Ihr Hochmut blieb, auch nach dem Fall: Venedig, die „Allerdurchlauchtigste“, beansprucht weiterhin Welt-Deutungshoheit, nunmehr in Form der 56. Biennale: „All the World`s Futures„. Tatsächlich vermag die Serenissima immer noch zu beeindrucken. Zu Wasser, zu Lande, in der Luft. Analog und sogar digital. Machen wir uns doch einfach auf den Weg.
Venedig - Worum es hier geht
Wenn ich schon mal öfter da bin, warum nicht darüber schreiben? So ganz privat. In dieser Stadt sieht man andere Dinge. Und Dinge anders. Ein wunderbarer Ort für gesellschaftliche und mediale Inszenierungen.
Lesen Sie Reski!
Kriminalromane bieten eine doppelte Chance: Journalistische Geschichten unerschrocken zuspitzen und gleichzeitig die Geschichte des Journalismus ungeschminkt beschreiben. Wenn dabei auch noch Mafia und Medien kombiniert werden, dann wird es spannend: Das gefiel mir an „Palermo Connection“ von Petra Reski (Deutschland/Venedig).
Eine kleine Klick-Kritik aus Venedig
Für Venedig fing das Jahr gut an. Wenn man Tagesschau-Online glauben darf. Darf man? Bei der Meldung „Keine Giganten mehr am Markusplatz“ habe ich meine Zweifel. An der Geschichte ist etwas faul und die beigefügte Bilderstrecke parfümiert das. Sicher ohne Absicht, vielleicht auf der Suche nach dem ultimativen Klick. Für mediale Legitimation ist sowas auf Dauer tödlich. Deshalb will ich hier ein Exempel statutieren.
Canal Grande Digitale
Als Betrachter kann ich mich fragen, warum sich Alessia Rosada und Carlos Travaini diese Arbeit gemacht haben. Oder einfach nur staunen: Über die Seite „Canal Grande di Venezia“, die gerade online gegangen ist. Hier steht offenbar kein Geschäftsmodell im Vordergrund, sondern vielleicht einfach nur Leidenschaft. Also stelle ich einfach mal unproblematisiert fest: Eine prächtige virtuelle Flussfahrt entlang historischer Illustrationen, die die digitale Welt ein bisschen reicher macht.
Skandal als Dauerauftrag: Il Gazzettino aus Venedig
Untergang ist eine besondere Kunstform und nirgendwo wird sie so gut inszeniert wie in Venedig. Seit Wochen versinkt die ganze Stadt aufsehenerregend im Korruptions-Sumpf, jeden Tag ein bisschen tiefer. Stets dabei: Die Chronisten des Blattes„Il Gazzettino“, also jener Regionalzeitung, die Krimiautorin Donna Leon einmal „meine Bibel“ genannt hat. Ein globales Medienereignis im Lokalteil, solide aufgebaut auf dem Elend einer Stadt, ja eines ganzen Landes.
Venedig und die Bücher – nicht unterzukriegen
Selten war mehr Umbruch, Aufbruch, Abbruch. Die Chronik des angekündigten Todes von „Wetten dass…“ beschreibt uns wohl den Weg zur „Unterhaltung 4.0“. Gestorben wird in der Medienbranche im Wochentakt: Zeitungen, Sendungen, Hoffnungen. Wir sollten dem permanenten Untergang aber optimistisch ins Auge sehen. Das geht am besten in Venedig und am allerbesten im „Aqua Alta bookshop“. Ein skurriles Gleichnis zum Medienwandel der Zeiten.
Google Canal-View – Venedig Update
Seit heute schaut die Welt ganz anders auf diese Stadt: Google Street View öffnet uns einen gestochen scharfen Blick auf Campi und Canali, auf Riva und Rialto, auf Dogenpalast und Dogana. Ob wir nun in Bottrop oder in Bangkok vor dem Screen sitzen, wir können uns durch die Gassen der Stadt bewegen, gar zu Mausklick-Gondolieres werden. Die digitale Vermessung der Welt hat einen neuen symbolischen Punkt erreicht. Faszinierend und erschreckend zugleich – ich weiß nur noch nicht, ob es ein Höhepunkt oder ein Tiefpunkt ist.
Think positive – Goldene Zeiten
Die fetten Jahre sind vorbei. Jetzt kommen die goldenen. Wenn uns der Optimismus für das Digitalzeitalter auszugehen droht, dann hiflt immer ein Blick in die USA. Während hierzulande Sorgen vorherrschen, ruft der Wirtschaftsexperte Henry Blodget auf CNN das „Goldene Zeitalter des Journalismus“ aus. Seinen nachgeschobenen Blogpost zu lesen, lohnt sich, weil er den Aphorismus von Kurt Tucholsky bestätigt: „Alles ist richtig, auch das Gegenteil.“
Den Zeitungen mag es schlecht gehen, schreibt Blodget, Chef, des Online-Magazins Business Insider. Krisen seien immer schmerzhaft, aber dem Journalismus sei es nie besser gegangen als heute. Seine Perspektive ist dabei die des freien Unternehmers, der sich nicht an Risiken orientiert, sondern an Chancen. Auch wenn Tucholsky das vermutlich nicht so gut fände, will ich die knackigen Thesen in ein abwägendes „Sowohl als auch“ einbetten, quasi als Übersetzungshilfe aus dem Amerikanischen ins Skeptische.
„Das Venedig-Prinzip“ im Fernsehen
Kultur und Pessimismus vereinigen sich nirgendwo besser als in Venedig. Auch in der Dokumentation „Das Venedig-Prinzip“, die heute um 22.45 im Ersten (ARD) läuft, darf die Stadt wieder machen, was sie am besten kann: Untergehen. Überflutet diesmal vom Massentourismus. Wer allerdings den Satz „Früher war alles besser“ nicht mehr hören kann, sollte diesen Film lieber meiden. Für alle anderen ist er Pflicht.
Art needs you – das Medium Biennale
Venedig feiert die Kunst der Gegenwart, vor allem jedoch die Gegenwart der Kunst. Letzteres kommt mir sehr entgegen: Die 55. Biennale ist ein sinnliches, überwiegend un- digitales Erlebnis. Historische Räume, aktuell inszeniert, machen die Stadt zur Weltbühne. In den Palazzi und Giardini, im alten Arsenal der Marine oder auf den neuen Prunkgaleeren der Mäzene – überall feiern Kulturfreunde ein Fest der Kommunikation, Face to Face und Face to Art.