Die friedliche Nutzung der Datenenergie

An so einem Satz hat man zu tragen, als in die Jahre gekommener Journalist: „Das Alte ist vergangen, wirklich vergangen“, beschied Senior-Verlegerin Friede Springer in der FAS. Deshalb „Digital First“ und der Rest – ab in den Schlussverkauf. Dann, im selben Medium, eine zweite, irritierende Information: Das deutsche Software-Vorzeige-Unternehmen SAP wird wohl bald in der Deutschland nur noch ein paar Briefkästen stehen haben. Einheimisches Personal rekrutieren oder Programme in der Provinz entwickeln, das sei nicht zukunftsträchtig. Think Big Data.

Beide deutschen Konzerne globalisieren sich derzeit radikal. Oder besser gesagt: sie us-amerikanisieren sich. Friede Springer hatte sich vor Monaten kurz den Silicon-Valley-Praktika ihrer Top-Manager angeschlossen. SAP-Chef Plattner weilt ohnehin häufig in den Staaten. Visionen werden wohl immer noch vor allem im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hergestellt – und nicht im Land der Dichter und Miesepeter. Mit all diesen Restriktionen und Diskussionen, die man anderswo gar nicht versteht, höchstens als Fortschritts-Phobie.

Nun schleppten sich am Wochenende tatsächlich noch ein paar Demonstrationszüge gegen Datenspionage durch die hiesigen Innenstädte. Auch halten sich hier und dort Debatten darüber, ob Facebook ein guter Vertrauenslehrer ist. Und die Opposition bläst nach Kräften in die schwache Glut des Wahlkampfthemas PRISM. Aber am Ende wird das nichts nützen – Big Data ist letztlich eine Nummer zu groß für den deutschen Kleingeist.

Die Kanzlerin weiß offenbar längst, dass ihr Volk in seiner Mehrheit nicht länger von bebrillten Agenten der Marke Snowden verwirrt oder aufgeregt werden will. Angela Merkel setzt auf Beruhigung („Deutsche Server – deutsches Recht“) und auf Beauftragung („Cyber-Außenpolitik“). Die Botschaft: Wir haben das Internet , genauso wie den Euro, unter Kontrolle. Nicht unbedingt unter demokratischer, aber unter Kontrolle. Ebenfalls wie in der Euro-Debatte, geht es auch diesmal um Vertrauen.

Vertrauen worin? In die friedliche Nutzung der Datenenergie natürlich! Nachdem der Störfall Überwachung ausgestanden ist, lockern wir mal die Spaßbremse und rauschen weiter in die Zukunft. Details klären wir später, denn wir sind ja auf einem guten Weg. Der Staat setzt auf Fortschritt, die Wirtschaft auf Wachstum. Wir Journalisten versuchen, mit zuhalten. Aber langsam kommen uns die Medien abhanden. Abgesehen davon, dass die meisten von uns derzeit weder Statistiker noch Informatiker sind. Aber das beginnt sich zu ändern.

Zwischen den Interessen der Regierenden und denen der Wirtschaftenden wird die alte Rolle der Medien langsam zerdrückt. Was auch ganz folgerichtig wäre. Wenn wir unser Leben immer konsequenter online leben, dann können Staaten ihre Bürger direkt verwalten und Firmen ihre Kunden individuell betreuen. Eigenständige Medien braucht die Big Data-Welt nicht mehr. Sie wären eher Störfaktoren.

Vielleicht überinterpretiere ich die Verlegerin Springer. Aber mir schien die Witwe mit ihrem „das Alte ist vergangen“ mehr beerdigen zu wollen als nur ein Papier gestütztes Geschäftsmodell. Journalismus scheint sich für sie nicht mehr zu lohnen. Das war mein Wochenend-GAU.

 

 

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