Nun steht er also mitten in Teufels Küche – SWR-Intendant Peter Boudgoust. Und mit ihm sein Sender, ja die Öffentlich-Rechtlichen an und für sich. Hinein geschubst von Landesfürstin und Landesfürst. Das kann übel enden.
Malu Dreyer und Winfried Kretschmann stellen sich eigentlich mit ihren Parteien zur Wahl, sind aber selbst wählerisch: Mit der AfD wollen sie nicht im TV diskutieren. Was sollen auch die Leute denken? Das Stimmvolk.
Gut, der Versuch des Juristen Boudgoust, einen Ausgleich zwischen Informationsauftrag und Diskussionsverweigerung herzustellen, ist offenkundig misslungen. Häme-Hastags ala „’swrgate“ einbegriffen.
Hätte das besser laufen können? Eindeutig ja, sagen kompetente Vertreter einer reinen Lehre, wie der erfahrene Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolas Bender, selbst Experte für politischen Durchgriff auf Rundfunkanstalten. Sein Rat: Vorher klare Regeln aufstellen und es dann darauf ankommen lassen. Im Studio lässt sich anschließend eben ggf. die reine Leere besichtigen.
Regeln sind toll, aber Realitäten oft nicht so. Die ändern sich sogar manchmal. Man muss kein Prophet sein, sondern nur über etwas Erfahrung verfügen, um sich folgendes Szenario vorzustellen:
Eines Tages soll es wieder ein „TV-Wahl-Duell“ in einem öffentlich-rechtlichen Sender geben. Mit der Besetzung ist dann eine Partei unzufrieden. Der Sender: „Wir haben Regeln.“ Die Kritik: „Ihr versteckt Euch hinter Formalien.“ Ich jedenfalls habe das schon im Amt erlebt. Genau bei so einem Thema.
In diesen Zeiten scheint es mir weniger darauf anzukommen, Prinzipien zu reiten als vielmehr, das gesellschaftliche Selbstgespräch in Schwung zu halten. Das aber funktioniert eben ohne die konstruktive Mitarbeit politischer Repräsentanten nicht. Dazu bedarf es eines grundsätzlichen Respekts, unabhängig vom tagestaktischen Polit-Kalkül.
Bei aller nachvollziehbarer Kritik am SWR-Management, diese Staatsmediendebatte hat einfach den falschen Spin. Sie dreht sich zu sehr um das vorauseilenden Gehorsam beim Management von Wahl-TV-Talk-Regularien und zu wenig ums eigentliche Thema: Achtung vor den vorhandenen Regeln, aber auch Rollen.
Der Informationsauftrag vor einer Wahl lässt sich nämlich nicht symbolisch erfüllen. Dazu muss man sinnvolle Sendungen machen. Rolle und Aufgabe der Medien. Deshalb sehe ich im Verhalten der Gesprächsverweigerer nach wie vor den wahren Skandal.
Nun hat sich der SWR tatsächlich nicht genug Respekt verschafft. Sondern sich eine Blöße gegeben mit dem Versuch, die unlösbare Aufgabe zu bewältigen. SPD und Grüne im Südwesten werden nicht geahnt haben, was sie damit angerichtet haben, „ihrem“ SWR eine derartige Zwickmühle zu konstruieren.
Aber der Kollateralschaden wächst täglich und nachhaltig: Neben einer weiteren ordentlichen Portion Verdruss über „etablierte Parteien“ schaukelt sich in diesen Tagen eine, in ihrer Dimension beängstigende Systemmedienwut hoch. Allgemeine Öffi-Hatz trending.
Dieser Eindruck ist natürlich genauso subjektiv wie meine Empathie mit öffentlich-rechtlichen Entscheidern sozialisationsbedingt. Das will ich anekdotisch erklären:
Zu den ungeliebten Erinnerungen an meine Arbeit in Leitungs-Verantwortung gehört ganz vorn ein kompliziertes Problem der Berichterstattung unseres öffentlich-rechtlichen Senders über eine Landtagswahl.
Es ging um ein Wahlhearing für Radio und Fernsehen. Die Schlagworte: Konzept. Zusagen der Eingeladenen. Ärger der nicht Berücksichtigten. Verwaltungsgericht. Urteil. Recht bekommen. Puh. „Gut“ gegangen.
Inhaltlich war der Fall etwas anders gelagert und würde hier zu weit führen. Was ich nur sagen kann: Es war ein so aufreibendes politisches, juristisches und journalistisches Gezerre, dass ich kurzzeitig meine Nerven los wurde und ein erfahrener Kollege sie mir wieder zureichen lassen musste.
Daher meine Empathie für die Entscheider im SWR. Gleichzeitig kann ich die Kritik an ihnen verstehen. Auch den Ärger von Bloggern um öffentlich-rechtliche Neigung zur Arroganz. Und ebenso das Unbehagen gegenüber den Einflussmöglichkeiten der Politik via Gesetz und Gremien. O ja.
Nur: Man nenne mir ein System dieser Leistungsfähigkeit ohne Schwächen. Personell wie strukturell. Das ist mein Problem, wenn Kritik bei besonders schmerzenden Systemlücken aufs große Ganze hochgerechnet wird.
Denn unter den Bedingungen der so genannten – und vielfach richterlich ausgeurteilten – „abgestuften Chancengleichheit“ zwischen der journalistischen Pflicht und den realen Möglichkeiten abwägen zu müssen, heißt immer, auf der Rasierklinge zu reiten.
Das kann schief gehen. Manchmal muss es das vermutlich sogar. Kern des aktuellen Problems bleibt für mich die geradezu gesellschaftlich gefährliche Herablassung der Definitions-Hoheiten im Politbetrieb.
SPD und Grüne können die AfD nicht verbieten. Stattdessen versuchen sie es mit ignorieren. Warum auch Respekt vor den demokratischen Spielregeln oder Achtung für der Selbstständigkeit einer Landesrundfunkanstalt, wenn man sich das Gegenteil leisten kann?
Nur, kann man das wirklich noch? In einem Gastbeitrag für das neuen Medienjournalismus-Portal „Übermedien“ bezweifelt der Politikwissenschaftler Wolfgang Patzelt, ob symbolisch aufgeladene Diskussions-Verweigerung das richtige Signal ist. Inzwischen scheint die Antwort „Nein“ fast schon common sense.
Was da gerade in Teufels Küche zusammengerührt wird, könnte übel enden. Für Demokratie und Medien. Aber die Diskussion, die muss selbstverständlich sein. Dieser Blogpost ist ein bescheidener Versuch, deren Richtung ein wenig zu ändern: Differenzieren und Respektieren.
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