War klar – einigen geht die Staatsaffäre Royal bereits heftig auf den Geist. Aber es musste wohl alles mal raus. Die Böhmermann-Debatte. Und die Debatte über die Böhmermann-Debatte. Ich neige dazu, solche Diskussionen immer für produktiv zu halten. Aber das kann man auch anders sehen. Darum jetzt ein Streitgespräch als Update.
Möglicherweise ist nämlich das Gegenteil richtig. (Tucholsky-Zitate werden im Satire-Kontext immer gern genommen.) Nur – geht es hier überhaupt um Satire? Einige Instanzen im jüngsten Humorgericht haben den kecken Comedian bereits verknackt: Schmäh und Schmarrn urteilt in etwa Wolfram Schütte, im Stile eines klassischen Setzungsdiskurses.
Der Blogger Hardy Prothmann geht mit dem Pro-Böhmermann-Medien-Mainstream besonders hart ins Gericht: In der Form einer Schmähkritik, versteht sich: Die Anklage lautet auf heuchlerische, inkompetente und rassistisch grundierte „A***geigen“-Haltung der Pro-Böhmermänner und – frauen. Muss ich mich beleidigt fühlen. Ich glaube, ja.
Mehr noch als dieser unflätige Aufschrei brachte mich die Argumentation eines befreundeten Kreativen in Verlegenheit. Als Reaktion auf meine Position zum Thema entstand ein kleiner Facebook- Messenger-Dialog, den ich – hier mit seiner Kenntnis – dokumentiere. Mir ist so tatsächlich im Streitgespräch mit Herrn K einiges klarer geworden.
K: Da du so schön zu Böhmermann postest: Schon am Wochenende war ich der Überzeugung a) das Gerichte das klären sollten und vor allen b) dass das tatsächlich justiziabel ist. Wenn so etwas über den israelischen Ministerpräsidenten gemacht worden wäre und anstelle mit türkischen Klischees mit jüdischen gearbeitet worden wäre… Wir als Gesellschaft müssen so etwas Widerliches wie dieses Gedicht durchaus sanktionieren, damit es nicht Tausende Nachahmer gibt.
DH: Klar, die Sorge wiegt schwer. Und ich denke auch, dass Gerichte klären können und sollen, ob Böhmermann nur einen hohlen Hasspost vom Stapel gelassen hat. Was ich nicht so sehe. Auf die übliche juristische Schiene geht das mit der Beleidigungsanzeige vermutlich auch. OK so – Klaus Staeck musste sich mehr als 40 Mal der Verantwortung für seine Provokationen stellen. JB eben auch. Majestätsbeleidigung und Merkel-Intervention gehen mir zu weit. Erdogan kann und muss man sehr hart angehen (dürfen). Vor einigen Jahren hatte ich ein Titanic-Abo und ich lese nun das Internet halb leer. Kommt Böhmermann davon, wird das den Ton weder ver- noch entschärfen. (Das Witzige ist übrigens, dass ich normalerweise 100 Prozent so argumentiere wie Du jetzt. Nur habe ich diesmal das Gefühl, als stünde da mehr auf dem Spiel…)
K: Nun das sind ja zwei Fragen. Man kann Merkel kritisieren wie sie agiert. Das ist das eine. Es ändert aber rein gar nichts an dem Umstand, dass das hier keine Satire ist und auch nicht von Meinungsfreiheit gedeckt werden sollte. Wenn so etwas jemand über mich sagt, möchte ich ihn anzeigen können und Recht bekommen, auch wenn er behauptet, es wäre Satire gewesen. (…) Böhmermann hat jedenfalls geschadet, denn jetzt kann Erdogan, zurecht, sagen, dass man was gegen ihn und die Türkei habe. So wie deutsche Zeitungen voll waren mit Schäuble als Nazi in Griechenland (nur ist der eben so, dass er nicht klagt). Als Satiriker hat Böhmermann jedenfalls voll versagt. Und Merkel, nun, ich wundere mich, dass die das nicht einfach schnell an ein Gericht weitergib. Aber das liegt wohl daran, dass die Medienöffentlichkeit sich undifferenziert hinter Böhmermann stellt. Wenn Frau Petry so etwas über Claudia Roth gedichtet hätte, wäre es umgekehrt und alle würden schreiben, dass sie in den Knast gehört.
DH: Das mit den zwei juristischen Schienen hatte ich ja genauso beschrieben. Um zu beweisen, dass Deutschland ihn und die Türken hasst, hat Erdogan übrigens schon die Extra-3-Satire (oder war das auch keine?) gereicht. Dafür wird er immer Argumente finden. Kritiker am neuen Sultan können, so liest man ständig, in der Türkei ganz schnell zu Outlaws gemacht werden, manchmal zu Terroristen. Mich beruft wenig zum Kunstkritiker, aber die Reduktion der Böhmermann-Aktion auf das „Schmähgedicht“ ist mir für ein Urteil zu knapp. Das war schon ein geschickterer Grenzgang, wenn auch äußerst geschmacklos. Absicht also, aber welche? Kunst? Kritik? Eitelkeit? Rassismus? Sicher bin ich mir da auch nicht ganz. Aber im Zweifel würde ich hier die Kunstfreiheit eben dehnen. Die Vergleiche mit Petry/Roth, sorry, sind mir zu konstruiert. Und das Bild einer „undifferenzierten Medienöffentlichkeit“ erscheint mir wiederum zu wenig differenziert. Es gibt sehr dezidierte, argumentativ starke Kritik an Böhmermann. Etwa in der FAZ. Oder im Weser Kurier.
