Zukunft ist Aussichtssache. Üblicherweise wird Medienentwicklung von der Zukunft her betrachtet, ab 4.0 aufwärts. Gerade hat die Historische Kommission der ARD umgekehrt einen Blick aus dem Gestern auf die Gegenwart riskiert. Dabei zeigte sich öffentlich-rechtliches Establishment andächtig und einsichtig.
UPDATE – besser gesagt: „Tagesaktuelles Vorwort“. Schon während ich das unten Folgende schrieb, sorgte die ARD-Spitze für Schlagzeilen, die dem positiven Spin meines Beitrages diametral entgegenlaufen. Die Verantwortlichen konnten sich nicht zur Parteinahme für Deniz Yücel durchringen.
Das ist gemein, gerade weil sich die Öffentlich-rechtlichen hier nicht mit einer guten Sache gemein machen wollten. Falsch. Kurzsichtig. Leider hat das auch ein bisschen System. Jedenfalls zeigt sich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ethisch störanfällig ist. Es gibt wahrlich viel zu tun. Wie immer.
Dennoch soll mein Text über das Symposium der Historischen Kommission der ARD gezielt vom Tagesgeschehen ablenken. Was der Blick in die Vergangenheit nämlich lehrt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist und bleibt ein LÖSUNGSMODELL. Er ist nicht das PROBLEM!
Was fehlt also? Eine Form, vor allem: ein Forum für die lösungsorientierte Debatte um gesellschaftliche Kommunikation, jenseits aktueller Störfälle und Personalstreitigkeiten. Dieser Dialog Medium-Publikum kommt schwer in Gang, denn er ist aufwändig. Die ARD muss dazu noch über sich hinauswachsen. Aber ihr Angebot bedarf eben auch der Annahme durch die Nutzer/innen.
Über kurz oder lang steht wohl ein sehr genereller Review-Prozess für das gesamte System an. Mehr als ein 3-Stufen-Test, eher so etwas wie die Royal-Charter-Diskussionen über die BBC. Dabei muss es um Sinn gehen, nicht so sehr ums Geld. Für die Nachhaltigkeit scheint eine 10-Jahres-Pespektive (s.u.) plausibel.
Aber, wie gesagt, die Entscheidung gegen eine Solidarisierung mit Deniz Yücel war hinreichend hasenfüßig. Leider.
Szenen des Aufbruchs an Basis und Spitze: Im Foyer der MDR-Zentrale in Leipzig pinnen Mitarbeiter/innen Ihre Verbesserungsvorschläge an Stellwände, während 13 Etagen darüber Top-Verantwortliche die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems verhandeln. Leitfrage: „Wem gehört der Rundfunk?“
Das Symposium der Historischen Kommission der ARD am 4./5. Mai 2017 kam als Kollateral-Event der Mitteldeutschen Medientage daher. Damit nehmen die Organisatoren ein reizvolle alternative Perspektive ein: Wo Veranstaltungen wie die Medientage oder die re:publica – üblicherweise digital vernetzte Zukunft state-of-the-art vergegenwärtigen („Produkte, Analysen, Strategien“), geht es der Historischen Kommission um die Aktualisierung des publizistischen Auftrags durch Rekonstruktion der Vergangenheit.
Dieser gestalterische Ehrgeiz der altehrwürdigen ARD-Kommission (der auch das Deutschlandradio angehören sowie das ZDF, als Gast) kommt nicht von ungefähr: Ihr Vorsitzender, Heinz Glässgen, wäre wohl nicht ganz der Typ, um lediglich eine ordentliche Archivablage für die öffentlich-rechtliche Historie zu betreuen. So ein Urteil kann ich mir als langjähriger Mitarbeiter des ehemaligen Radio Bremen-Intendanten vielleicht erlauben.
(Überhaupt sollte ich hier kurz offenbaren, dass ich im ARD-System tief sozialisiert wurde und ich mir in verschiedenen Funktionen so eine Art gehobene Froschperspektive erarbeitet habe.)
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – ein volkseigner Betrieb
Aber zurück in den 13. Stock und zu der demokratietheoretisch wichtigen Frage, wem der öffentlich-rechtliche Rundfunk hierzulande denn gehört. Für Werner Hahn, den ehemaligen Justiziar des NDR, bedeutete die Themenstellung allerdings fast eine Unterforderung. Ganz leicht sei die Antwort:
Der Rundfunk gehört den Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland.
