Wer Fundamentalmedienkritiker richtig glücklich machen möchte, der gebe ihnen eine Magic-Bullet-Theorie. Einen durchschlagenden Erklärungsansatz für alles, was ihnen am Journalismus stinkt. Im aktuellen Streit um den rechten Weg (Achtung: Doppelsinn!) in die gesellschaftliche Zukunft heißt das Geschoss „Framing„.
UPDATE 8.6.2018:
Im Lichte einiger Diskussionen hilft vorweg vielleicht ein kleines tl:dr / Update. Also: Dass es Rahmung als psychologisches und gesellschaftliches Phänomen gibt, ist kaum zu bestreiten, fast banal. Ob und wie mediales Framing wirkt, darüber lässt sich allerdings nur spekulieren. Der Ansatz ist empirisch wenig belegt, aber hilfreich bei der Reflexion von Wortwahl etc. Meines Erachtens sind die Befunde nicht stabil genug, um auf dieser Basis die Absetzung von redaktionellen Produkten zu fordern, wie es der Deutsche (Leit-?) Kulturrat gerade getan hat. Das Narrativ von der Mit-Verursachung der AfD-Erfolge durch Polit-Talks halte übrigens ich für einen problematischen Versuch von Framing. Er passiviert das Publikum und missachtet ein anderes, für den Aufstieg der Rechten zentrales Element: Netzbasierte Öffentlichkeitszugänge.
Die Medienwissenschaften verfügen über eine stattliche Zahl von Bezeichungen (Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Journalistik, Zeitungswissenschaft) und einen reichlich bestückten Fundus an Modellen. „Gatekeeper“, „Agenda Setting“ und „Schweigespirale“ zum Beispiel sind klassische, diskutable und legitime Zugänge zur Journalismus-Kritik. Unangehm, aber hilfreich.
Hochkonjunktur hat in diesem Diskurs seit geraumer Zeit das „Framing“. Studien dazu können reflexiv für die Gefahr in Redaktionen sensibilisieren, Themen wie die Integration von Geflüchteten durch Sprachklischees und Ähnliches in der Darstellung einzuengen oder gar ideologisch vorzukauen, ob nun bewusst oder unbewusst.
Bei der Interpretation von derlei Befunden sollte man aber nicht die Rechnung ohne die Wirkung machen. Das Publikum ist beileibe nicht so passiv, wie es oft gemacht wird. Man kann ihm die eigene Wahrheit nicht einfach wie mit einer Spritze medial injizieren. Diese Magic Bullet These (nein, nicht der Kennedy-Mord) des Medientheoretikers Harold Lasswell stammt aus den 20er Jahren. Sie war auch durch die Hoffnung getrieben, ein Staatsvolk durch die „richtige“ Propaganda“ gegen Demokratiefeinde zu immunisieren.
Dieser einfache Stimulus-Response-Ansatz funktionierte eher schlecht und ist seit Jahren relativiert, um das Mindeste zu sagen. Außerdem gibt es bei der Definition von Framing durchaus kritische Unschärfen. Schließlich man sollte die „mittlere Reichweite“ dieses Theoriegeflechts nicht überschätzen.
Aber derlei Kleingedrucktes wird selbst von Fachleuten gelegentlich großzügig übersehen, wenn sie mitzündeln wollen am Aufmerksamkeitsfeuerwerk. Gleiches gilt für die Fachdiskussion im Journalisten/innen-Volk. Dies lässt sich ganz gut an der Medienblasen-Debatte um die Hart aber fair-Sendung vom 4. Juni 2018 nachvollziehen. Der Grundvorwurf lautete, grob formuliert, rassistische Rahmung der Programmankündigung. Eine Wiederholungstat auch noch.
Ich muss offenlegen, einige Hart aber fair-Mitarbeiter zu kennen und gestehen, dass ich die Vorwürfe für nachvollziehbar, aber übertrieben halte. Sowohl die ARD-Dokumentation vor dem Talk als auch die Diskussion bei Hart aber fair selbst ließen vieles von der Komplexität zu, die das Thema nun einmal hat. Alles im Rahmen eines Formates, das man nicht mögen muss.
