Weg-Definieren könnte das neue Weg-Sehen werden. Ausdruck einer Kultur des Ausweichens vor der heiklen Herausforderung, in den Abgrund einer Aufgabe zu blicken, auch ins Brodelnde, Unheimliche. Nach einer Woche Diskussion ums Kölner Silvester fällt auf: Die zunehmende Neigung, Debatten lieber formal zu rezensieren anstatt sie inhaltlich auszuhalten.
Ein kleines, harmloses Beispiel dazu: „Verstörend“ sei sie, die überbordende Äußerungswelle zum Geschehen, schreibt beispielsweise der geschätzte Law-Blogger Thomas Stadler. Er bezieht sich auf Berichte „vermeintlich seriöser Medien“, wie beispielsweise der Welt. Die ziehe falsche Schlüsse aus vagen Annahmen. Eine nachvollziehbare, harsche („schändlich“, „rassistisch“) Pars-pro-toto-Kritik.
Ob der Post des Juristen damit seine verallgemeinernde Formulierung von den „vermeintlich seriösen“ Medien gut genug begründet, erscheint eher fraglich. Denn möglicherweise ist es einfacher, die Pauschalisierungen der Anderen zu kritisieren als die eigenen wahrzunehmen.
Fest steht jedenfalls: Kritik an einzelnen Fehlgriffen trifft immer auch das Kollektiv: Politiker/-innen, Journalisten/-innen, Katholiken, Bankmanager/-innen, Flüchtlinge. Sicher ist es schwer auszuhalten, was sich derzeit auf vielen Kommunikationskanälen tut. Meinungsstreit in gesellschaftlich bewegenden Fragen ist grob, manchmal sogar widerlich. Störend, aber schon verstörend?
Zugegeben, ungewohnt ist das gewaltige Erregungspotenzial heutiger Diskurse schon. Durch den enormen medialen Vernetzungseffekt treffen uns Themen mit vergrößerter und beschleunigter Wucht. Das große Ermächtigungspotenzial des Internets.
Wobei das dann weniger zu einem Informations-Overkill führt, als vielmehr zu einem Positions-Overkill. Wertungen statt Fakten, Fakten, Fakten. Weil das so ist, wird die Mühsal einer ebenso zweiflerischen wie sachorientierten Debatte mit rhetorischen Verfahrenshinweisen einfach umgangen.
Und das ziemlich unabhängig von der inhaltlichen Position: Ein flinkes, kommunikatives Ausweichmanöver: Soooo können man ja nun gar nicht diskutieren. Nicht auf dieser Faktenbasis, nicht mit diesen Worten, nicht in diesem Zusammenhang, nicht mit diesen Leuten.
Aus der Diskussion um Themen wir so eine Debatte ums Debattieren. Die Kombattanten schreiben sich wechselseitig vor, worüber wie mit wem zu reden sei. Dass man jenes nicht sagen könne oder so nicht sagen dürfe. Ein erbittertes Ringen um die Weg-Definitionshoheit.
Nicht dass wir uns jetzt missverstehen – ich mag Medien-Meta sehr! Daher dieser Blog. Diskussionen über die Kommunikation der Nation(en) steigern die Kompetenz von Publikum und Profis. Dies klappt gerade durch die kritische Reflexion darüber, mit welchen Begriffen wir hantieren oder wie wir Debatten „framen“. Beispielsweise hier und hier.
Nur dürfen daraus keine Ersatzhandlungen werden. Beziehungsweise Hilfsargumente, Auseinandersetzung zu vermeiden. Wie heikel die Diskussion um die Kölner Gewalt gegen Frauen, ob nun als mögliches deutsches Alltagsphänomen oder als mutmaßlicher problematischer Kulturtransfer, vor dem Hintergrund der Integrationsaufgabe ist, haben wir nun eine Woche lang erlebt.
Darüber im Gespräch zu bleiben, ist eine notwendige Form, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Gesellschaftlichen Konsens zu suchen. Dies schließt Unzulänglichkeiten im Diskurs mit ein (Exzesse nicht!).
Idealbedingungen für einen gepflegten, argumentativen Austausch lassen sich leider, leider nicht herstellen. Sprachlosigkeit wäre allerdings eine gefährliche Alternative.
Natürlich können sich jetzt alle gegenseitig den Mund verbieten. Das wäre dann aber weniger verstörend als vielmehr zerstörerisch.
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