Im Zentrum dieses Systems, das einige Siegermächte einst den propagandistisch vernagelten Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgedrängt hatten, stehe damit die „Gemeinwohlorientierung“. Das große kommunikative Ganze. So weit, so konsensfähig und allgemein. Nur: Was bedeutet gesellschaftliche Teilhabe und Kontrolle denn heute konkret für diesen Milliarden schweren „volkseigenen Betrieb“ (Thomas Kleist, Intendant Saarländischer Rundfunk)?
Rede und Antwort standen beim Symposium in Leipzig sämtlich Menschen, die einiges zu sagen haben im System: Die federführende Intendantin des Senderverbundes, Karola Wille, zum Beispiel. Oder der amtierende Chef der Gremienvorsitzenden-Konferenz, Steffen Flath, also der Ober-Kontrolleur. Dazu Verwaltungsräte, Hochschulprofessoren, Institutsdirektorinnen, eine Edelfeder und sogar ein Ministerpräsident. Hut ab vor dem Line-Up.
Der aufschlussreiche Input kann hier gut abgerufen werden. Wirklich sehr zu empfehlen. Sei es, um Vorurteile abzubauen oder um welche zu festigen. Ich will mich auf das beschränken, was mir aufgefallen ist, nach ein paar Jahren Abstand von der Szene und mit einem Blick von halb schräg außen. Zunächst einmal vier Eindrücke vom Establishment des Öffentlich-rechtlichen.
Erster Eindruck: Sie meinen es ernst
Mit der Rückbesinnung auf die publizistischen Grundwerte, mit der Professionalisierung der Aufsichts-Gremien und mit der Öffnung für Publikums-Beteiligung. Manchmal kann die ARD auch anders, nämlich ziemlich behäbig-beharrlich sein. Das öffentlich-rechtliche Schiff bewegt sich zwar immer noch wie ein Flugzeugträger. Aber es scheint gemeinsame Vorstellungen über den Kurs Zukunft zu geben.
Zweiter Eindruck: Sie können sich infrage stellen
Abwehrreflexe gegen kritische Beobachtungen werden seltener. Zynismus ist fast out. Denn schließlich richtet sich die ernst zu nehmende Kritik an den Öffentlich-rechtlichen ja nicht gegen das Ideal, sondern die Realität (Markus Behmer/ Universität Bamberg). Und da müssen sich die Verantwortlichen von den geladenen Externen auch einiges sagen lassen:
Verbessert das Handwerk! (Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen) Auch unter Zeitdruck einmal ein Gerücht prüfen, bevor man es verbreitet.
Ermöglicht Teilhabe und professionalisiert die Gremienarbeit! (Wolfgang Schulz, Hans-Bredow-Institut) Ein Medienkompetenz-Zentrum könnte das leisten. Und eine Fortbildungsakademie für Räte.
Macht unbeirrt von Moden Euren soliden Job! (Nils Minkmar, Der Spiegel) Gute Information findet ihren Weg in die Öffentlichkeit, auch auf Umwegen und ohne Anbiederei.
Dritter Eindruck: Sie rücken zusammen
Die Rundfunkanstalten, ihre Aufsichtsgremien und die Politik verbindet die demokratische Systemrelevanz: Eine „Riesenverantwortung“ (Barbara Stamm, BR-Verwaltungsratsvorsitzende). Mittlerweile reicht der politische Konsens zur Bedeutung der Öffentlich-rechtlichen vom linken Ramelow bis zum christsozialen Seehofer. Möglicherweise könnte das sogar genügen, um einmal eine 10-Jahres-Perspektive zu entwickeln und so den Ritus des Streits um den Rundfunkbeitrag zu durchbrechen.
Vierter Eindruck: Es bleibt kompliziert
An wervollem Inhalt mangelt es dem Rundfunk nicht (Frauke Gerlach, Grimme-Institut). Aber leider ist es gerade die schwer zu durchschauende Vielfalt, die Wert und Problem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugleich ausmacht. Von Arte bis Kika, von Radio Eins bis Funk, vom Symphonieorchester bis zur Tagesschau-App, von Radio Bremen bis zum WDR reicht die Spannweite. Und noch viel weiter. Kann man so ein Gesamtkunstwerk diskutieren, kann man es reformieren?