Die Fragen im umstrittenen Teaser waren mir allerdings auch zu dicke. Zur Problematisierung hätte der erste Satz gereicht. Dann vielleicht: „Wie kann hier Integrations gelingen? Was bedeutet das für die Sicherheitslage“. Neutraler gehts immer. Teasen ok, triggern nicht.
Eigentlich geht es mir aber um die Apodiktik der Auseinandersetzung um den Rahmen der Sendung (nebenbei gesagt: Es wird sehr oft über die Form gestritten, wenn die Inhalte ärgerlich differenziert sind.) Die unversöhnlich wirkende Selbstgerechtigkeit, vor allem aber die Verwechslung von Freund und Feind, scheint mir mittlerweile ein stabiles Kennzeichen von Medien-Meta-Diskussionen zu sein.
Und eine Art Stellvertreterkrieg: Immer wieder wird darin die These vorgebracht, dass Polit-Talkshows mit ihrem relativ opaken Gäste-Casting und aufgrund ihrer manchmal stammtischkompatiblen Themenwahl in Wahrheit Populisten-Helfer sind. Konkret ist eine deutliche Sehnsucht spürbar, das Erstarken der AfD pars pro toto Frank Plasberg anzulasten. Gelungen sei ihm und anderen Journalisten dies durch ein „Second Level Agenda-Setting“, wie der Politikberater Johannes Hillje in der Süddeutschen behauptet. Durch Weiterverbreiten rechter Themen.
Eine andere Kommunikationswissenschaftlerin, Friederike Herrmann, argumentiert bei uebermedien – wenn auch nicht zum „Fall“ hart aber fair – ähnlich, nur mit „latenten“ narrativen Mustern. Am Beispiel der Tagesschau schreibt sie von „Langzeiterzählungen“, die das Thema Geflüchtete negativ als Krise unbemerkt in die Köpfe flüstern.
Eine Therapieempfehlung gibt die Wissenschaftlerin: Journalisten sollten den Begriff der Gegenrecherche weiter fassen und beispielsweise Fragen nach der Ungleichheit in der globalisierten Welt stellen, anstatt Politiker-Statements zu bringen.
Medien müssen nicht frei von Gesinnung sein, sie können und müssen Verantwortung wahrnehmen.
Dies passt gut zum großen Fragezeichen, das immer wieder mal hinter eines der stabilsten Elemente des journalistischen Selbstbildes gesetzt wird – die Objektivitätsnorm. Die Debatte ist nicht ohne, aber überfällig.
Manche Kritiker wollen Radikalkuren: Etwa die, dem ganzen Spuk ein Ende zu machen, indem man die zweifelhaften Arenen einfach abschafft, wie Georg Seeßlen dies vor einem Jahr in der taz gefordert hat:
Aber so viel ist sicher: Wo es Talkshows gibt, gibt es keine Demokratie. Und mehr Demokratie schon gar nicht.
Da sind wir jetzt mehr im Bereich der freischwebenden Demokratie-Theorie. Kritik darf hart daher kommen, fair sein muss sie nicht. Bei der wissenschaftlichen Intervention wäre aber mehr Vorsicht anzuraten.
Wissenschaftliche Erkenntnis sollte nicht eingesetzt wie ein strategischer Marschflugkörper, mit dem ein Gegner endgültig vernichtet werden soll: als Narrativ-Nazi oder Framing-Faschist. Gern wird auch die – für mich unbestreitbare – Tatsache des „Blinden Flecks“ einer jeder Beobachterperspektive ins Munitionsarsenal übernommen. Nur: Ob Journalist/in und/oder Aktivist/in – keine/r sieht das ganze Bild. Wie wohl die Framing-Analyse eine Vice-Artikels von Lisa Ludwig ausfallen würde, die die umstrittene Hart aber fair-Sendung als feuchten Traum der AfD deutet? Die gefährlichsten blinden Flecken sind vielleicht gar nicht die der Anderen, sondern die eigenen.
Wer anderen etwa vorwirft, dass es ihm oder ihr nur um die „Deutungshoheit“ gehe, der oder die heuchelt oder muss auf einen blinden Fleck hingewiesen werden. Denn um einen ordentlichen Einfluss auf die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit geht es letztlich uns allen.
