Wir müssen reden. Übers Reden. Vielmehr: schreiben übers Schreiben. Mindestens dieses eine Mal noch. Denn die Aggression in der Kommunikation gehört derzeit zu den wichtigsten Themen des digitalen Wandels. In dieser Woche haben die Blogger Dirk von Gehlen und Jeff Jarvis mediale „Streitkultur“ eindringlich thematisiert. Das Problem drängt und die Lösung sind wir alle.
Im letzten Post war an dieser Stelle von „Behauptungskultur“ die Rede, jetzt also „Streitkultur“. Blog-Autoren scheinen Wiederholungstäter zu sein. Manchen fällt das sogar selbst auf. Aktuelles Beispiel: Weil Groß-Kolumnist Sascha Lobo fast nur noch über die digitale Totalüberwachung schreibt, fragt er jetzt seine Nutzer, ob er damit weitermachen soll. Per Online-Voting.
Andererseits: Wenn wir Themen immer wieder bereden müssen, dann handelt es sich möglicherweise um wichtige, ungelöste Probleme. Nicht immer natürlich, aber in diesem Fall bin ich mir sicher. Zudem halte ich es auch für keinen Zufall, dass ausgerechnet in diesem Kriegs-Propaganda-Sommer 2014 die Empfindlichkeit zunimmt. Existenzielle Fragen stehen schließlich zur Debatte. Scheinbar ferne Kriege führen uns die Zerrissenheit der eigenen Gesellschaft vor Augen.
Digitale Herzensbildung und digitale Zivilcourage
Hätte ich also einen Wunsch bei ihm frei, dann würde ich Sascha Lobo raten, gerade jetzt wieder seine schöne Formulierung von der „digitalen Herzensbildung“ konkret weiterzuverfolgen, vielleicht ergänzt um „digitale Zivilcourage“. Denn bei allem berechtigten Post-Snowden-Zorn, die Geheimdienste sind nicht das einzige Problem, das diese Online-Welt zu lösen hat. Genauso dringlich muss sie sich soziale Regeln für das kommunikatives Betriebssystem schaffen. Die kommen nicht von allein, weder per Algorithmus noch per Schwarmintelligenz. Das ist unser aller Sache.
Ob es nun um gesellschaftliche Katastrophen wie (Bürger-) Kriege oder persönliche Schicksalsschläge wie den tragischen Tod eines Robin Williams geht – die Themen erreichen uns näher und tiefer, im Ton immer schärfer. Wie Marcus Schwarze bloggte: „Früher stille Post – heute schrille Posts“. Damit bezog er sich – genau wie Jeff Jarvis – auf die teilweise unfaßbar rüden Reaktionen auf den Tod des US-Schauspielers im Netz. Robin Williams´Tochter hat sogar öffentlich ihren Twitter-Account stillgelegt.
„Diskussions-Kultur“ ist da ein seltsam blutleerer, aber immerhin zutreffender Ausdruck für unser Problem mit der medial vermittelten Aggression in der Gegenwart. Nun könnte man in den Beziehungsratgeber gucken und fragen: Reinigt Streit nicht eigentlich die Luft, wie ein Gewitter? Nun, dann immerhin wäre das Internet ein sehr sauberer Ort. Massenhaft Auf-Klärung hieße der positive Befund. Nur: die schiere Menge und die enorme Geschwindigkeit sorgt zunächst lediglich für maßlose Aufregung.
Weltkrieg im Wohnzimmer
Diese Flut, die auf uns eindringt, transportiert sowohl wichtige Informationen als auch wuchtige Emotionen. Beim eigenen Web-Profil wird das Private endgültig zum Politischen. So wie beispielsweise der Islam zu Deutschland gehört, das gleichzeitig eine besondere Beziehung zu Israel hat. Jeder persönliche Facebook- oder Twitter-Account kann nun zum Schlachtfeld im Gaza-Konflikt oder zu einem Treffpunkt der Perversion mit unberechenbarer Teilnehmerschaft werden.
Sind wir darauf vorbereitet? Nein. Wir haben im Moment weder das rechte Gespür noch die richtigen Instrumente zum Umgang mit diesen Themen in digital vervielfältigten Öffentlichkeiten. Vermutlich können wir bald unsere FB-Statusmeldungen in smarte Taschentücher husten. Aber hinsichtlich des Inhalts herrscht häufig eine gewisse Gedankenlosigkeit und Ratlosigkeit. Kein Wunder, angesichts der unfaßbaren Möglichkeiten aktueller Kommunikation.
Um es damit auf die Ebene der Beziehungsratgeber herunter zu brechen: Der Ausdruck „sich miteinander auseinander setzen“ trifft den Idealzustand im Grunde ganz gut. Das Ziel eines Meinungsstreits sollte ein gemeinsamer Lösungsversuch sein, also sich nicht mit dem Anblaffen zu begnügen. So etwas bekommen wir schon kaum im eigenen Haus, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder auf dem Bolzplatz hin. Im digitalen Raum scheinen wir endgütltig überfordert.
