Weihnachts-Post: Eine kleine Blog-Bilanz

Beim Herantasten (Quelle: EFF; CC-BY.3.0)

Beim Herantasten (Quelle: EFF; CC-BY.3.0)

Jetzt wird es selbst-referenziell. Vor einem halben Jahr habe ich das Bloggen begonnen, alt und naiv und keine Minute zu früh. Im Jahr des Snowdon, des Neulands und der höchsten Anzahl von Journalismus-Debatten seit Erfindung des Faustkeils. Gerade rechtzeitig beginne ich mich zu  digitalisieren und finde es im Prinzip gut so. Erste Eindrücke und Abgründe diese Prozesses möchte ich nun meiner erlesenen Leserschaft zum Weihnachtsgeschenk machen.

Weltbühne Weblog: Mein langer Weg zur Rampensau

Bloggen ist zuerst einmal ein exhibitionistisches Format. Und nein, so etwas liegt mir eigentlich nicht. Sollte ich meine Wesensart beschreiben, würde mit Sicherheit der Ausdruck „zurückhaltend“ dabei vorkommen. In vergangenen Zeiten galt dies durchaus als respektabler Charakterzug, selbst bei Journalisten. Heute aber wird Zurückhaltung im schlechtesten Fall für Intransparenz gehalten und bestenfalls für unmodern. Mediale Selbstvermarktung bedeutet, Wissen und Wesen öffentlich (mit) zu teilen.

Es gibt noch Ziele im digitalen Leben : Sich-kurz-fassen zum Beispiel

Verführerisch – so viel gäbe es zu sagen und auf einmal ist unendlich Platz da. Also nix wie drauflos schreiben. Wer allerdings das große Los in der Aufmerksamkeitslotterie ziehen will, sollte sich das noch mal überlegen. Bildgestützte Schlagwortfeuerwerker wie „Upworthy“ erreichten ihren Erfolg durch geradezu obszöne Prägnanz. Dem muss man nicht folgen. König ist schließlich der Inhalt. Vor ein paar Jahren raunte mir ein Professer der Volkswirtschaft einmal zu, wie Zwang zur Kürze die Sitten verrohen ließen: „Wie soll ich denn auf nur zwanzig Seiten einen Gedanken vernünftig ausführen?“ Recht hat er. Oder? Was? Wie?

SEO und so: Geht alles von meiner Zeit ab

Andererseits wären ein paar Nutzer doch ganz schön. Das offene Internet wird gern – auch von mir – mit einem Meer verglichen. Meine Beiträge wären dann bestenfalls homöopathische Tropfen, die natürlich gleichwohl die Medienwelt genesen ließen. Damit mein wertvolles Werk nicht in den digitalen Weiten verloren geht, muss ich mich den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie unterziehen. Zuförderst der Suchmaschinen-Optimierung, die wiederum ihrerseits eine Menge Aufmerksamkeit erfordert. Beziehungsweise in meinem Fall noch erfordern würde.

Der eigentliche Drive kommt ohnehin erst in die Veranstaltung, je mehr ich den Schlachtruf „Go viral““ beachte. Zusammen mit den Finessen der SEO erfordert Social Media-Begleitung aber vor allem eine Menge Aufwand. Mir kommt es ein bisschen wie Simultan–Blitz-Schach vor (Glaube keiner, ich wüßte, wovon ich rede, aber ich finde den Vergleich reizvoll). Offen gestanden, ringe ich noch um das richtige Verhältnis bei der Frage, wohin mit meiner Zeit: Eher Richtung Content oder Vermarktung?

Mit schlechtem Gewissen und Cookies stalke ich meine Leser

Bitte folgen Sie mir! So in etwa lautet ja auch mein unausgesprochener Appell. Denn schließlich stehen wir alle mehr denn je in einem Wettbewerb der Eigenmarken. Mindestens intellektuell, meistens zudem kommerziell. Also muss irgendein Klick her, ein weiterverwertbares, mathematisierbares Bekenntnis zum Produkt und zum Produzenten. Wenn der eigene Blog zum Kult werden soll, dann braucht es Jünger, heute „Follower“ genannt. Das neue Netz der Menschenfischer kann die Maschen beliebig eng ziehen. Social Monitoring und Google Analytics und Co. zeigen dem Blogger das Ergebnis. Auch mir und werweißwemnoch.

