Das blaue Wunder

Leitartikler 4.0 (M: Public Domain/ YouTube)

Was ist da los? Die Kritik ist doch weder neu noch widerspruchsfrei. Internet gibt es auch schon eine Weile. Und doch wird das Zerstörungswut-Video des YouTubers Rezo millionenfach geklickt, geliked und geteilt. Etablierte Medien greifen das Thema auf und die Politik gerät unter Hochdruck. Es sind wohl Form und Streitwert: Die Zukunft der digitalen Generation.

Eine relativ hilflose etablierte Politik erlebt ihr blaues Wunder nach dem Rundumschlag des Netz-Stars mit der auffälligen Haartracht. Und um also die soeben aufgeworfene Frage gleich etwas eitel mit dem eigenen Tweet zu beantworten. DAS ist los:

Dieser Moment, so banal das wirken mag, verdient es, einfach festgehalten zu werden. Seit Jahren setze ich mich mit Medienwandel in Journalismus und Gesellschaft auseinander. Über der Thematik Generation Building hängt immer etwas Nebel. Meist bleibt das Ergebnis ja eher diffus, so auch lange Zeit bei der Frage, ob es „Mediengenerationen“ gibt. War wohl zu technisch formuliert.

In diesen ohnehin aufgeregten Tagen aber glaube wohl nicht nur ich zu wissen, was die Stunde geschlagen hat: Der Generationskonflikt des Digitalzeitalters ist amtlich! Schließlich wurden wesentliche soziologische Bedingungen erfüllt, wenn man denn mit diesem Konzept arbeiten will:

  • Gemeinsame Alterslagerung: Millenials und jünger
  • Verbindender Erfahrungszusammenhang: Digital Natives
  • Prägendes Ereignis: Klimanotstand und Politiksystemversagen
  • Öffentlichkeit: Akteure werden medial identifiziert
  • Identität: Akteure identifizieren sich über Medien

Entscheidend war es dabei, den Nerv der Zeit voll zu treffen. Wenn nämlich derart vehement formuliert wird, wie es die YouTuber um Rezo oder auch die jungen Demonstrant/-innen von Fridays for Future tun, dann kann das den Dunst der generationellen Debatten dauerhaft vertreiben. Vor allem, weil es jetzt ein klares Thema gibt – und das ist nicht „Irgendwas mit Medien“, „Generation Smartphone“ oder so. Sondern existenziell.

Jetzt fehlt wohl nur noch ein griffiger Name für diese Generation. Aber der wird sich noch finden. Oder besser: wird bald gefunden sein. Futur II, die schöne grammatische Form passt hier gut. Denn genau das repräsentieren Generationen: „Vollendete Zukunft“ im Hier und Jetzt. Vor vollendete Tatsachen lassen sie sich dagegen nicht mehr stellen.

Natürlich verbreite ich hier eine Spekulation. Erst in der historischen Rückschau wird deutlich werden (Futur I), ob wir tatsächlich die Geburt einer manifesten Generation erlebt haben. Genauso unsicher ist übrigens, ob die neue Kraft gute oder schlechte Entwicklungen ins Werk setzt. Nicht nur als alter weißer Medienmann kann man da seine Sorgen haben. Feindbilder ersetzen keine Weltbilder. Disruptive Rhetorik schafft noch keine Lösung in all der selbst erzeugten Komplexität.

Der Wille zur Meinungsmacht ist aber allerorten wahrnehmbar. Diesen argumentativen Eifer und Überfluß an Gedanken will ich aktuell nicht weiter anschwellen lassen. Da steigt gerade sowie wieder viel Dunst auf.

Wir haben noch Zeit genug für diesen Generationkonflikt. Er ist gekommen, um zu bleiben. Der Deutungsmachtkampf wird dauern, ausgefochten mit den Mitteln der medialen Moderne und um die Mittel der medialen Moderne.

Formiert sich, wie damals, 1968, eine neue gesellschaftliche Avantgarde? Mit ähnlicher Wirkmacht? Es wäre kein Wunder.

P.S.: Diesen Eintrag habe ich gerade noch einmal umgeschreiben. So bleibt es jetzt aber (25.05.2019).

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