Baller Balla – Mein Ego-Shooter und ich

Journalisten im Visier (Screenshot Sniper 3D Assassin)

Journalisten im Visier (Screenshot Sniper 3D Assassin)

Neugier ist eine Ur-Eigenschaft im Journalismus. Aber sie kann tödlich enden, im Leben wie im Netz. Das habe ich gerade beim Ego-Shooting erlebt. Als Täter. Und so einiges über den Ruf meines Berufes gelernt.

Tl; dr – kurzgefasst: Wie sieht der Kampf gegen das Verbrechen in populären Ego Shooter-Spielen aus? Beim Sniper 3D Assassin so: Gefangene brechen aus – erschießen! Mann klaut Rucksack – erschießen! Journalist beschafft sich Geheimdokumente – erschießen! Selbstversuch zum Ruf des eigenen Berufes.

Dabei wollte ich eigentlich ich doch nur spielen. Oder besser: mich ablenken von all der theoriegeleiteten Empirie meines Forschungsprojektes. Also ab zur App und im Google Play Store die empfohlenen kostenlosen Games gesichtet.

Treffer! „Sniper 3D Assassin“: „Fight the global war of crime.“ Mit ruhiger Hand darf ich da gefahrlos Missionen im Kampf gegen das Verbrechen erfüllen, direkt vom Sessel aus. Die Optik des Zielfernrohrs eröffnet eine geradezu voyeuristische Perspektive in die Abgründe der Hochhauslandschaften.

Es scheint in jeder Hinsicht das ideale Spiel für alte, weiße Männer.

 

First Person Shooter. Immerhin gelistet in den Top 100, millionenfach im Einsatz, als „gut“ bewertet von Fachportalen ebenso wie von Kunden; außerdem kostenlos. OK, empfohlen wird es erst für Nutzer ab 18 Jahren, laut Unterhaltungssoftware Kontrolle. Denn es fließt reichlich Pixel-Blut.

Dennoch vermute ich, dass die digitalaffine Jugend das Spiel als allererstes rauf und runter gezockt hat. Dann also los, Alter! Oder wie der Sniper 3D Assassin aus ausdrückt: „TÖTE SIE ALLE“

Ich gebe mein Bestes, lerne ruhig zielen, skrupellos abdrücken und erlebe, wie die Kugeln nur so einschlagen. Splash! Das ist irgendwie … befriedigend. Aber immer auf die Geiseln achten und nur nicht von den Schreckensrufen der Passanten irritieren lassen! Zur Sicherheit habe ich einen virtuellen Coach an der Seite, der mir manchmal Tipps gibt; meistens aber empfiehlt er, im Shop ein bisschen Zusatz-Schnickschnack zu kaufen: Bessere Knarren, Überlebenspakete.

Ab und an wundere ich nun mich schon über die Aufgabenstellungen: Da klaut ein Gauner einem Touristen den Rucksack, flieht damit, und ich soll ihn dafür erschießen? Mache ich glatt, ist ja nur ein Spiel. Manchmal muss man die Rechtslage eben etwas dehnen! Das kennen wir aus analogen TV-Krimis, wenn die Kommissare mal fünfe gerade sein lassen. Beim Verhören beispielsweise. Mit Rechtsprinzipien wie der Unschuldsvermutung gehen auch Journalisten/innen manchmal eher sniperhaft um. Im Dienst der guten Sache, versteht sich.

Ungefähr auf Level fünf kommt mir dann aber doch der heuchlerische Pragmatismus abhanden. Da fühle zur Abwechslung mal ich mich getroffen. Das liegt an der Aufgabenstellung:

Eilmeldung! Töte den Empfänger des Aktenkoffers. Ein Journalist hat einen Polizisten bestochen und wird einen Aktenkoffer vom Polizisten entgegennehmen. Der Aktenkoffer ist voller geheimer Dokumente. Verhilf ihm auf andere Weise zu Berühmtheit.

Bestechung? Hm. Könnten natürlich auch Recherche-Auslagen sein. Für einen Whistleblower, der einen internen Skandal  an die Öffentlichkeit bringen will. Nun gut: „Mission starten“ –  Aus Neugier auf das Folgende erledige ich den Job. Dafür werde ich gelobt. Und mein Auftraggeber freut sich über „die Titelstory“.

 

Mission accomplished (Screenshot Sniper 3D Assassin)

Mission accomplished (Screenshot Sniper 3D Assassin)

Hier hört der Spaß für mich abrupt auf. Angehörige von exekutierten Reportern in Mexiko oder der Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta würden das kaum witzig finden. „Reporter ohne Grenzen“ genauso. Feindbild Journalismus.

Allerdings bin ich im Nebenberuf Heuchler. Genauso abwegig war es schließlich, Rucksackdiebe auf dem Smartphone umzunieten. Oder entlaufene Häftlinge. Aber irgendwie nimmt man(n) diese ganzen Geschichten mittlerweile einfach hin. Verroht trifft es vielleicht nicht. Eher: zynische Distanz oder Empathie-Störung.

Ich will meine Erfahrung auch hier nicht übertreiben. Man(n) muss nicht solchen Quatsch downloaden. Und wer weiß wirklich, wie er wirkt?

Über die tatsächliche Wirkung von First-Person Shootern auf das Verhalten der Spieler in der realen Welt gibt es viele Studien. Mit recht differenzierten Ergebnissen. Ein linearer Zusammenhang zwischen Gewalt-Games und realem (=wirksamen) Verhalten ist so einfach nicht zu belegen.

Mittelbar gibt es aber schon Effekte, wie bei allem Medienhandeln. Ekel wäre eine Möglichkeit, Lust eine andere und Gleichgültigkeit vielleicht die Gefährlichste. Weil wir unbewusst dann doch bedenkliche Stereotypen und Erzählungen verinnerlichen. In diesem konkreten Fall: Lynch-Justiz ist legitim und Reporter gehören zum Feindbild beim Kampf gegen crime.

Wenn es um den öffentlichen, vor allem: politischen Raum geht, führen wir ja in der sogenannten Medienbranchen- „Filterblase“ feinsinnige Debatten: Um Framing oder die Grenzen des Sagbaren etwa. Vergreift sich Spiegel Online im Ton? Gibt Plasberg den Falschen das Wort? Bekommen die Social Media-Redakteure ihre Kommentarspalten nicht in den Griff? So viele Baustellen gegen die Aggressionsschübe beim öffentlichen Diskurs im Netz, klar.

Allerdings gibt durchaus interessierte Debatten über digitale Spiele. Zum Beispiel um die Nazi-Symbolik inWolfenstein 2“, die politisch per Software korrigiert wurde. Fragestellung: Ist das Spiel Kunst oder können die Hakenkreuze weg? Anhänger argumentieren, dass Wolfenstein 2 ein, wenn auch waffenstarrendes Antikriegsspiel sei. Denn es flösse ja das Blut der Richtigen.

Aber selbst, wenn wir die Debatte um hochproblematische Spiel-Plots wie das Reporter-Killen auf Sniper 3-D Assassin zu Ende geführt haben – wer erzählt den Produzenten bei der TFG in Südamerika vom Ergebnis? Oder hat sich Opa Hansen bei dem ganzen Thema sowieso nur digital verlaufen?

Rhetorische Fragen. Ratlose Fragen. Ich übergebe nun den Fall an die Medienkompetenz-Vordenker. Und wende ich mich wieder der Wissenschaft zu. Ist weniger gefährlich, aber vom Level her auch nicht ohne Spannung.

 

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