Der Hype Hype

(Foto: Urban_Data/Flickr CC BY 2.0)

(Foto: Urban_Data/Flickr CC BY 2.0)

Neulich habe ich mich total aufgeregt. Empörend!!! Immer diese Debatten über das Ende von Debatten. Mediendeutschland solle endlich Hysterie frei Zone werden, fordern genervte Gelehrte. Für mich ein besonders ärgerlicher Fall von Hype Hype.

Ja, es geht um das Rauf-und-runter-Gauland-Boateng-Zitat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ich wiederhole es an dieser Stelle nicht, um die Popularität einer gewissen Partei nicht noch weiter zu steigern, mit diesem vielbeachteten Blog (Scherz).

Beziehungsweise, um mich nicht weiter verdächtig zu machen, zum Beispiel in den Augen der Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg. Die warf der Journaille im Deutschlandfunk nämlich hypenden Herdentrieb in Verbindung mit fahrlässiger Förderung rechter Parteien vor.

Ein „Nicht-Ereignis“ sei losgetreten worden und durch einen „unglaublichen Medienhype“ die meisterhafte PR-Strategie der AFD voll aufgegangen. Die Journalisten/innen – im Mainstream keine Lügner, aber Trottel. Lünenborgs Lösung? Bei den Gaulands einfach mal nicht berichten. Detox.

Muster ohne Wert

Etwas länger ist es her, da beklagte die Wissenschaftlerin Friederike Herrmann bei den branchenkritischen Übermedien-Menschen grundsätzlich die „narrativen Muster“ in der Berichterstattung zur Flüchtlings-Frage. Diese seien unterschwellig verängstigend und manipulativ. Herrmann forderte, grob gesagt, ein politisch korrigierendes Gegenmuster, durch einen erweiterten Begriff der „Gegenrecherche“ zum Beispiel: frame positive.

Ja, und sowas regt mich auf. Jedes Mal ein bisschen mehr, denn genau wie das Problem selbst ist auch diese Argumentation  nicht neu. Sie hat sogar das Zeug zu einem eigenen Narrativ.

Möglicherweise liegt es daran, dass ich gerade irgendwo im Niemandsland zwischen operativem Medienschaffen und empirischer Kommunikationswissenschaft stehe. Mich überzeugt das Hype-Argument weder wissenschaftlich noch praktisch. Daran, dass ich etwa die AfD super fände, kann es jedenfalls nicht liegen.

Vor allem störe ich mich an einer selbstreferenziellen Selbstreferenzialität, am volkspädagogischen Ansatz: Mit dem Rezept „Aus den Augen, aus dem Sinn“ zurück zum hehren, wahren Diskurs. Der Versuch, „Grenzen des nicht mehr Sagbaren“ vorne zu verteidigen, muss scheitern. Also die Illusion eingreifen zu können oder zu dürfen, bevor sich jemand ein Bild über Parteien machen kann, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Und geben würde, wenn man denn richtig arbeitete.

Gemein und gefählich

Wer auf notgedrungen schmaler Datenbasis weitreichende Muster diagnostiziert, die dem ganzen Volk ein nicht vorhandenes Flüchtlingsproblem suggerieren, überschätzt aber die Macht der Kommunikatoren ebenso wie die der Strukturen bei der Medienwirkung. Gleichzeitig kegelt dieser Ansatz das Publikum in die passive Ecke. Das ist gemein und gefährlich.

Was jeglichen Umerziehungsansatzes schnell schwierig macht, wird deutlich, wenn man ihn praktisch durchspielt. Dann stellen sich Fragen wie: Ab wann geht eine Diskussion zu weit? Was gilt als unsagbar? Wer stellt das fest? Wer stellt das ab?

Betrachten wir dagegen die Wechselwirkung von (Massen-)Kommunikation ganzheitlich, denn erscheint uns die Sache leider so kompliziert wie es ist. Dazu gibt es jede Menge wissenschaftlicher Modelle, zum Teil richtig wirre Grafiken. Wenn Einigkeit herrschen solte, dann darüber, dass monokausal bei dem Thema nichts zu holen ist. Weder ist der Mensch ganz frei noch hängt er ausschließlich an unsichtbaren Fäden.

Narrativ-Narren

Wir sind am Ende doch keine reinen Narrativ-Narren und Framing-Feaks. Medienwirklichkeit wird stets konstruiert, bildet höchstens begrenzt „Realtiät“ ab. Nur gibt es dafür keinen Gesamt-Plan. Nur einige Entwürfe. Sowie Gegen-Entwürfe. Hach …

Auch Leit-Blogger Sascha Lobo leidet an den unbefriedigenden Medienverhältnissen. Einmal die Woche. Jüngst thematisierte er vor allem seine eigene Erschöpfung an den Mechanismen allgemeiner Erregung wie eben beim Nachbarschaftsstreit um Jerome Boateng.

Lobo bringt den Ablauf in seinem Text auf zwölf Punkte. Mit diesem meinem Beitrag lande ich da übrigens voll auf der 12 („Nachklappberichte“). Schließlich folgert Lobo, „der Diskurs ist kaputt“. Er sieht aber auch die vertrackte Lage – inklusive des eigenen Beitrages –  und fällt immerhin den sympathischen Schluss, ratlos zu sein. Es irgendwie weiter versuchen zu wollen.

Mein bescheidener Vorschlag:  Statt ständig „Versagen“ und „Schuld“ in die Medien-Filterblase zu rufen, würden vielleicht die Begriffs-Werkzeuge „Ursache“ und „Verantwortung“ besser funktionieren.

Die Verantwortung für das Entstehen medialer Massen-Panik trifft ursächlich uns alle. Das Publikum ausdrücklich inbegriffen. Solange die Gesellschaft jedoch halbwegs über ihre Streitthemen im Gespräch bleibt, bin ich beruhigter als ich es bei einem allgemeinen Rückzug in Parallel-Öffentlichkeiten wäre.

Bitte nicht falsch verstehen: Ob nun AfD oder „Altparteien“ – die Reizbemusterung des oft überforderten Journalismus durch clevere Öffentlichkeitsarbeiter, das verdient höchste Achtsamkeit. Als Akteure und Nutzer/innen.

Ich gebe zu: Das sind natürlich ziemlich undramatische Erkenntnisse. Überhaupt nicht gut zuzuspitzen. Im Grunde nicht für den Aufmerksamkeitsmarkt geeignet. Das ändert sich wohl auch nicht, wenn ich jetzt aufgeregt Alarm schlage– wegen Hype Hype.

Aber immerhin ist mir etwas besser.

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