Allerdings können wir uns die Mittel, vor allem aber ihre Dosierung wählen. Statt auf das zu setzen, was ich neulich kalauernd „Dichotom-Energie“ genannt habe: Erregung und Lagerbildung per Freund-Feind-Schema. Diese Methode verzichtet auf skrupulöse argumentative Differenzierung, erreicht dafür aber prima eine negative Integration. „Wir“ gegen den doofen Rest, gern „Mainstream“ genannt.
Weil die Dinge aber selten so eindeutig liegen wie sie liegen sollten, werden Widersprüche in der Wirklichkeit doch irgendwann offenkundig und in die klaffenden Erklärungslücken stoßen die Verschwörungstheoretiker. Mit der „Seht ihr – und wir durften das nicht mal sagen!“-Leier heizen sie dann weiter das Klima der „Großen Gereiztheit“ in der Gesellschaft weiter an.
Zermürbt werden, so fürchte ich, am ehesten die Unentschiedenen, bis sie sich ins Freund-Feind-Schema einpassen. In Bremen läuft dazu gerade eine sehr aufschlussreiche Debatte, in deren Verlauf bislang der städtischen Bühne Blackfacing und Behindertenfeindlichkeit vorgeworfen wird. Wer die Stücke und die Protagonisten auf Seiten des Theaters einigermaßen kennt, kann da nur staunen.
Oder auch nicht: Nachdem ich jetzt ziemlich genau fünf Jahre den Medien-Meta-Diskurs verblogge, denke ich langsam: Differenzierung ist ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Abwägung, Verhältnismäßigkeit und Interessensausgleich nur noch was für Schwächlinge. Für eine Unterscheidung zwischen Vor- und Hinterbühne, oder zwischen wesentlichen Konstrukten wie „Ursache“, „Verantwortung“ und „Schuld“ beispielsweise, fehlt die Zeit. Der Wille sowieso. Es scheint unendlich schwierig, mit Ambivalenzen klarzukommen, obwohl es doch das Einzige wäre, was gegen die Faustrecht-Attitüde der groben Vereinfacher helfen könnte.
Ich glaube an und hoffe weiter unverdrossen auf die Mühen der Diskussion über die richtige Form der redaktionellen Gesellschaft. Der dürfen sich auch Talkshow-Redaktionen nicht verweigern. Sie müssen sich – auch wissenschaftlich – hinterfragen lassen.
Übrigens – Journalismus war immer schon ein fragwürdiger Beruf. Aber sein Auftrag, gesellschaftliche Öffentlichkeit als Fundament des friedlichen Miteinanders herzustellen, hat sich keinesfalls erledigt. Nicht durch Algorithmen, nicht durch Alternative Fakten oder Magische Kugeln. Wir haben den Ernstfall. Diskutieren wir auch mit Ernst, nicht mit Eifer.
Ein Befangener schreibt ein kritischen Kommentar zu Maischberger u. hartaberfair .
Beide Sendungen müssen abgesetzt und das Personal entlassen werden . Das hilft dem genervten Zuschauer und spart der ARD kosten .
Danke für die Meinung, Rene. Wir hatten uns, vermute ich, ja schon auf Twitter ausgetauscht. Befangen sind wir ja alle, was bei Meinungsverschiedenheiten dann die Begründungen umso interessanter macht.
Meine Argumentation: Talkshow-Formate haben ihre Medienlogiken, die mal besser, mal schlechter gehandhabt werden. Gerade von früheren Themenabenden (Contagan)erinnere ich sehr gute Sendungen. Mein naiver Ansatz ist: Respektvolle Diskussion zwischen Macher/innen und Kritiker/innen mit der Bereitschaft, eigene Positionen ggf. zu revidieren. Framing als Analysewerkzeug könnte da hilfreich sein. Als magische und mechanische Wirkformel fürs mediale Üble verkommt das zur Ideologie. Das kann sogar zu gefährlicher Selbsttäuschung über andere wichtige Ursachen für Fremdenfeindlichkeit und ähnliches führen. Nehmen wir mal die radikalisierten Echokammern im Netz.
Die Forderung „absetzen und entlassen“ ist eine Reaktionsmöglichkeit für genervte Zuschauer. Erstmal auf eine Diskussion einlassen und dann gegebenenfalls ausschalten würde ich eher empfehlen. Mein Mantra: Diese Gesellschaft muss irgendwie im Gespräch, zumindest im Kontakt bleiben, auch Debattenräume offen lassen.