Capodanno – nebulöse Gedanken

Venedig: Blick in die Zukunft.

Venedig: Blick in die Zukunft.

2015. 2016. Wie war`s? Wie wird`s? Der Jahreswechsel heißt auf italienisch Capodanno. Das „Haupt des Jahres“ erhebt gleichsam den Blick – zurück und nach vorn. Ein winterlich-nebliges Venedig eröffnet zudem die beste Perspektive für ein paar grundsätzliche Gedanken. Zum Medienwandel. Und überhaupt.

Damit es ein bisschen Struktur gibt für meinen prognostischen Post, orientiere ich mich nun an den Kategorien dieses Blogs.

Weltbühne Venedig: All the worlds futures!

Klimawandel, Politikverdrossenheit, Terrorangst und Flüchtlingselend – das alles liegt hier unterm Brennglas: Gelegen in einem fragilen Biotop, gefährdet sowohl durch den steigenden Meeresspiegel als auch durch den Versuch, ihn mittels eines Riesensperrwerks (M.O.S.E) abzuwehren. Überflutet durch Menschenmassen und gleichzeitig entvölkert von Einheimischen. Venedig eben.

Wenn die Stadt regiert wird, dann kommt es oft zu Unregelmäßigkeiten. Wird die Korruption einmal aufgedeckt, ist das Gemeinwesen gleich unregierbar. Die Serenissima ist ein potenzielles Anschlagsziel und ein problematischer Schmelztiegel. Sehnsuchtsort der mobilen Kulturschickeria und der ambulanten Taschenverkäufer.

Lang ist also die Sorgenliste. Dennoch bleibt Venedig der Ort, an dem Zukunft gestaltet wird, in einem Trotzdem-Modus. Jedenfalls zur Biennale, zumal unter dem Motto: All the world`s futures. Diese Zukünfte (Rechtschreibkorrektur ignorieren) bestehen eben in einem großen Neben- und Durcheinander. Unübersichtlich. Unbegreiflich.

Etwas für Paradoxie-Profis. Aber das sind wir ja eigenlich alle. Vor allem wir Medienschaffenden. Sowohl im Sinne von „in den Medien schaffen“ als auch von „Medien erschaffen“. Wandel ohne Widersprüche ist nicht zu haben. Erst recht nicht ohne (Ziel-) Konflikte, wie sich immer deutlicher zeigt in Zeiten globalen Umbruchs.

Auftrag der Medien: Die Macht ist erwacht!

Genauer gesagt: Machtkampf ist offen ausgebrochen. Aus der netten Bitte um Aufmerksamkeit wurde durch die digitale Kommunikationsexplosion zunächst ein krampfhaftes Ringen, dann ein bitterer Kampf. Nun würde ich es schon einen Krieg nennen. Nicht nur, wenn der so genannte IS twittert. Um jedes große politische Thema entbrennt sofort ein Systemkonflikt. Gut gegen Böse, meist in der Fassung alt gegen neu(e Medien).

Wobei „neu“ sehr relativ ist. Sender und Verlage heißen jetzt zwar Plattformen – ansonsten bleibt es aber beim alten Monopol(y)-Spiel, nur eben mit teilweise anderen Playern. Scheinbare, webgestützte Basisdemokratie ist wohl doch nicht die Basis der Demokratie. Die wachsenede technische Transparenz legt Probleme aber immerhin offen. Nur lösen kann sie sie nicht.

Also erst die gute Nachricht: Das Internet ist nicht das Problem. Die schlechte: Das Internet ist auch nicht die Lösung. Letztere besteht einzig  in unserer kollektiven Fähigkeit, all die neuen Möglichkeiten auf menschliches Maß zu reduzieren.

Change Management: Die Ohnmacht ist erwacht!

Der erste Schritt wäre es, sich die Ursachen des Gefühls allgemeiner Überforderung bewusst zu machen: Das Zuviel an überzogenen Erwartungen und das Zuwenig an haltbaren Versprechungen. Eckige Kreise kann auch der 3-D-Drucker nicht. Geht es in unserer Zahlen fixierten Welt vielleicht doch eine Nummer kleiner? Einen Tick langsamer? Eine Spur bescheidener?

Noch allerdings gelten Nicht-Digitale tendenziell als untervorsorgt oder gar minderbemittelt. Die Zeichen stehen allgemein auf Fortschritt durch Voll-Vernetzung: Aus dem Ziel, die Daten der Bürger zu schützen, dürfte insofern sogar bald der Versuch werden, die Daten vor den Bürgern zu schützen.

Denn wirkt die Formulierung auch unschuldig, im Grunde hat sie es faustdicke: „Wir müssen über den Begriff Privatsphäre diskutieren.“ Gemeint ist: Die bisherige Auffassung hat sich erledigt, denn wer die Segnungen der vernetzten Zukunft genießen will, der muss sich öffnen. Und alle anderen übrigens auch, sonst funktioniert digital social einfach nicht gut.

Ein geradezu totalitärer Anspruch: „Du bist nix, das Netz ist alles“.

Journalistische Perspektive: Rette sich wer kann!

Die unkalkulierbare „fünfte Gewalt“ der digital Mächtigen bringt alle vier alten Gewalten tüchtig ins Wanken. Gerade die vierte, die „journalistische“, ringt verzweifelt um Vertrauen. Daran hängen gesellschaftliche Werte und wirtschaftliche Wertschöpfung. Aber die Publikums-Beziehung erscheint mindestens gestört, fast schon zerrüttet.

Mit ein bisschen Social Media ist da kaum gegen zu steuern. Disruption in der Medienbranche, das erscheint mir eine ziemlich seltsame Mischung aus Zerstörungswut und Ratlosigkeit. Das sicherste mediale Geschäftsmodell ist derzeit  wohl noch das Modellerien medialer Geschäftsmodelle. Sämtlich sind das Operationen am offenen Erbe der nachfolgenden Journalisten-Generation.

Generationen: Die nächste bitte!

Überhaupt scheint mir das Thema Generation scheint fast  überreif. Weil die Angehörigen der Baby Boomer-Geburts-Kohorten zunehmend an ihrer Autobiografie herum denken, so wie man das automatisch macht, wenn man in die Jahre kommt. Und dabei die nachfolgenden Generationen erwartungsvoll und ängstlich bestaunen. Die wiederum auch nicht so genau wissen, was sie wollen. Oder sollen.

Eine Nachfolge-Regelung ist jedenfalls nicht in Sicht. Wir sind auf dem abenteuerlichen Weg in eine multikulturelle Mehr-Generationen-Gesellschaft. So viel steht fest. Beziehungsweise so wenig.

An und für sich – schaffen wir das schon!

Angela Merkels Neuauflage des Coaching-Klassikers „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.“ wird erst Recht das Motto des gerade begonnen Jahres sein. Eine illusorische Setzung und gerade deshalb realistisch. Richtlinienkompetenz in einer Behauptungskultur. Weil keiner die Zukunft kennt, reicht es zu wissen, dass es eine gibt.

Daran zu glauben fällt in Venedig übrigens besonders leicht.

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