K: Der Unterschied zu Extra 3 – und das würden türkische Oppositionelle bestätigen – ist, dass die etwas über Missstände in der Türkei aussagt, und somit zu der gesellschaftlichen Debatte dort beiträgt und Erdogan schwächt. Während die Böhmermann-Sache zur Solidarität mit ihm bewegt. Von daher hat, was auch immer das sein sollte, der „Satiriker“ danebengelegen. Die Absicht von Böhmermann ist auch wirklich nicht erkenntlich. Welche Missstände zeigt er denn auf? (…) Wollte er aber keine Debatte lostreten, was wollte er denn dann sagen? Eitelkeit würde ich auch privat unterstellen wollen (und in der Tat wirkt er wie der freche Schüler, der sich wundert, dass er tatsächlich von der Schule fliegen kann, obwohl er doch so süß frech und intelligent ist), aber private Motivationen von ihm sind a) Spekulation und b) nicht wirklich relevant für die Diskussion. Ja, „undifferenziert“ war in Bezug auf die Medienöffentlichkeit vielleicht das falsche Wort. Sagen wir also: „stark mehrheitlich“. Und wenn Dir das eine Beispiel zu konstruiert ist, dann gehen wir einen halben Schritt näher ran, zu einem Beispiel aus der realen Welt, denn hier wird auch eine Debatte geführt, was Komik darf und was nicht. Wie gesagt, halber Schritt näher, ich vergleiche Äpfel mit Birnen, aber Satire darf eben nicht alles, oder sollte nicht alles dürfen:
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-01/dieudonne-frankreich-antisemitismus
Zudem bleibt mir nicht ersichtlich, warum jemand, der Ziegenficker, Gangbanger, Frauenschläger, dönerstinkend etc. genannt wird, nicht in Deutschland Anzeige erstatten dürfte. (…) Vielleicht wäre es doch schön, zu überlegen wie die Gesellschaft sprachlich verroht, was wiederum zu einer Verrohung der Gesellschaft führt. Ein Freund, der in der Schulbehörde arbeitet, erzählt, dass ganz normale Bürger ihn mittlerweile in Mails schlimm beleidigen, wenn sie für ihre Kinder was wollen. Der Ton wird rauer, die Menschen aggressiver. Und Journalisten sagen, es ist Satire, wenn man jemanden Ziegenficker nennt! Gesellschaftliche Verantwortung für das eigene Tun sieht jedenfalls anders aus. Wobei das ZDF ja tatsächlich in öffentlich-rechtlicher Verantwortung gehandelt hat, als es das aus der Mediathek genommen hat.
DH: Zum Befund „Verrohung im öffentlicher Diskurs und öffentlich-rechtliche Verantwortung“: Guter Punkt. Wirklich sehr guter Punkt. Dieser Aspekt von Verhältnismäßigkeit hatte mich übrigens früher auch mal bei der „Affäre“ Carrell / Khomeini bewegt, nämlich die Frage: Gibt es ein Grundrecht auf Herrenwitze? Also: Nicht alles kann, darf, sollte Satire genannt und Comedians durchgelassen werden. Dafür setzen Gerichte m.E. aber gut den geeigneten Rechtsrahmen (wobei ich aber den Paragrafen zur Majestäts-Beleidung für antiquiert halte). Auch der Kontext Antisemitismus bewegt mich in diesem Zusammenhang. Post). Hier, ergänzend zu Deinem Link, ein Beispiel aus meiner eigenen Text-Sammlung dazu. Schließlich auch nochmal meine Position zur causa böhmermannae: Als Intention von JB habe ich Folgendes verstanden und für plausibel befunden: Nämlich R T Erdogan auf drastische Weise den Unterschied zwischen harter Kritik und unzulässiger Beleidigung vor Augen führen. Angesichts der Gleichschaltung von Medien und des Einsperrens von Oppositionellen sowie der Einbestellung von Botschaftern etc. in der Türkei.
K: Ja, Majestätsbeleidigung ist antiquiert, Erdogan klagt ja nun zusätzlich auch auf den normalen § 185, der für alle gilt (und darauf beziehe ich mich die ganze Zeit in meiner Argumentation, das finde ich für uns als Gesellschaft interessant: Was dürfen wir und was nicht?) Zu dem § 185 muss Frau Merkel gar nichts sagen, nur zu §§ 103/104 – es sind eben zwei Klagegesuche anhängig. Gut – wenn das, was du meinst, Böhmermanns Intention war, dann hat er die komplett falschen Mittel gewählt. Aus deinem Blog-Beitrag scheint mir diese Schlussfolgerung bedeutend: „Jede Entscheidung jedoch wird Folgen haben für unser soziales Klima. Selbst eine Nicht-Entscheidung.“ Und eben deswegen halte ich es für falsch einfach zu provozieren (Böhmermann, Mohammed-Karikaturen etc.), ohne zu Bedenken, wen man da mit wem solidarisieren lässt (beispielsweise Otto-Normal-Muslim mit Islamisten, auch wenn sie die blöd finden oder kritische Türken mit Erdogan) und was das für unsere Gesellschaft bedeutet. Ein öffentliches Forum (wie eine Sendung) zu haben, das verpflichtet!!!
Mal abgesehen davon war ja in der FAS ein kluger Artikel über die Satire, auch die der Heute Show zum Beispiel. Die Tendenz zur Abwertung (auch in der politischen Diskussion) ist gefährlich und John Steward zum Beispiel – oder John Oliver – beleidigen nicht wie Welke und Co, sondern sie führen vor (was Welke und Co auch sehr gut machen).
Dieser Dialog via Facebook-Messenger endet hier. Mitten in einer komplexen Diskussion. Geht nicht anders.
[…] meine, Böhmermanns Aktion entsprang einer satirischen Haltung zu einem politischen Thema. Mir ist bewusst, dass ich das auch mit einer reinen Pose auf der Aufmerksamkeitsbühne verwechselt haben […]