Ob Ukraine-Krise oder GdL-Streik, Putin oder Weselsky, keine bedeutende öffentliche Debatte mehr, die nicht irgendwann zu einer heftigen Journalisten-Schelte „im Netz“ führt. Einseitig, steuernd oder gesteuert sei die veröffentlichte Meinung hierzulande, vermuten Blogger und Kommentatoren. Sicher, ein uralter Vorwurf. Aber die digitale Verstärkungsmaschine fordert unerbittlich Rechenschaft. Also will ich mich der Frage zu stellen: Lügen wir alle wie gedruckt?
Journalismus - Worum es hier geht:
Wer sich Journalist/in nennen will, muss nichts Besonderes können, darf aber verblüffend viel tun. Die Rolle als „Gatekeeper“ an den Schleusen der Informationsgesellschaft hat den Beruf beliebt gemacht, wenn auch nicht unbedingt die, die ihn ausüben. Der Digitale Wandel verflüssigt jetzt die alten Strukturen der Medienbranche: Wird ein ganzer Berufsstand weggeschwemmt?
!? Krautreporter am Start
Heute versuche ich mich kurz zu fassen. Weil das vermutlich sowieso manchmal besser ist, aber auch wegen der Fülle an Texten, die in der Branchen-Blase zum Thema Krautreporter kursieren. So viele Medienmenschen gucken derzeit auf dieses Modell eines schwarmfinanzierten Journalismus. Vermutlich sehen wir alle darin so etwas wie eine Arche Noah, in der alle publizistischen Werte – oder die wertvollsten Publizisten – durch die aufgewühlte digitale See in die vernetzte Zukunft geschippert werden.
Gatekeeper an der Schock-Schleuse
Betrachten wir es mal zynisch: Wenn heutzutage Journalismus schon nichts bringt, dann kann er ja vielleicht wenigstens etwas verhindern. Etwa: Schock-Bilder von Geköpften und Gequälten wegfiltern. Denn über die neuen digitalen Netzwege schleusen gut gedrillte Propaganda-Kämpfer große Mengen abstoßendsten Inhalts auf unsere Time-Lines bei Facebook oder Twitter. Die neue Blut-Flut schürt eine überraschende Sehnsucht nach einem journalistischen Rollenmodell alter Schule: Schleusenwärter (Gatekeeper).
Carta – Aufbruch, Umbruch, Abbruch
Die digitale Revolution hat offenbar einen besonderen Appetit: Metaphorisch betrachtet, frisst sie nicht ihre Kinder, sondern eher ihre Mütter und Väter. Vera Bunse und Wolfgang Michal bildeten bis vor kurzem die erfahrene Redaktion des renommierten Debatten-Portals Carta.info. Nach ihrem Abschied im Streit bleibt der Eindruck: Journalismus „alter Schule“ hat erhebliche Schwierigkeiten, sich der neuen Medienwelt anzupassen. Ob nun bei Carta, beim Spiegel oder sonstwo.
Zum Beispiel Ritterhude. Eine Nachrichtenexplosion
Da sitzt du auf dem heimischen Sofa, siehst fern und hörst plötzlich einen dumpfem Knall, der nicht vom Krimi stammt. Gehst auf den Second Screen. Wirst im Netz fündig: In Ritterhude ist eine Industrieanlage explodiert. Journalismus just in Time-Line. Informativ und irritierend zugleich für mich ehemaligen Regionalreporter. Eine Homestory.
Jung zu naiv?
Ungewöhnlich – Ein Journalist, der bewusst ganz nah herangeht, distanziert sich auf einmal. Grimme-Online-Preisträger Tilo Jung wendet sich per Blogpost von seinem Interviewgast bei „Jung & Naiv“, Martin Lejeune, ab. Weil der die Hamas auch dann noch sehr gut versteht, wenn sie mutmaßliche Kollaborateure hinrichtet. Reift oder scheitert da gerade ein Stück Journalismus neuer Generation?
Digitale Zivilcourage
Wir müssen reden. Übers Reden. Vielmehr: schreiben übers Schreiben. Mindestens dieses eine Mal noch. Denn die Aggression in der Kommunikation gehört derzeit zu den wichtigsten Themen des digitalen Wandels. In dieser Woche haben die Blogger Dirk von Gehlen und Jeff Jarvis mediale „Streitkultur“ eindringlich thematisiert. Das Problem drängt und die Lösung sind wir alle.
Geteilter Journalismus in Kriegszeiten
Kriegssommer 2014. Ein Medienereignis? Klar, ein Medienereignis! Gaza, Ost-Ukraine, Syrien, Libyen. Konflikte durchdringen die Wohlstands-Außengrenzen unserer Wahrnehmung immer wuchtiger, professionell und privat. Das hängt auch mit dem zusammen, was ich hier als „geteilten Journalismus“ beschreiben will. [Weiterlesen…]
Digitale Türsteher
Dem Hass keine Chance! Oder wenigstens nicht mehr so viel Platz. Stefan Plöchinger, Mitglied der SZ-Chefredaktion und eine der Leitfiguren im deutschen Online-Journalismus, will die Kommentarkultur im Netz neu denken, auch durch Jagd auf Trolle, die Haßprediger des Webs. Das ist verdienstvoll. Und gleichzeitig heikel. Weil so ein Vorhaben Sand in das Getriebe der Illusionsmaschine Internet streut.
Skandal als Dauerauftrag: Il Gazzettino aus Venedig
Untergang ist eine besondere Kunstform und nirgendwo wird sie so gut inszeniert wie in Venedig. Seit Wochen versinkt die ganze Stadt aufsehenerregend im Korruptions-Sumpf, jeden Tag ein bisschen tiefer. Stets dabei: Die Chronisten des Blattes„Il Gazzettino“, also jener Regionalzeitung, die Krimiautorin Donna Leon einmal „meine Bibel“ genannt hat. Ein globales Medienereignis im Lokalteil, solide aufgebaut auf dem Elend einer Stadt, ja eines ganzen Landes.