Schöner Zufall, auch wenn vermutlich kein Zusammenhang besteht: Gestern noch habe ich blogöffentlich an Rechthaberei in der Digital-Debatte gelitten. Heute wagt es Sascha Lobo, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Irrtum einzugestehen. Das Internet sei eher Fluch als Segen. Kaputt das Netz, gekränkt seine Gemeinde. Eine fundamentale Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen des Jahres 2013.
So wichtig wie gewagt kommt dieser – so finde ich – Schlüssel-Text daher. Ausgerechnet ein durchgestylter Top-Berater, ein digitaler Ober-Versteher und Herr über mehr als 165.000 Twitter-Follower, bekennt hier seine Fehlbarkeit. Anstatt selbstvermarktend daran herum zu tunen und die alte Vision einer angeblich demokratischen Erlösungstechnologie Internet durch noch extremere Theorien retten zu wollen.
Lobo beschreibt es deutlich wie bislang selten geschehen: Die Internet-Avantgarde ist schwer gekränkt. Sie, die so verdienstvoll und inspirierend die Möglichkeiten einer vernetzten Welt erkundet hatte, wird erst vom kommerziellen Mainstream überschwemmt und anschließend von der Realität der Dauerüberwachung eingeholt. Nun ist die Enttäuschung groß.
Jedenfalls rein emotional. Das Kluge an Lobos FAS-Text ist, dass er ganz offen die Gefühlslastigkeit dieser Kränkung beschreibt. So wird das Bekenntnis angreifbar und gleichzeitig unangreifbar. Falsche Erwartungen an das Internet zu hegen, hieß zum einen, es für ein richtiges „Wesen“ zu halten und zum anderen, nur Gutes, vor allem Demokratisches von ihm zu erwarten.
Das Denken des Sacha Lobo war schon lange nicht mehr naiv. Sein mit Kathrin Passig gemeinsam verfasstes Buch „Internet – Segen oder Fluch?“ enthält viel mehr Differenzierungen als Schwarzsehern und Euphorikern lieb gewesen sein dürfte. Nur eine geringfügige Änderung des Titels wäre jetzt notwendig: „Internet – Segen und Fluch!“
Ein besonders starker Moment in Lobos Text ist seine Kritik an der Kompromisslosigkeit vieler in der „Netzgemeinde“, wenn es um die Konsequenzen aus den Datenskandalen ging, die Edward Snowden thematisiert hat. Warum gelingt den Digitalen Vorreitern bislang nicht wenigstens ein kleiner Mindestabstand zu übersteigerten Erwartungen an das Internet? Reicht es wirklich aus, die NSA vom Server abzuhalten und alles wird gut?
Nein, tut es eben nicht. Die digitale Welt ist selbst ohne Geheimdiensteinfluss keinesfalls die Krone der menschlichen Schöpfung. „Nur“ eine höchst bedeutsame Erweiterung unsere technischen Möglichkeiten. Wenn wir jetzt lernen, Tempo und Richtung dieser Entwicklung zu hinterfragen, machen wir einen gewaltigen Schritt nach vorn: Wir überwinden den Mythos vom perfekten Internet, bevor er uns weiter verblendet.
Angesichts von Lobos öffentlichkeitswirksamen Bekenntnis sollten sich die Morozov- Fans jetzt nicht in Siegerjustiz stürzen. Und die Netzfreunde sollten jetzt nicht allzu beleidigt sein. Keiner gewinnt den Diskurs um den Medien- und Gesellschaftswandel. Entweder verlieren wir alle gemeinsam das Ringen um die digitale Zukunft. Oder wir erreichen endlich einen qualitativen Fortschritt. Einen Prozess des Ringens um optimale Kompromisse, weder zynisch noch naiv. Sondern lebensnah. Diese Diskussion hat erst angefangen.
Um im Bild von Sascha Lobo zu bleiben: Das Internet mag kaputt sein, manche vielleicht auch kaputt machen. Aber von einem Totalschaden kann keine Rede sein. Nun bedarf es einer neuen Version der Vision. Wenn es nicht immer so abgegriffen wäre, hieße das Schlagwort in etwa: „Optimismus.14.0“. Das wird jedenfalls ein spannendes Jahr.
Kleines Update: Jenseits der Paywall hat Blogger Jens Best den ganzen Artikel im Wortlaut eingelesen.
Noch ein kleines Update für die, die doch lieber selbst lesen: Der Text ist nun auch online.
Eine sehr gute Interpretation des Lobo-Textes, auch in der Einordnung in den Kontext. Aber ob eine neue Version reicht, um den neuen Optimismus zu begründen, erscheint mir fraglich. Dass sein Text genau hier aufhört ist genauso bezeichnend wie schade.
Danke sehr. Ich denke, wir müssen ab und an eine tiefe Ernüchterung aushalten, ohne den Optimismus zu verlieren. Sicher wird es eine reifere Version des Umgangs mit dem digitalen Wandel geben. Aber – richtig – auch dieses Uptdate wird nicht reichen. Statt der großen Gesamtlösung erreicht eine Gesellschaft stets nur kleinteilige Fortschritte. „Optimismus“ würde ich hier als Bewußtsein für die realen Möglichkeiten lesen. Dazu gehört auch, gelegentlich Optionen zu verwerfen.
Bislang hat die Diskussion oft daran gelitten, dass behauptet wurde, nunmehr stünden wir vor endgültigen Lösungen. Übersteigerte Erwartungen in Bezug auf Partizipation, auf Geschäftsmodelle und Glückszustände. Das menschliche Maß, in seiner Irrtumsanfälligkeit und Banalität, war dagegen noch nie etwas für Visionäre und Fanatiker. Die aber brauchen dringend ein Korrektiv. Da kann man gut reindiskutieren und ein Kaliber wie Sascha Lobo lädt nun zur Differenzierung ein. Finde ich wirklich gut.