiert. Derartige Nachlässigkeiten sind auch in analogen Zeiten vorgekommen. Dahinter steckt selten böse Absicht. Nur erscheinen mir diese negativen Effekte heutzutage digital verstärkt. Außerdem leben wir in Zeiten, in denen jeder mittelbegabte Troll sofort eine Weltverschwörung argwöhnen würde, wenn dergleichen bei den Themen Ukraine oder Gaza passieren würde. Während sich die Gutwilligen fragen, auf wen sie sich noch verlassen sollen.
Deshalb wäre mein Rat, meine Moral dieser Geschichte: Bei solchen Stories sollten sich Redaktionen entscheiden: Tun oder lassen. Aber bitte nicht so tun, als ob. Das kostet auf Dauer Vertrauen.
So, an dieser Stelle hört meine kleine missgelaunte Rechthaberei vorläufig auf. Die härteste Währung im Internet bleibt immer noch die gekackte Korinthe. Dies war insofern nun mein Beitrag. Er sollte ja nur das Bewusstsein für die kleinen, folgenreichen Sünden im Journalismus schärfen: Auch Klick-Vieh ist oft Mist.
UPDATE 10.01.2015: Jetzt hat das zuständige Verwaltungsgericht des Veneto auch das Durchfahrtsverbot für die „Giganten“ kassiert. Nach ein paar Tagen Wirksamkeit. Wegen fehlerhafter Abwägung öffentlicher und privater Interessen, insbesondere weil eine alternative Route für Kreuzfahrer über 96.000 Tonnen fehle.
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