Da staunt der Fachmann

Sowieso total überwacht: Der kleine Prinz

Sowieso total überwacht: Der kleine Prinz

Ich könnte natürlich dem Royal Baby die Schuld geben. Fürs Ablenken. Oder Mutti Angela. Fürs Abwiegeln. Denn trotz massiver Berichterstattung will das Thema Digitaler Datenschutz einfach nicht richtig zünden. Statt mit brennenden Barrikaden zu protestieren, genießen die Menschen das Wetter oder denken sich Namen für Anonymus Windsor aus. Gott und die Welt dafür anzuklagen, nützt nichts. Ich übe Selbstkritik, indem ich an Möglichkeiten und Grenzen von Medien erinnere.

Ob man es nun wahrhaben will oder nicht, Edward Snowden hat ohne Zweifel höchst Bedenkliches über den Zustand wichtiger Grundrechte im Online-Zeitalter verraten. Das Problem geht an die Wurzeln der Demokratie. Trotzdem bleiben die Regeln der Aufmerksamkeits-Ökonomie inkraft, in deren Rahmen Medien jeden Tag arbeiten, ob nun als Tageszeitung oder via Internet. Und was Regeln leider so an sich haben: Sie gelten auch dann, wenn es einem gerade nicht in den Kram passt. Deshalb müssen wir um die Fort-Existenz selbst dieses bedeutenden Themas zittern, sobald das Sommerloch gestopft ist. Es scheint fast soweit.

An mangelnder Berichterstattung würde das allerdings nicht liegen. PRISM, tempora und der blasse Edward sind ja seit Wochen medial stark präsent. Snowden ist daher für mich auch weniger ein Agent als vielmehr ein „Agenda Setter“. Jemand also, der ein Thema in das öffentliche Bewußtsein gerückt hat. Kommuniktionswissenschaftler haben vor über 50 Jahren diesen Effekt erkannt. Wer aber glaubt, dass die Thematisierung auch gleich Wirkung in der Realität zeigt, vergißt einen Störfaktor: das Publikum.

Denn wie hoch und vor allem, wie nachhaltig sie ihre Aufmerksamkeit auf ein Thema richten, entscheiden die Nutzer letztlich anhand von zwei Schlüssel-Größen: Betroffenheit und Glaubwürdigkeit. Geht mich das Thema etwas an? Und: Vertraue ich den Informationen? Sehen wir uns das etwas genauer an:

Betroffenheit

Wir Journalisten können – und sollten – dem Publikum nicht diktieren, was es für wichtig halten soll. Aber wir können die Relevanz von Sachverhalten herausarbeiten. Doch Vorsicht: Die Aufreger-Themen der Journalisten erweisen sich für die allgemeine Bevölkerung oft als erheblich weniger aufregend. Das verdrängen manche Kollegen gern. Anders läßt sich das fast weinerliche Erstaunen über die Reaktionen auf die Snowden-Enthüllungen kaum erklären.

Es ist nunmal so: Big Data bleibt abstrakt. Wenn Bürger Opfer von Flutkatastrophen werden, betrifft sie das immer konkreter als wenn ihr Informationelles Selbstbestimmungsrecht weggespült wird. Für uns Medienleute ist das Thema dagegen auf jeden Fall hocherregend. Schließlich sind wir selbst in der Informationsbranche tätig, genauso übrigens wie die Spione. Was der Name „Nachrichtendienst“ ja schon andeutet. Journalisten betreiben data driven journalism und setzen sogar Drohnen ein. Natürlich zur Aufklärung der Gesellschaft. Denn wir sind ja die Guten, schützen die Supergrundrechte Meinungsfreiheit und Privatsphäre.

Glaubwürdigkeit:

Bedauerlicherweise sieht das Publikum Journalisten etwas weniger heldenhaft. Im Lauf der Jahre, insbesondere der letzten, haben sich Medienleute einen eher durchwachsenen Ruf eingehandelt.

Journalsten müssen schon wegen der Aufmerksamkeitsökonomie übertreiben:  Entwicklungen werden nur berichtet, wenn sie „dramatisch“ sind und Katastrophen nur in Verbindung mit dem Wort „verheerend“ gemeldet. Deshalb sieht das Publikum wohl auch den Datenskandal („Skandal“ ist ebenfalls so ein eher inflationär kommuniziertes Wort) gelassener als die Berichterstatter. Zudem verkürzen Journalisten zu oft zu sehr. Viele Berichte tun derzeit etwa so, als ob es nur um angelsächsische Spione und willige deutsche Helfer ginge. Dabei steht unser aller enthemmter digitaler Lebensstil zur Diskussion. Und schließlich neigt die Branche zur Personalisierung, zum human touch. Deshalb kann ein kleiner Prinz von der Insel auch mal eben den großen Whistleblower von den Titelseiten drängeln.

So läuft das Geschäft und die Folgen sind mit dem Effekt von Fehlalarmen bei Feuermeldern zu vergleichen. Wenn die Sirene ein paar Mal aus Quatsch oder Versehen ausgelöst wurde, nimmt man sie im Ernstfall vielleicht nicht mehr ganz so ernst. Dann wird es gefährlich. Mir scheint das bei der Frage von Big Data der Fall zu sein. Der journalistische Alarmismus verfügt schlicht über keine Vokabeln mehr, um vor der Krise gesellschaftlicher Kommunikation angemessen zu warnen. Wobei ich anerkennen will, dass sich die Medien derzeit viel Mühe geben. Aber auch sie stecken in einer Vertrauenskrise.

Dennoch eine Ermutigung am Schluß: Zarte Hoffnung stiftet die schon erwähnte Agenda-Setting-Forschung. Wichtige Themen bleiben in aller Regel länger im Gedächtnis des Publikums als in den Schlagzeilen der Medien! Ja, das staunt der Fachmann – und der Laie wundert sich.

 

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