Eine Woche nach Erscheinen der SPIEGEL-Story „2020 – Zeitungssterben“ gibt es gerade medienbranchenintern eine Debatte über die Debatte. Eitel, vorhersehbar und oft lösungsfrei seien viele Beiträge gewesen. Mir dagegen erscheint die bisherige Diskussion zu gehaltvoll, um Zicken-Alarm auszulösen. Könnte ich ja auch gar nicht. Mein Alternativ-Angebot: Als (Zwischen-) Bilanz auf ein paar blinde Flecken aufmerksam machen. Aspekte also, die unterbelichtet werden, vielleicht weil sie so offenkundig sind.
Rechthaberei dient der Selbstvermarktung
So gut wie jeder Alphakommunikator (beiderlei Geschlechtes natürlich) behauptet, den digitalen Durchblick zu haben, die Schuldigen zu kennen und die Zukunft zu können. Dabei ist die Entwicklung vor allem eines: unwägbar. Dieses Eingeständnis kommt immer noch viel zu kurz. Wäre für manche auch geschäftsschädigend. Profilieren sich doch in der SPIEGEL-Debatte insbesondere Journalisten, Manager oder Medienberater. Alles keine Berufe, in denen Selbstzweifel als Tugend gelten.
Um die Medien tobt ein Machtkampf
Die Eingänge zu den Tempeln der Deutungshoheit werden auch deshalb so eifersüchtig bewacht, weil es um Herrschaft geht. Content is King, Technology is King Kong, Economy is God. Deshalb wird der Kauf der Washington Post durch den Amazon-Gründer Jeff Bezos so aufgeregt verfolgt. Der Mann vereinigt in sich jetzt alle Potenziale moderner Macht. An solchen Figuren richten sich Kräfte des Marktes neu aus. Manche beginnen, auf sie zu hoffen, andere sich zu ängstigen.
Ein Generationskonflikt kommt auf den Punkt
Das 21. Jahrhundert ist multimedial wirklich ein anderer Schnack, wie wir an der Küste sagen. Und wer versteht das besser als jene, die mit all den digitalen Segnungen wie selbstverständlich groß geworden sind. Sehr groß teilweise. Zu groß jedenfalls, um den Altvorderen, etwa aus der Babyboomer-Generation, länger beim Besitzstandwahren zu gucken zu wollen. Zu den aufschlussreichsten Aussagen gehört für mich ein Post von „nerdbench“ zur „Generation Kostenlos“: „Paywall – wird weggeklickt“.
Die Avantgarde läuft dem Volk schnell davon
Keine Altersfrage – beim Diskurs von Alphajournalisten mit dem Aktiven Netzpublikum bleibt zunächst eine Elite unter sich. Höchster Qualitätsjournalismus, trendigste Innovation, radikale Revolution – drunter läuft kaum etwas, wenn es um die Perspektive der Medien geht. So muss es auch sein, an der Spitze der Bewegung in die Zukunft. Nachhaltige Entwicklung fragt allerdings auch nach dem Betajournalismus, z.B. im Regionalen, und nach dem Mainstream-Publikum mit seinen Bedürfnissen, die nicht immer interaktiv sind. Denn es geht nicht nur um die Perspektive der Intelligenzblätter, unter anderem, weil man sich um die am wenigsten Sorgen machen muss
Öffentlichkeit muss erst wieder hergestellt werden
Sorgenkind Nummer eins bleibt für mich die Kernfunktion der Medien für die Gesellschaft: Öffentlichkeit herstellen. Diskussion und Integration ermöglichen durch das Selbstgespräch der Gesellschaft. Klingt so einfach, wo wir doch jetzt das scheinbar volksdemokratische WWW haben. Noch aber scheint nicht absehbar, wo das Publikum im Netz wieder zusammenfindet, wenn die alten Massenmedien ausgedient haben. Das „Lagerfeuer“, an dem sich die Nation Jahrzehnte lang versammelt hat, geht wohl langsam aus. Es muss also neu entfacht werden.
Der digitale Lebensstil birgt Risiken und Nebenwirkungen
Online regelt nicht alles von alleine und wir sollten das Netz nicht sich selbst überlassen, wie ja auch die Botschaften des PRISM-Skandals letztlich lehren. Wir müssen weiter die ungelösten Fragen unseres digitalen Lebensstils aushalten und den mühsamen Weg der Antwort-Suche gehen.
Das läuft erstmals auf jenes riesige „Gelaber“ hinaus, das einige Blogger heute kritisiert haben. Nützt nix, meine ich. Wir müssen (weiter) reden. War bisher schon viel Schönes dabei.
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