Es herrscht kaum Kommentar-Kultur in meinem Cyberspace

Mit dem Beifang – im Internet „Trolle“ genannt – hatte ich übrigens bisher wenig Probleme. Was jetzt kein Aufruf sein sollte und auch kein gutes Zeichen sein muss. Eher ein Indiz dafür, dass mein Angebot noch jung und die Kommentar-Neigung überhaupt ein wenig rückläufig zu sein scheint. Wer etwas sagen will, betreibt heutzutage eher seinen eigenen Blog. Mittlerweile wird mehr nebeneinander her kommuniziert als miteinander. „Analog ist Dokument“, „Digital ist Dialog“, sagt dagegen beispielsweise Social-Media-Experte Dirk von Gehlen. Na ja …

Mein neues Verhältnis zu Raum und Zeit

Insgesamt beschert uns diese ach so timetablehafte Moderne ein gewisses Zeitproblem. Gerade durch die Behauptung von Effizienz. Weil es angeblich möglich ist, muss alles sofort sein. Die Entdeckung der eigenen Langsamkeit schmerzt mich daher besonders. Und Live-Bloggern gehört inzwischen meine aufrichtige Bewunderung. Ein moderner Publizist mag ziemlich unabhängig sein, „zeitsouverän“  ist er auf keinen Fall. Erbarmungslos reisst mich der Strudel formalisierter Formatierungs-Technik nieder. Das mag ein Einzelschicksal sein. Glaube ich aber nicht.

Die flexible Orts-Selbstbestimmtheit gleicht das ein bisschen aus. Seit es Google Street View auch für Venedig gibt, kann ich mir wenigstens zwischendurch mal in meiner Lieblingsstadt die Augen vertreten.

Oft vermisse ich das redaktionelle  „Vier-Augen-Prinzip“

Anderes lässt sich nicht so einfach ersetzen. Es war immer in gewisser Weise angenehmer, Teil einer redaktionellen Organisation zu sein, bei der sich nicht jeder um alles kümmern musste. Um das Korrekturlesen zum Beispiel, also darum, richtig zu schreiben und das Richtige zu schreiben. Auch wenn derzeit der Trend im journalistischen Gewerbe aktuell zum Einzelkämpfertum neigt. So geht es eben genau nicht. Qualität kommt auch von der wechselseitigen Qual. Wie sehen die neuen Teamarbeits-Modelle aus.? Wie sind sie gerahmt? Wie werden sie bezahlt? Wir werden erleben, dass sich Medienbetriebe unter den Bedingungen des Digitalen neu formieren. Und sie werden bald die altbekannten Probleme haben. Spannende, verunsichernde Zeiten. Noch viele offene Fragen.

Ausgangspunkt Alter bleibt eine sinnvolle Perspektive

Seinen Blog mit der Anspielung aufs Lebensalter zu branden, war gewagt. Ist gewagt, klar. Nicht nur, weil bei jedem Geburtstag eine neue Version erwartet werden könnte. Auch weil unsere Gesellschaft so viel lieber zeitlos wäre. Nach dem Motto „60 ist das neue 40“ oder „Forever Young“. Mag alles sein, aber machen wir uns nicht vor: Die Auseinandersetzung um die Medienordnung der Dinge trägt auch die üblichen Züge eines Generationenkonfliktes. Das ewige Wechselspiel von Tradition und Erneuerung lohnt deshalb weiterhin einen gezielten Blick.

Außerdem macht Bloggen Spaß

Stets bleibt noch so ein Hauch von Abenteuer, von Unberechenbarkeit. Ob es nun die Entdeckung von Parallelöffentlichkeiten bei der Recherche ist oder ein ertragreicher Dialog mit Wildfremden. Andererseits schrumpft bei näherer Betrachtung der Mythos Internet doch erheblich. Mir begegenet in etwa so viel Schwarmintelligenz wie Schwarminkontinenz. Da helfen ein paar journalistische Kriterien aus dem letzten Jahrtausend gut weiter. Beispielsweise die Frage: Cui bono? Wer behauptet da eigentlich was aus welchem Interesse heraus?

In die Zukunfts geschaut: Gerade 2014 verspricht ein interessantes Jahr für den Mediendiskurs zu werden. Jetzt, wo das digitale Thema einen höheren Stellenwert bekommen hat. Langsam, aber erkennbar. Deshalb freue ich mich auf die Fortsetzung meiner offenen (Selbst-)Beobachtung. Wenn Sie mir bitte folgen wollen!

 

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