Alles gut!

Heiter weiter – Januar-Jahrmarkt in Venedig

Wie dieses Jahr, dieses Jahrzehnt angehen? Mit einer weiteren metamedialen Beobachtung von Erregung? Euphorisch, skeptisch oder verzweifelt. Nein, ich habe den Beginn von 2020 in Venedig verbracht und werbe für Hiobs Haltung: „Alles gut“.

 

Update 26.2.2020: Nun also Corona (Covid-19) – Venedig bleibt das weltweite Schaufenster für Krankheit, Klimawandel und andere Katastrophen. So wie sich dieses Jahr entwickelt, bestärkt mich das in dem Vorsatz, einen ganz unvernünftigen Gedanken gleich viele Zeilen Raum zu geben: Hoffnung. Oder um es mit Hiob zu sagen – alles gut!

Genau – das ist jener abgenudelte Spruch, der sich vor einigen Jahren ins alltägliche Gespräch geschlichen hat. Als beschwichtigender Kommentar kleinteiliger Schwierigkeiten („Mein Smartphone ist ins Klo gefallen – aber: alles gut!“) Oder als Segen für grobe Lösungen: „Die Erde verbrennt!“ „Wir schnüren ein Klimapaket. Alles gut!“

Mit dieser Floskel lässt sich jeder noch so kantige Sachverhalt abrunden. Einfach beruhigend. Sprachwächter/-innen haben das zwar vor Jahren, im Anfangsstadium des Alles-gut-Virus, recht kritisch registriert. Das heilsame Potenzial der Redensart wurde dabei meist übersehen: eine befriedende Betäubungswirkung durch unhintergehbare Zuversicht, meist gegen alle Vernunft.

Mit exakter Wissenschaft oder Wirklichkeit hat das sicher nichts zu tun. Eher mit Philosophie. Am besten lässt der Bedarf an der Phrase wohl mit den berühmten Kant´schen Grundfragen erfassen: Was kann ich wissen? Ziemlich viel, aber leider nicht alles. Was soll ich tun? Möglichst das Richtige, aber reichen wird es kaum. Was darf ich glauben? Alles gut!

Schließlich stirbt die Hoffnung – erneuter Floskelalarm! – ja zuletzt. Heißt: üblicherweise vor der Sintflut. Womit wir am Ausgangspunkt dieses Textes wären: Venedig, meiner zweiten Heimat. Im November 2019 stand die Stadt knietief im Weltuntergang: Ein historisches Höchst-Wasser, das quasi alles überschwemmte und nur zögerlich wich. Schnell wurde klar, dass das keine reine „Naturkatastrophe“ war, sondern zu großen Teilen auf dem menschlichen Beitrag zum teuflischen Werk des Klimawandels basierte: Das verheerende aqua alta war eine Folge der Erderwärmung sowie verkorkster Sicherungsanstrengungen, nämlich Ausbaggerungen am Adriazugang – ausgerechnet Baumaßnahmen für ein Flutschutzwerk.

Auf der Weltbühne Venedig kam daher wieder einmal alles auf den Punkt: die rücksichtslose Politik von Schulhof-Rowdies (ein Mini-Trump namens Brugnaro als Bürgermeister und Berlusconi in der Rolle des Strippenziehers), die gnadenlose Ökonomisierung der Lagune sowie die wuchtige Reaktion der Natur.

Dann, Anfang 2020, war für mich in Venedig auf einmal wieder „alles gut“. So wie auf dem Titelbild dieses Blogposts. Das Wasser mag der Stadt gefühlt noch vor kurzem bis zum Murano-Leuchter gereicht haben – sie war und ist nun mal dem Überleben geweiht, nicht dem Untergang. Deshalb drehen sich die altmodischen Karussels auf dem traditionellen kleinen Jahrmarkt am Ufer Sette Matiri rührend wie immer. Bewohner und Gäste nutzen den Raum, den, aqua alta-bedingt, ein halbierter Touristenstrom eröffnet. Manches Gespräch an Bartheke oder Verkaufstresen verläuft jetzt eine Spur freundlicher. Natürlich ist bei vielen Venezianern/-innen durchaus eine besondere Melancholie spürbar. Vielfach aber auch Frust. Zum Beispiel über die internationalen Medien: „Als ob das Wasser zwei Meter hochsteht und hier die Kinder ertrinken,“ empört sich die Weinverkäuferin. Und der Gemüsehändler spricht von „Panikmache“. „Alles schlecht“ geht ihm zu weit.

