Ist eine medial inszenierte Hinrichtung noch ein künstlerischer oder schon krimineller Akt? Am Freitag hat Bushido sein Video „Leben und Tod des Künstlers Kenneth Glöckler“ auf You Tube eingestellt und damit schon am Montag die Vier-Millionen-Marke geknackt. Vordergründig geht es um Ehre, Freundschaft und den rechten Hip Hop beim Streit der Rapper Bushido und Kay One. So ein „dissen“ und hassen gilt als legitimes Mittel und vollzieht sich online via Social Media vor einem gewaltigen Publikum. Für den Zuschauer beginnt der Clip ganz konventionell mit einem Werbe-Intro. Aber danach stockt mir schon bald der bürgerliche Mittelschicht-Atem. Es geht um mehr.
Seit 2012 schwelt der Konflikt des umstrittenen Berliner Künstlers mit seinem ehemaligen musikalischen Partner Kenneth Glöckler, alias Prince Kay One. Der hatte sich damals von Bushido losgesagt und schwere Vorwürfe erhoben. Insbesondere in den „Altmedien“ Fernsehen und Presse. Was im Milieu schon mal sowieso schlecht ankommt. Der Streit – in der Szene heißt sowas „beef“ – ist auch ein spannendes Lehrstück über den Zustand gesellschaftlicher Kommunikation. Zeigt er doch, dass wir nicht nur von Parallel-Gesellschaften sprechen, sondern uns auch mit Parallel-Öffentlichkeiten auseinandersetzen sollten.
Statt tiefer ins Thema einzusteigen, könnte ich es mir natürlich auch so leicht machen wie einer von zigtausend Kommentatoren auf You Tube: „Das ist Kunst, Du Vollpfosten!“ Ende der Debatte. Ist sicher einiges dran. Wo wäre die Kunst heute, ohne Elemente von krasser Provokation? Wenn nun Bushido in seinem Hass-Clip als Terroristen-Chef zunächst seinen Gegner (Double) mit einem Rap foltert, um ihn dann filmisch liquidieren zu lassen, wer will da schon beurteilen, wie ironisch oder metaphorisch der Künstler das meint?
Interessant erscheint also weniger die Frage, ob das alles „erlaubt“ ist, als vielmehr, wie Medien hier eingesetzt werden. Und das handhaben alle Seiten, vor allem aber Bushido selbst, wirklich eindrucksvoll. Eine professionelle Kampagne. Sein aufwändiges „Diss“-Video hatte er vor einigen Wochen angekündigt, ebenfalls auf seinem You Tube-Kanal. Am Freitag erschien nun die elfminütige Fassung und verbreitete sich wahrlich viral im Netz. Sofort entbrannten Kommentarschlachten auf Facebook und bei Twitter. Bushidos neuestes Album erfährt so ganz nebenbei die entsprechende Begleit-PR. Es soll sich schließlich zeigen, wer der Herr im deutschen Rapper-Haus ist.
Marktanteile erscheinen ohnehin sehr wichtig bei diesem Konflikt, in dem es vordergründig um Ehre, Freundschaft, Verrat und den richtigen Rap geht. Der „gedisste“ Prince Kay One zollt als Reaktion ein ironisches Lob für den „Hassprediger-“ Auftritt seines einstigen Förderers. Ansonsten sagt er, dass alle sich doch „locker machen“ sollten und er nicht weiter auf die Promotion des Gegners eingehen wolle. Schon vor einiger Zeit hat er beim Social-Media-Portal Joiz in einem Interview geschäftsmäßig argumentiert: „Mit Rap-Beef lässt sich kein Geld verdienen“. Und darum gehe doch schließlich. Mit seinen 1,5 Millionen Facebook-Fans und 100 Millionen You Tube-Klicks habe er das gar nicht nötig.