Nicht wenn man es sich so einfach macht wie so viele harcore Systemkritiker: Reduktion statt Reform. Da wird aus der ARD einfach nur “Fernsehen“, aus dem ARD-Fernsehen schlicht „Das Erste“ und aus dem Ersten werden schließlich „Personalien“. Namen wie Will, Jauch oder Herres lassen sich eben leichter durchhecheln als Strukturen bewegen.
Einige Elite
Und nun? Nachdem geklärt ist, dass der Rundfunk „allen – oder niemandem“ gehört (Markus Behmer / Uni Bamberg), stellt sich die Anschlussfrage: Wem nützt dieses historisch wohlbegründete, demokratieförderliche System heute noch (außer sich selbst)? Öffentlich-rechtlicher Rundfunk handelt „staatsfern und gesellschaftsnah“ (Heinz Glässgen /Vorsitzender der HK) Das ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabenstellung in Zeiten harscher Elitenkritik.
Dazu ein Blick ins Auditorium der Veranstaltung. Es war ähnlich hochkarätig bestückt wie die Redner/innen-Liste: Weitere Intendanten/innen, Rundfunkräte, Medienexperten/innen und Topjournalisten/innen. Eine ziemlich einige Medienelite.
Natürlich zogen sich auch durch den Tagungsraum des Symposiums der Historischen Kommission die unsichtbaren Fäden der Macht und der Interessen. Wer kann schon ausschließen, dass es einem Ministerpräsidenten auch um Standortpolitik geht, Professoren um Expertisen-Aufträge und Funktionären um Karrieren? Kein System ist herrschaftsfreier, neutraler Raum.
Was die Reflexionen im 13. Stock der MDR-Zentrale daher nur leisten konnten, waren „Anstöße“ (Heinz Glässgen, Vorsitzender HK). Eine besonders intensive Selbstvergewisserung der verantwortlichen Akteure Und Akteurinnen. Auf dem Podium und in den Randgesprächen war Kampfgeist spürbar.
Nie war der Rundfunk so wertvoll wie heute. (Thomas Kleist, Saarländischer Rundfunk)
Elefant im Raum
Allerdings stand da mal wieder der sprichwörtliche „Elefant im Raum“. Oder sagen wir: eine ganze Herde. Die Beitragszahler/innen, die Nutzer/innen – die Shareholder des Öffentlich-rechtlichen halt. Von denen derzeit niemand sagen kann, ob die sich wirklich gut vertreten und versorgt fühlen.
Als die ARD-Pressestelle ihre Meldung zur Tagung mit der Botschaft: „leidenschaftliches Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fest“ twitterte, sah eine Reaktion so aus:
Nun sind Twitter-Kritiker, die ihre Accounts mit Wehrmachtsbildern illustrieren, vermutlich ohnehin unerreichbare Extremisten. Aber die Skepsis gegen den „Systemrundfunk“ reicht bekanntlich weiter und tiefer. Sie befeuert eine ganze Gegenpublizistik von Alternativmedien und Gebühren-Reichsbürgern. Aber auch die neue digitale Elite würde wohl am liebsten die Beitragsmilliarden der Öffentlich-rechtlichen in eine Art venture capital verwandeln, um damit noch mal ganz von vorn zu startuppen.
Die ganz große Unbekannte in der Rechnung aber bleibt, was das Rundfunkvolk tatsächlich mehrheitlich denkt. Ob es noch zufrieden ist mit der Dienstleistung ihrer medialen Grundversorger in den Anstalten. Und ob es die Kontroll-Gremien noch als „Treuhänder“ ihrer Interessen wahrnimmt.
Vielleicht hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine gesellschaftliche Aufgabe zu lange als Dauerauftrag ausgelegt, der automatisch erneuert wird und den man beim digitalen Wandel nur mal eben auf SEPA umstellen musste.
Fazit: Das „System“ hat verstanden
ARD, ZDF und Deutschlandradio sind derzeit beileibe noch nicht die selbstverständlichen Kommunikationsplattformen für alle ihre Eigentümer, die die Öffentlich-rechtlichen gern wären. So viel steht wohl fest.
Festzuhalten bleibt aber auch:
Das „System“ hat verstanden – jetzt muss es sich nur noch verständlich machen.
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