Journalisten arbeiten ohne Vertrauensvorschuß
Worin liegt bei all dem die besondere Rolle des Journalismus? Oder ist der längst auch nur noch eine beliebige Stimme im Erregungs-Chor? Wir müssen zunächst wohl festhalten, dass den professionellen Vermittlern offenbar kaum zugetraut wird, den Informationsfluss in konstruktive Bahnen zu lenken. Nicht wenige Hass-Tiraden im Netz richten sich gegen die „Gatekeeper“, die angeblich oder tatsächlich falsch berichten. Oder im Verdacht stehen, missliebige Fakten sowie Meinungen zu unterdrücken, was auf das gleich hinausläuft.
Medienschaffende und Publikum treten jedenfalls in neue, intensivere Beziehungen. Das ist ein schwieriger, experimenteller Prozess. Gelingen und Scheitern liegt dabei in der Verantwortung beider Seiten. Dem Journalisten steht keine Deutungshoheit zu und der Konsument hat auch als Kunde nicht immer Recht. Die Medienbloggerin Petra Sorge hat diese komplizierte Beziehung maßvoll beschrieben.
Beide Seiten werden in der massenmedialen Kommunikation auch in Zukunft aufeinander angewiesen sein. Dies setzt wechselseitiges Vertrauen voraus. Wenn man dies einfach aufkündigt, ist damit nichts gewonnen. Stattdessen richte ich meine Hoffnung auf eine neue Journalisten/innen-Generation, die ihre Publikumsbeziehung neu zu (be-) gründen beginnt.
Wenn es also an uns allen liegt, Diskussionkultur zu verbessern, wie lösen wir diese Aufgabe? Vier Punkte sind mir besonders wichtig.
1. Den Cyberspace realistisch betrachten.
Im Blick auf die Medienzukunft sollten wir die rechthaberische Lager-Debatte beenden. Und das gilt für die eher kulturpessimistischen wie für die eher utopistischen Akteure. Es hat wirklich keinen Sinn, ständig Diskussionen zu führen, als könne man das Internet wieder abschaffen. Oder als müsse es genau so sein, wie ein paar Visionäre es sich wünschen. Der Cyberspace ist kein besserer Ort als das wahre Leben. Aber er ist ein höchst realer Raum, für den Verhaltensregeln wichtig sind.
Ich wage zu prophezeien, dass wir miteinander meilenweit vorankommen, wenn wir aufhören, das Internet an Erwartungen scheitern lassen, die es nicht erfüllen kann und es andererseits nicht mehr für Entwicklungen verantwortlichen machen, die es nicht verursacht hat.
2. An die eigene Tastatur fassen
Zweitens sollten wir uns zunächst an die eigene Tastatur fassen. Es ist in der Tat heute technisch noch einfacher geworden, einander schroff mit Behauptungen zu konfrontieren und gleichzeitig den persönlichen Folgen auszuweichen. Eigentlich sollte ja gelten: Gegner sind keine Todfeinde und Trolle sind nicht niedlich.
Auf der einen Seite menschliches Maß im Streit zeigen und auf der anderen Seite digitale Zivilcourage aufbringen. Es hat sich – ich behaupte: mehr oder weniger bei uns allen – eine Radikalität etabliert, die so sinnlos ist, wie sich im Laufe eines face-to-face-Gesprächs ständig anzubrüllen. Und mit dem Spruch „Don´t feed the troll“ kann sich auch leicht eine Kultur des Wegklickens bei schweren Verstößen gegen die Diskussionskultur etablieren.
3. Aufwand und Einschränkungen akzeptieren
Zum Dritten gilt es natürlich, langfristig die Konsequenzen aus den schönen Vorsätzen zu ziehen. Sie sind leider mit erheblichem Aufwand und vermutlich auch mit gewissen Einschränkungen verbunden. Das sind sehr schwierige Stichworte für unsere kostenoptimierte, innovationssüchtige Konsumgesellschaft. Aber wenn wir Null-Wachstum der medialen Aggression erreichen wollen, dann hat das Folgen.
In den erwähnten Posts von Dirk von Gehlen sowie von Jeff Jarvis, sowie den Diskussionen drum herum, werden solche Konsequenzen angedeutet. Eintritt für Foren, Aufmerksamkeitsfilter gegen Profilneurotiker. Weil das Kuratieren von Kommentaren in Foren aufwändig ist, könnte man in der Tat Geld verlangen. Oder Identität.
4. Frustrationstoleranz aufbauen und ausbauen
Wir stehen weiter vor einer heftigen Geduldsprobe.Eine Operation am lebendigen gesellschaftlichen Organismus. Unsere Eingriffe kommen spät, hoffentlich nicht zu spät.
Dies schmerzt mich vor allem aus einem Grund: Während wir uns über die wirtschaftliche, technische und rechtliche Rahmung von digitaler Medienwelt auseinandersetzen (müssen), haben wir weniger Zeit, uns um die Probleme dieser Welt zu kümmern, die aus den Fugen zu quellen scheint.
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