Aber es wird nicht nur geklickt und konsumiert, sondern auch reichlich kommentiert. You Tube-Clip und Social Media spielen hier auf verstörende Weise zusammen. Egal, wann man sich wo reinliest in diese unendliche Fülle von kurzen, emotionsüberladenen Kommentaren – stets fällt auf: Besonders die Tiefschläge von Bushido sitzen. Andeutungen über sexuelle Vorlieben wachsen sich bis zu Pädophlie-Verdächtigungen und Homophobie aus. Witzchen über asiatische Wurzeln führen zu rassistischen Bemerkungen. Zweifel am künstlerischen Vermögen folgt der Appell: Hör auf! Oder gleich: „Häng Dich auf!“ Denn so ein „Diss“ ist eine Kunstform mit klarem Ziel: eine Karriere zu beenden, das Gegenüber zu vernichten. Für die Hip Hop-Szene sicher keine Premiere, denn Gangsta-Rapper wie 50c haben genau das in den USA bereits vorexeziert.
Als wäre diese Verstrickung von Kunst und Kommerz nicht schon genug, kommt in diesem Fall noch der Faktor Kriminalität hinzu. In seinem Video nimmt Bushido gewissermaßen auch publizistisch Stellung zu kritischen Berichten über seine Beziehung zum libanesisch-stämmigen Abou-Chaker-Klan. Die Bedrohung seiner Gegner, mit der Bushido symbolisch zu spielen scheint, wird von anderen als sehr real eingeschätzt. Prince Kay One steht unter Polizeischutz. Polit-Prominente wie Claudia Roth und Klaus Wowereit fühlen sich von Bushidos Song „Stress ohne Grund“ geradezu zum Abschuss frei gegeben. Allerdings hat ein Berliner Gericht ein Verfahren in dieser Sache abgelehnt.
Einfach macht es Bushido seinen Gegnern jedenfalls nicht. Zwar fährt er mit Vollgas auf die Grenzen des Rechtsstaats zu, aber er kennt sie auch sehr genau. Stolz verweist er im Diss-Video auf seine kampfererprobte Rechtsanwältin. Bushido ist in der Branche als eisenharter Abmahner bekannt, sobald er seine Rechte verletzt sieht. Großzügigkeit lässt er am ehesten gegen sich selbst gelten. Wenn es um Urheberrechte anderer geht beispielsweise. Oder um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Seinen Feind, Prince Kay One, fordert er im Hass-Clip auf, „die Eier zu haben“, ihm das Video nicht gerichtlich verbieten zu lassen.
Diese faszinierend erschreckende Mischung aus Kunst, Kommerz und Kriminalität im Cyberspace lässt sich mit gewohnten Maßstäben kaum bewerten. Traditionsmedien stehen da eher als Zaungäste am Rande. Nicht viel anders geht es da den staatlichen Institutionen. Denn während Bundesprüfstellen über die Jugendgefährdung von Bushido-Texten grübeln und die Berliner Staatsanwaltschaft nach Beweisen für seine Verstrickung in kriminelle Bandenstrukturen suchen, geht es im Netz weiter einfach nur wild ab.
Abweichend vom althergebrachten Leitmedienverständnis, ist hier eine Parallel-Öffentlichkeit entstanden. Sie greift bekannte Medien-Logiken auf und schreitet doch mühelos über deren Grenzen hinaus. Die Möglichkeiten des Digitalen erlauben es denBeteiligten, unmittelbar und ungefiltert Massenmedien zu generieren. Ist das nun offen und authentisch? Manipulativ und bedrohlich? Oder nur eine gute Show?
Mir geht dieser Hass zu weit. Kunst hin, Freiheit her. Wir brauchen Mindest-Regeln für den Umgang mit Menschen in der Öffentlichkeit. Vielleicht lässt sich ja bei dem Begriff „Respekt“ anknüpfen.
[…] begann, hatte ich einmal eine ähnlich verblüffende Begegnung mit einem “Beef”, einem bedrohlichen Rachevideo-Clip von Bushido, millionenfach geklickt. Mir hatte das den öffentlich-rechtlichen Ärmelschoner hochgeklappt. In […]