Wir wären damit am springenden Punkt – bei der Monopolisierung der Miesepeterigkeit aufseiten der Besorgten. Denn damit die berechtigten Warnungen auch wirklich bis an die Ohren der tauben Problemleugner dringen, klingt der Alarm immer schlimmer. Die Ansage von Greta Thunberg – „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ – soll zur Umkehr bewegen. Viele lesen das allerdings eher als Ausweglosigkeit. Fridays for no future. Klimahysterie.

Dieses Vermittlungsdilemma teilt der Aktivismus mit dem Journalismus: Den Untergang verhindern, indem man ihn möglichst dramatisch beschreibt. An dieser Stelle sehen wir jetzt die Saat der Polarisierung aufgehen – Blühende Landschaften der Scheinalternativen: Freiheit oder Sicherheit. Alles erlaubt oder nichts mehr. Optimismus versus Pessimismus. Selbst den Wohlmeinenden gelingt in den Debatten die Balance zwischen drastisch und realistisch kaum mehr. Und den Skrupellosen ist sie egal.

Darin liegt die große Perfidie dieser Epoche: Eigentlich ist keine der großen Thesen haltbar – weder „Wir machen alles richtig“ noch „Ihr macht alles falsch“. Aber in einer agonalen Diskursatmosphäre stärken Selbstzweifel nur den Gegner. Daher hat der Wahnsinn der falschen Widersprüche durchaus Methode: Vereinfachung – wenn nichts mehr belegt werden kann, trifft alles zu. Oder nichts. Davon profitieren am meisten die Populisten aller Länder in beängstigender, weil unwiderstehlicher Weise.

Ein paar prominente Beispiele der letzten Wochen.

 

Donald Trump twittert „Alles ist gut“. Nicht etwa weil irgendetwas Gutes passiert, sondern weil kein neuer Nahostkrieg ausgebrochen ist und stattdessen lediglich ein paar Raketen im US-Camp eingeschlagen sind. So wird er zum Friedensfürst, einfach, weil er doch (noch) keinen Krieg ausgelöst hat. Auch Boris Johnson setzt beim BREXIT auf den Sieg der Frechheit: Seinen Weg zurück in den Nationalismus sei ein „potenzieller Moment der Erneuerung“. Krönung eines destruktiven Aktes mit weiterhin ungewissen Ausgang zwar, der die eigene Bevölkerung aufwühlt und das europäische Projekt schwer beschädigt. Aber: Wird schon schiefgehen.

Untergangsprophetie hat Donald, Boris und all die anderen Protagonisten der multi-egoistischen Weltordnung bislang nur gestärkt. Vielleicht haben einige auch den Befund des Soziologen Ulrich Beck von den „positiven Nebenfolgen negativer Ereignisse“ verinnerlicht. Jedenfalls setzen darauf, dass die Menschheit gern irgendwie weitermachen will und monopolisieren schamlos den Optimismus für ihre eigene Position.

So auch in Venedig. Dieser Tage hat sich eine Kommission der UNESCO in der Stadt umgesehen. Sie soll beurteilen, wie es um den Status des Weltkulturerbes bestellt ist, angesichts von Massentourismus und Umweltproblemen. In der Neben-Nebensaison, ohne Kreuzfahrtschiffe und mit wenigen Tagestouristen. Sogar konstantes Niedrigwasser kommt den schlitzohrigen Positiv-Planern der Stadtverwaltung entgegen.

Alles gut? Natürlich nicht, nicht einmal in der Serenissima. Aber mir ist dieser Tage mit Blick auf die Lagune klar geworden: Die Enteignung von jeglicher Zuversicht darf so nicht weitergehen. Sicher, Werder Bremen könnte tatsächlich absteigen. Und auch angesichts der ernsten Weltlage bleibt es richtig und wichtig, Moral und Vernunft zu folgen.

Das darf aber nicht den Blick völlig verstellen auf das, was ging und geht. Die Floskel „alles gut“ hilft mir. Sie legt sich nicht dreist per Verb fest („All is well“).  Sondern sie stiftet Zuversicht: „Sieht derzeit nicht so aus, könnte aber klappen.“ Vor allem aber bedeuet sie: „Ich will, dass alles gut wird.“

Für dieses Jahrzehent – da muss man kein Prophet sein – könnten wir Motivation durch diffuse Hoffnung wirklich brauchen. Dazu noch ein Zitat unklarer Herkunft:

Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.

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